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Esseler Moor

T„Kalte Enteignung“: Landwirte protestieren gegen Naturschutzgebiet

Stefan Buck (links) und Dieter Bardenhagen sprechen für die betroffenen Landwirte.

Stefan Buck (links) und Dieter Bardenhagen sprechen für die betroffenen Landwirte. Foto: Wisser

Naturschutz kontra bäuerliche Existenzen: Die betroffenen Landwirte und Teile der Politik kritisieren den Landkreis für dessen Pläne im Esseler Moor deutlich. Was ist da los?

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Von Karsten Wisser
Mittwoch, 05.11.2025, 17:50 Uhr

Landkreis. „Das ist für uns ein massiver Wertverlust und eine kalte Enteignung“, sagt Stefan Buck. Der Landwirt gehört zu den Betroffenen des geplanten neuen Naturschutzgebiets (NSG) Esseler Moor. 40 Bauern waren zur entscheidenden Sitzung des Umweltausschusses des Stader Kreistags am Mittwoch ins Kreishaus in Stade gekommen. Der Grund: Nördlich der Ortschaft Essel und der Bahnstrecke Stade-Bremervörde sollen nach dem Willen der Kreisverwaltung knapp 368 Hektar Fläche unter Naturschutz gestellt werden.

Landwirte: CDU will einvernehmliche Lösung

Ein Vorstoß der CDU hat dies bis 2027 vertagt. Sie forderte vor dem Verfahrensstart eine Ortsbegehung durch die Politik. „Wir sind nicht ortskundig. Um für alle einen friedlichen Weg und eine einvernehmliche Lösung zu finden, brauchen wir die Ortsbesichtigung“, begründete Arnhild Biesenbach für die CDU-Kreistagsfraktion den Antrag: „Dafür müssen wir auch Zeitverlust in Kauf nehmen.“ Gemeinsam mit der FDP und der Freien Wählergemeinschaft setzten sich die Christdemokraten damit zur Erleichterung der Landwirte durch.

Der Braunfleckige Perlmuttfalter ist ein Schmetterling, der auf der Roten Liste steht.

Der Braunfleckige Perlmuttfalter ist ein Schmetterling, der auf der Roten Liste steht. Foto: Andreas

SPD und Grüne wollten die Ortsbegehung - aber im Rahmen des laufenden Verfahrens. „Eine Ortsbesichtigung ist kein Grund, die Einleitung des Verfahrens nicht zu starten“, sagte Verena Wein-Wilke, Fraktionsvorsitzende der Grünen.

Der Orchideen-Bestand ist einzigartig

Mit der Einrichtung des neuen NSG soll die für den Landkreis einzigartige Population des braunen Perlmuttfalters geschützt werden. Außerdem kommen hier das Grünwidderchen und die Sumpfschrecke vor - allesamt Rote-Liste-Arten.

Als besondere Brutvögel sind der Wachtelkönig und der Neuntöter dort heimisch. Auch botanisch ist das Esseler Moor von Bedeutung. Insbesondere die Orchideenbestände werden von Dr. Uwe Andreas, Leiter des Kreis-Naturschutzamtes, als schützenswert eingestuft. Sie gelten laut Andreas ebenfalls als einzigartig.

Vieles von dem werden sie in ihrer Kindheit noch gesehen haben, heute allerdings nicht mehr

Uwe Andreas, Naturschutzamt des Landkreises Stade

Dazu kommen dort Hochmoorpflanzen wie der Gagelstrauch, das Sumpfveilchen und die Natternzunge vor. „Vieles von dem werden sie in ihrer Kindheit noch gesehen haben, heute allerdings nicht mehr“, sagte Uwe Andreas bei seinem engagierten Versuch, den Projektstart zu retten.

Neustart erst mit dem neuen Kreistag?

Die Vegetationsphasen und die Kommunalwahlen im September 2026 werden aber wohl dazu führen, dass das Verfahren erst 2027 startet. Eine Ortsbesichtigung macht erst im Juni Sinn, so Kreisbaurätin Madeleine Pönitz.

Aufgrund der Wahlen gibt es nach der Sommerpause 2026 für Monate keine politische Arbeit. Zudem werden einige Mitglieder des Ausschusses nach der Wahl dem neuen Kreistag nicht mehr angehören. Damit ist ein Neustart erst 2027 mit dem neu gewählten Kreistag wahrscheinlich.

Gut besuchte Sitzung: 40 Landwirte wollten wissen, wie es mit dem Esseler Moor weitergeht.

Gut besuchte Sitzung: 40 Landwirte wollten wissen, wie es mit dem Esseler Moor weitergeht. Foto: Wisser

Aus Sicht der Landwirte gibt es auch keinen Zeitdruck. Und sie haben Zweifel, ob der Landkreis in Sachen Naturschutz besser ist, als sie selbst. Es gebe schon umfangreiche Sicherungsmaßnahmen in dem Gebiet, sagte Kreislandwirt Johann Knabbe. Es gebe ein Vorkaufsrecht der Kreisverwaltung, ein Umbruchverbot und Biotopschutz.

80 Prozent der Ernte gehen verloren

Die betroffenen Landwirte hatten sich auf die Sitzung vorbereitet. Ihre Sorgen und Ängste haben sie in einem Zehn-Punkte-Papier zusammengefasst. Sie befürchten zum Beispiel, dass die Grasmenge für Heu und Silage um 80 Prozent zurückgeht, sollten die Auflagen des Naturschutzes greifen.

Es geht unter anderem um Einschränkungen bei Mähterminen, Düngung und Pflanzenschutz. Außerdem verlören Flächen in Naturschutzgebieten massiv an Wert. Das schadet den Betrieben direkt. Die steuerlichen Belastungen blieben dagegen voll erhalten. Die Landwirte fürchten, dass das NSG als Beschleuniger für das Höfesterben in der Region wirkt.

Orchideen gehören zu den seltenen und schützenswerten Pflanzen im Esseler Moor.

Orchideen gehören zu den seltenen und schützenswerten Pflanzen im Esseler Moor. Foto: Landkreis Stade/Andreas

„Was macht das NSG mit den betroffenen Menschen? Stress, Resignation, Depression und Auswirkungen auf die Hofnachfolge und die Altenteiler“, heißt es in einem weiteren Punkt. Sie fürchten auch eine steigende Hochwassergefahr für Essel und Mulsum. Teile des Moors - maximal bis zu 30 Prozent - könnten in Zukunft vernässt werden. Es komme dort schon jetzt bei Starkregen zu Problemen. 2023 verhinderte ein Notgraben Überschwemmungen.

Kann der Landkreis Naturschutzpflege?

Die Landwirte verweisen darauf, dass aus ihrer Sicht die schützenswerten Arten durch ihre Bewirtschaftung bisher nicht beeinträchtigt worden sind und im Gegenteil der Landkreis selbst für einen aktuellen Rückgang der Orchideenbestände verantwortlich sei. Die vom Landkreis erworbenen Flächen würden nicht vernünftig gepflegt, dominante Gewächse wie die Binse würden sich hier ausbreiten.

Deshalb gehe die Zahl der Orchideen zurück, so Dieter Bardenhagen, einer der Sprecher der Landwirte. Gerd Lefers von der Freien Wählergemeinschaft und Kreislandwirt Johann Knabbe argumentierten in die gleiche Richtung. Lefers erinnerte an Probleme bei anderen Naturschutzflächen, wo mangelnde Pflege den Naturschutzzweck gefährdete.

Knabbe fasste auch einen offensichtlich wunden Punkt der Kreisverwaltung an: Beim Mähen der Seitenränder der Kreisstraßen würde der Landkreis Mulchen, und das würde kein Insekt überleben. „Mir schießen auch die Tränen in die Augen, wenn ich das sehe - zumal das meine eigene Verwaltung ist“, konnte Naturschutzamtsleiter Uwe Andreas dem nicht widersprechen. Er warnte aber davor, diese Themen zu vermischen.

Stefan Buck (links) und Dieter Bardenhagen sprechen für die betroffenen Landwirte.

Stefan Buck (links) und Dieter Bardenhagen sprechen für die betroffenen Landwirte. Foto: Wisser

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