Nach Gaspreis-Erhöhung: Wie sich die Strompreise entwickeln

Im dritten Jahr nach Ausbruch des russischen Krieges hält das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) fest: Die Energieversorgung sei gesichert. Foto: Patrick Pleul/dpa
Zwar entspannen sich Versorgungslage und Strompreise zuletzt wieder. Doch nicht alles kommt bei allen Verbrauchern an. Wie stabil bleibt die Lage?
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Berlin/Landkreis. Fast ist die große Sorge vor Ausfällen bei der Energieversorgung in Deutschland wieder vergessen. Nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 schienen Gasknappheit und Stromausfälle noch realistische Szenarien zu sein. Inzwischen gibt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Entwarnung und bezeichnet die deutsche Stromversorgung als eine der sichersten der Welt. Die Strompreise sind wieder deutlich gesunken. Dagegen wird Gas teurer, da die Mehrwertsteuer seit 1. April wieder auf 19 Prozent steigt. Was all das bedeutet:
Wie ist es um die Energieversorgung aktuell bestellt?
Im dritten Jahr nach Ausbruch des russischen Krieges hält das BMWK fest: Die Energieversorgung sei gesichert. Auch die Stromnachfrage könne jederzeit durch verfügbare Erzeugungsleistung gedeckt werden. Zusätzliche Sicherheit bietet der grenzüberschreitende Stromhandel in der Europäischen Union, von dem Deutschland profitiert. Hinzu kommt, dass es einen doppelten Boden durch weitere Kraftwerke gibt, die bei Bedarf zusätzlichen Strom liefern können. Dazu dienten bisher auch sieben Braunkohlemeiler, die zum 1. April jedoch endgültig vom Netz gingen. Konkret sind das fünf Blöcke von RWE im Rheinischen Revier (Neurath C, D und E, Niederaußem E und F) und zwei Blöcke des Betreibers LEAG in Brandenburg (Jänschwalde E und F).
Energiewende
Habeck: Mehrere Kohlekraftwerke können vom Netz
Warum wurde die Kohlereserve jetzt abgeschaltet?
Die Stilllegung dieser Braunkohlemeiler ist lange geplant, sie wurde allerdings nach Kriegsausbruch verschoben. Von Anfang an sollte die Stilllegung aber nur einmalig aufgeschoben werden bzw. sie hatte eine klare zeitliche Befristung. Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe sich die Krisenvorsorge ausgezahlt. „Unsere Energieversorgung ist heute unabhängiger als vor der Krise. Die Versorgungssicherheit erreicht durchgehend ein sehr hohes Niveau“, sagte Habeck: „Mehrere Kohlekraftwerke, die während der letzten zwei Jahre vorsorglich noch am Netz waren, sind daher nun überflüssig und können endgültig vom Netz.“ Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm rechnet damit, dass die Versorgungssicherheit durch die Stilllegung der Kraftwerke nicht gefährdet sein dürfte. „Die Kraftwerke haben etwa 1,5 Prozent der Stromerzeugung geleistet in diesem Jahr. Wir haben noch ausreichend Kapazitäten installiert und sind im europäischen Strommarkt eingebunden“, sagte die Ökonomin.
Wie haben sich die Strompreise entwickelt?
Die nach Kriegsausbruch stark gestiegenen Strompreise haben sich wieder auf Vorkrisenniveau eingependelt – allerdings gilt das nur bei Abschluss neuer Lieferverträge. Das BMWK geht bei Neuverträgen für Privatkunden aktuell von einem Strompreis von rund 30 Cent/Kilowattstunde Strom aus. Der Durchschnittspreis für Neuverträge kleiner bis mittlerer Industriebetriebe liege bei 17,6 Cent/Kilowattstunde und damit laut Ministerium so niedrig wie zuletzt im Jahr 2017. Stromintensive Großverbraucher würden durch die ausgeweitete Strompreiskompensation weitergehend entlastet. Bei Bestandskunden können sich die kriegsbedingt gestiegenen Preise aber noch immer auswirken und die Preisschocks können gerade in der Wirtschaft noch immer nachwirken.
Erdgas und Strom haben im zweiten Halbjahr 2023 trotz eines Rückgangs deutlich mehr als vor der Energiekrise gekostet. Private Haushalte zahlten im Schnitt 11,41 Cent je Kilowattstunde Gas, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das waren 6,9 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten 2023. Gegenüber dem zweiten Halbjahr 2021 - dem Vergleichszeitraum vor dem Ukraine-Krieg - mussten Haushaltskunden trotz staatlicher Preisbremsen aber 67,1 Prozent mehr zahlen.
Strom kostete die Verbraucherinnen und Verbraucher durchschnittlich 41,75 Cent je Kilowattstunde. Das waren 1,3 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten, aber 19,4 Prozent mehr als im zweiten Halbjahr 2022 und 27 Prozent mehr als vor der Krise.
Ist diese Entwicklung stabil?
Die Wirtschaftsweise Grimm warnt vor einer Verknappung des Stromangebots in Europa. „Selbst wenn man hier in Deutschland keine Atomkraftwerke möchte, wäre es wichtig, andere europäische Länder nicht zu blockieren“, forderte Grimm. Man profitiere in Deutschland massiv davon, wenn andere Länder nicht in Engpässe hineinliefen. „Eine Verknappung der Stromversorgung in Zentraleuropa erhöht die Preise für alle und senkt die Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Grimm. Und sie forderte, in der Kommunikation realistisch zu werden. „Die Stromkosten werden absehbar nicht deutlich sinken. Nun kann die Bundesregierung natürlich durch Subventionen einzelne oder alle Verbraucher entlasten. Irgendjemand muss aber für die Kosten aufkommen, im Zweifelsfall die heutigen oder die zukünftigen Steuerzahler“, so die Ökonomin. (axt)