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Bio-Krise

TLebensmittel-Lieferdienst „Naturküste“ gibt auf

Zuletzt betrieb Obstbäuerin und Galloway-Züchterin Hjördis Plate den Onlinehandel mit ihrem Mann Henning allein.

Zuletzt betrieb Obstbäuerin und Galloway-Züchterin Hjördis Plate den Onlinehandel mit ihrem Mann Henning allein. Foto: Leuschner/Archiv

Obst, Gemüse und Fleisch aus dem Kreis Stade und dem Cuxland auf Bestellung: Das war die Idee von „Naturküste“. Doch die Krise hat vollends zugeschlagen.

Von Redaktion Freitag, 15.12.2023, 19:08 Uhr

Otterndorf/Landkreis. Die steigenden Preise und die stärkere Zurückhaltung der Kunden bringt gerade kleine Lieferdienste in Bedrängnis. „Naturküste“ aus Otterndorf, 2022 noch für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert, gibt nun auf. In einer E-Mail an die Kunden heißt es, dass der Dienst aufhört und kommende Woche Freitag, 22. Dezember, zum letzten Mal ausfährt. Letzter Bestelltermin sei Mittwoch, 20. Dezember.

„Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist“, heißt es in der E-Mail weiter. Ab dem 1. Januar 2024 werde ein geeigneter Käufer gesucht, damit die Naturküste GmbH bestehen bleiben könne, so die Ankündigung.

Idee der eigenen Regionalmarke am Lagerfeuer geboren

Es war im Frühjahr 2020, als Galloway-Züchterin Hjördis Plate gemeinsam mit Bioobst-Bäuerin Johanna Schaeper, Unternehmerin Elke Freimuth, Juristin Mareike Krug und dem Regionalmanager und Förster Harald Müller am Lagerfeuer saß und dort den Grundstein für die Regionalmarke „Naturküste“ samt gleichnamigen Online-Marktplatz legte. Die Idee: Ein nachhaltiges Vermarktungskonzept, das sich mit Produkten aus den Kreisen Cuxhaven und Stade an Kunden in der Region wendet und am Ende auch noch Klima und Umwelt guttut.

Im Oktober 2021 gehen die Gründer mit ihrem Online-Portal naturkueste.de schließlich an den Start. Zu den Partnern zu Beginn zählte etwa der Obsthof Schmoldt aus Krummendeich, die Altländer-Apfelmanufaktur oder der Hof Heitmann aus Kutenholz. Holten sie anfangs die Ware exakt nach den Kundenbestellungen von jedem Erzeuger ab, kaufen sie diese später selbst, lassen sie liefern und lagern sie ein

Erste Krise führt zu Veränderungen und Verkauf des Start-ups

Obwohl das Unternehmen eine Reihe Großkunden hatte gewinnen können, blieb die wirtschaftliche Entwicklung im Herbst 2022 hinter den Erwartungen zurück. „Die Kunden haben aufs Geld geachtet und gespart“, berichtete Plate im Frühjahr dieses Jahres im TAGEBLATT. Im Dezember vergangenen Jahres hatten die Gesellschafter, den regionalen Onlinehandel samt Markennamen „Naturküste“ an das Ehepaar Plate verkauft.

Im Lieferangebot gab es nun vornehmlich die eigenen Produkte vom Hof Plate. Die Regionalmarke in ihrer Ursprungsidee war vorerst gescheitert.

Bio ja - aber billiger: Inflation verändert den Bio-Handel

Die hohe Inflation in Deutschland hat den Biohandel schneller verändert als gedacht. „Es wird weiter Bio gekauft - aber billiger. Die Bereitschaft, höhere Preise für Bioprodukte zu bezahlen, hat angesichts der allgemeinen Preissteigerungen spürbar abgenommen“, beschreibt Handelsexperte Robert Kecskes vom Marktforschungsunternehmen GfK den Umbruch. Gewinner der Entwicklung seien vor allem die Discounter, Verlierer die Bio-Supermärke und Naturkostläden.

Während die Bio-Supermärkte und die Naturkostläden 2022 laut GfK ein deutliches Umsatzminus von gut 18 Prozent ausweisen mussten und renommierte Händler wie Superbiomarkt oder Basic den Gang zum Insolvenzgericht antraten, erzielten die Discounter bei Bio-Lebensmitteln und Bio-Getränken ein Plus von gut 11 Prozent. „Bei Bio zieht billig“, beschrieb das Branchenfachblatt „Lebensmittel Zeitung“ die Entwicklung.

Doch allmählich wird es nach Branchenangaben in Biomärkten wieder voller. „Insgesamt zeigt sich der Bio-Fachhandel 2023 entgegen vielen Erwartungen robust“, teilt Kathrin Jäckel, Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), am Montag mit. Insbesondere im laufenden zweiten Halbjahr sei die Nachfrage wieder deutlich gestiegen.

Verbraucher kaufen wieder häufiger in Bioläden ein.

Verbraucher kaufen wieder häufiger in Bioläden ein. Foto: Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa

„Jetzt ist die Politik gefordert“, teilt Jäckel weiter mit. „Sie sollte konkrete Maßnahmen fördern, um das Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 zu erreichen.“ Gemeint ist das Vorhaben der Bundesregierung, dass bis zum Ende des Jahrzehnts 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet wird.

Unverpackt-Läden: Viel Potenzial, aber kaum Stammkunden

Ebenfalls von der Krise der vergangenen eineinhalb Jahre schwer getroffen sind Unverpackt-Läden. In Deutschland kämpfen viele Läden um ihre Existenz. Nach Zahlen des Branchenverbandes haben 2023 bis Ende Oktober bundesweit bereits 35 Läden geschlossen und nur 5 eröffnet. Im vergangenen Jahr wurden 70 Läden geschlossen und 44 kamen neu hinzu. Bundesweit gibt es 275 Unverpackt-Läden inklusive Filialen mit Verbandsmitgliedschaft.

In Deutschland kämpfen viele Unverpackt-Läden um ihre Existenz.

In Deutschland kämpfen viele Unverpackt-Läden um ihre Existenz. Foto: Daniel Karmann/dpa

Verpackungsloses Einkaufen ist demnach noch wenig verbreitet, obwohl viele Menschen grundsätzlich offen dafür sind. Das geht aus einer repräsentativen Yougov-Umfrage hervor, die an diesem Montag veröffentlicht wurde. Demnach haben lediglich 22 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher schon mal in einem Unverpackt-Laden eingekauft.

Der feste Kundenstamm ist wesentlich kleiner. Nur fünf Prozent geben an, dass sie oft in entsprechenden Geschäften einkaufen. 43 Prozent können es sich zwar vorstellen, haben es aber noch nicht getan. 30 Prozent wollen dort nicht einkaufen. Frauen und Personen unter 45 Jahren stehen dem Konzept der Studie zufolge etwas aufgeschlossener gegenüber. In der Schweiz erfreuen sich Unverpackt-Läden größerer Popularität. Jeder Dritte kauft oft oder regelmäßig dort ein.

70 Prozent der Befragten in Deutschland sind der Ansicht, dass das Konzept Zukunft hat, weil es dazu beitragen kann, Müll zu reduzieren. Die Studie liefert zwei Anhaltspunkte, warum so wenig Menschen regelmäßig dort einkaufen: Jedem Zweiten sind die Produkte zu teuer und nur 23 Prozent wissen, dass sich ein solches Geschäft in ihrer Nähe befindet. (mit Heike Leuscher/dpa)

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