TKein LNG in Stade: Heftiger Streit hinter den Kulissen

Hier lag die Energos Force bis zum 26. Januar: Blick auf die leere Liegewanne des schwimmenden LNG-Terminals und den eigens errichteten Anleger. Foto: Martin Elsen
Ein Jahr nach Ankunft in Stade ist das schwimmende LNG-Terminal noch immer nicht in Betrieb. Woran liegt’s? Darüber streiten sich der staatliche Betreiber und die mit dem Anlagenbau beauftragte Firma.
Stade. Vor einem Jahr war es ein strahlendes Prestigeprojekt, jetzt droht es ein peinliches Kapitel in der Geschichte der deutschen Energiepolitik zu werden: das schwimmende LNG-Terminal in Stade. Es sollte dazu beitragen, Deutschlands Energieversorgung unabhängig von russischem Gas abzusichern. Dafür hat das Land Niedersachsen 2023 in Rekordzeit den Stader Energiehafen fertiggestellt, mit einem Volumen von 300 Millionen Euro das damals größte Hafenbauprojekt Deutschlands.
In Stade wurde allerdings bis heute kein einziger Tropfen LNG eingespeist. Der Druck mag auch deshalb nicht mehr so groß sein, weil inzwischen genug Pipeline-Gas aus Norwegen und den Niederlanden zur Verfügung steht. Derweil kostet allein die Charter für Stades ungenutztes schwimmendes LNG-Terminal, die Energos Force, um die 200.000 Euro pro Tag.
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Dass es noch nicht einmal mehr ein Inbetriebnahme-Datum gibt, empört viele. Eine Hintergrundrecherche wirft Fragen auf, denn es gibt heftigen Streit: Auf der einen Seite stehen das Bundeswirtschaftsministerium und die staatliche Deutsche Energy Terminal (DET), auf der anderen das privatwirtschaftliche Konsortium Hanseatic Energy Hub (HEH).
Hier die Antworten auf die sieben wichtigsten Fragen zum aktuellen Stand.
1. Wer betreibt das schwimmende LNG-Terminal (FSRU: Floating Storage and Regasification Unit) in Stade?
Dafür ist die DET zuständig, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Bundes, die es erst seit Januar 2023 gibt. Sie betreibt vier FSRU: in Stade, in Brunsbüttel und zwei in Wilhelmshaven. Bisher sind nur zwei davon in Betrieb, Wilhelmshaven I seit Dezember 2022 und Brunsbüttel seit Anfang 2023.
Die Einnahmen aus dem Verkauf der LNG-Regasifizierungskapazitäten fließen nach Abzug der Betriebskosten in den Bundeshaushalt zurück - so war jedenfalls der Plan. Doch die DET arbeitet derzeit nicht profitabel. Die LNG-Infrastruktur war und ist teuer, die Terminals, die bereits arbeiten, sind 2024 nur zu 65 Prozent ausgelastet gewesen. Um den Verlust auszugleichen, erhält die DET staatliche Zuschüsse.
2. Wer erstellt die Anlagen zum Anschluss der FSRU in Stade?
Mit der Herstellung dieser sogenannten Suprastruktur - dazu gehören beispielsweise Verladearme und landseitige Leitungen - wurde die HEH beauftragt. Sie ist ein Konsortium, zu dem der Hamburger Hafenlogistiker Buss-Gruppe, die Schweizer Private-Equity-Firma Partners Group, der spanische Netzbetreiber Enagás und der US-Chemiekonzern Dow gehören. Neben den Anlagen für die FSRU errichtet die HEH zurzeit ein eigenes Projekt im Stader Industriepark: ein festes LNG-Terminal an Land. Es soll 2027 in Betrieb gehen.
3. Warum gibt es Streit über die Inbetriebnahme der FSRU?
Genehmigungsrechtliche Gründe stehen einer Inbetriebnahme nicht entgegen, sagt das zuständige Gewerbeaufsichtsamt Lüneburg auf TAGEBLATT-Nachfrage. Aber offensichtlich sind sich die staatliche DET und das Bundeswirtschaftsministerium auf der einen und die HEH auf der anderen Seite nicht einig, wer für was zuständig ist.
Das Bundesministerium sagt: „Prüfungen haben ergeben, dass die Bauausführung und Dokumentationslage aus Sicht von technischen Experten und Sachverständigen noch gravierende Mängel aufweisen.“ Die DET drückt es noch krasser aus: „Durch fortlaufende Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten seitens Hanseatic Energy Hub (HEH) hat das FSRU-Projekt Stade auf diese Weise keine Aussicht auf eine erfolgreiche Fertigstellung.“ Die Energos Force sei schon bereit zur Inbetriebnahme, seit sie vor einem Jahr in Stade im Auftrag der DET in Stade anlegte.
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Laut DET hat HEH schon einen ersten Fertigstellungstermin 15. März 2024 erfolglos verstreichen lassen und dann eine Übergabe der Anlage für den 13. Dezember 2024 angekündigt, aber auch zu diesem Termin „die erforderliche Fertigstellung und Betriebsbereitschaft der Anlage nicht nachweisen können“.
Die DET lehnte eine Übernahme der Suprastruktur-Anlagen nun endgültig ab und kündigte die Verträge. Sie begründet: „Dies war erforderlich, um einen unabsehbar anwachsenden finanziellen Schaden von DET sowie ihrer Gesellschafterin, der Bundesrepublik Deutschland und dem Steuerzahler abzuwenden.“
Die HEH dagegen sieht ihre vertraglich vereinbarten Aufgaben zum Bau der Suprastruktur erfüllt: „Die Suprastruktur in Stade ist fertiggestellt und wurde von den Genehmigungsbehörden abgenommen.“ Für die Inbetriebnahme und den Betrieb der gesamten Anlage einschließlich der Suprastruktur und der FSRU sei laut Vertrag die DET verantwortlich. Damit unterscheidet sich Stade von den anderen FSRU-Standorten.“ Zum Hintergrund: Wilhelmshaven I war schon in Betrieb, als die DET gegründet wurde, Brunsbüttel wurde zehn Monate nach Inbetriebnahme übergeben.
4. Wie geht es jetzt weiter?
Das ist unklar. Angesichts der Schärfe der Vorwürfe könnte die Sache ein juristisches Nachspiel haben. Aktuell laufen aber trotz allem noch Gespräche zwischen den Parteien, wie beide Seiten bestätigen. Die DET will laut Ministerium nun „alternative Optionen für die Inbetriebnahme“ prüfen. Deshalb habe sie den Leasingvertrag mit der HEH für die Suprastruktur gekündigt.
„Für die nicht fertiggestellte Suprastruktur“ will der Bund laut Bundeswirtschaftsministerium gegenwärtig nicht zahlen. Die genauen Kosten würden momentan ermittelt - es dürfte sich um eine hohe Summe handeln, mit der die HEH in Vorleistung gegangen ist. Eine sichere Inbetriebnahme und der Betrieb nach internationalen Standards seien laut Ministerium derzeit nicht möglich. Bei einem Projekt der Gasinfrastruktur müsse das aber zwingend sichergestellt sein.
Die HEH sagt, sie habe sich in den vergangenen Monaten weit über den eigentlichen Vertrag hinaus engagiert, um mit einem operativ erfahrenen Team eine Inbetriebnahme zu unterstützen. Bis heute habe die HEH keinerlei Zahlungen für den fertiggestellten und von den Behörden abgenommenen Bau der Suprastruktur erhalten: „Wir haben deshalb eine völlig unbegründete Kündigung der DET zu Beginn des Jahres umgehend zurückgewiesen und aufgrund eines massiven Vertrauensverlustes unsererseits eine Kündigung ausgesprochen.“
5. Kommt die Energos Force wieder zurück nach Stade?
Wie berichtet, liegt die Energos Force zurzeit in Skagen vor Anker. Eigentlich hatte sie Stade am 26. Januar verlassen und war zunächst in der Deutschen Bucht vor Anker gegangen, damit die Liegewanne im Stader Hafen ausgebaggert werden kann. Das wird wegen der Verschlickung immer wieder nötig, um die erforderliche Tiefe von 16,5 Metern zu halten.
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In Skagen hat die Energos Force übrigens Gesellschaft von einem Schwesterschiff: Die Energos Power war bisher in Mukran auf Rügen im Einsatz, wo die deutsche ReGas das bisher einzige privatwirtschaftlich finanzierte LNG-Terminal in Deutschland betreibt. Sie hatte die Energos Power von der DET gechartert, hat den Vertrag aber gekündigt. Nun hat die DET zwei ungenutzte FSRU.
In Skagen können Team und Technik zurzeit besser versorgt werden, hatte die DET auf Nachfrage gesagt, als der Umzug des Schiffs nach Dänemark auffiel. Ob und wann die Energos Force wieder in Stade vor Anker geht, ist schwer zu sagen, solange der Ausgang der Gespräche zwischen DET und HEH noch offen ist. Landrat Kai Seefried sagt: „Es ist meine ganz klare Erwartung, dass die Öffentlichkeit alsbald einen Zeitplan für die Inbetriebnahme der FSRU erhält.“
6. Ist das der Anfang vom Ende der schwimmenden LNG-Terminals?
Die aktuelle Bundesregierung will im Grundsatz an den FSRU festhalten - auch, wenn die bestehenden LNG-Terminals bisher nicht ausgelastet sind. Stefan Wenzel, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Cuxhaven - Stade II, sagt auf Nachfrage: „Ja, die LNG-Terminals sind nicht zu 100 Prozent ausgelastet. Aber sie haben eine Resilienzfunktion. Sie sollen Deutschland unabhängiger von russischem Gas machen und unsere Versorgungsstruktur so absichern, dass wir nicht erpressbar sind.“ Er verstehe die Enttäuschung in Stade über das Ausbleiben der Inbetriebnahme. Doch das feste LNG-Terminal an Land werde ja auf jeden Fall kommen. Deutschland werde langfristig zwei bis drei solcher festen Terminals brauchen.
7. Hat die Verzögerung Auswirkungen auf das feste LNG-Terminal an Land, das in Stade entsteht?
Nein. HEH investiert in das LNG-Terminal an Land eine Milliarde Euro. Die Baukräne sind weithin sichtbar. Geplant ist, dass es 2027 in Betrieb geht und das schwimmende Terminal dann ablöst - zunächst als Importterminal für LNG, SNG (synthetisches Erdgas) und verflüssigtes Biomethan, später gefolgt von Ammoniak als wasserstoffbasierten Energieträger. Die Gesamtkapazität beläuft sich auf 13,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Die HEH hat 90 Prozent dieser künftigen Kapazitäten schon an feste Abnehmer vermarktet, und zwar an die europäischen Energieversorger EnBW, SEFE und ČEZ.

So sollte Stades neuer Energiehafen mit FSRU (links) und Gastanker eigentlich schon im letzten Winter aussehen. Foto: NPorts

LNG-Terminal: Ankunft der Energos Force in Stade-Bützfleth. Foto: Martin Elsen