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Neuer Linken-Chef

TJan van Aken: „Ich finde, es dürfte keine Milliardäre geben“

Jan van Aken wohnt seit 25 Jahren auf St. Pauli.

Jan van Aken wohnt seit 25 Jahren auf St. Pauli. Foto: IMAGO/Mike Schmidt

Blanker Populismus? Für den Linken-Chef aus Hamburg ist es das nicht. Warum er sich den Schleudersitz antut, wie sein Verhältnis zu Sahra Wagenknecht ist und ob er auch klare Kante kann.

Von Markus Lorenz Sonntag, 03.11.2024, 05:55 Uhr

TAGEBLATT: Herr van Aken, wissen Sie, welcher Suchvorschlag an erster Stelle kommt, wenn man Ihren Namen googelt?

Jan van Aken: Nein.

Wagenknecht. Wie ist Ihr Verhältnis zu Sahra Wagenknecht?

Es gibt keins. Ich war zwar acht Jahre lang zusammen mit Sahra Wagenknecht in der Bundestagsfraktion, habe aber wahrscheinlich nur zweimal ein paar Worte mit ihr gewechselt. Das hat zwei Gründe: Erstens war sie oft nicht da. Zweitens haben wir uns um verschiedene Politikbereiche gekümmert.

Sie sind gerade zum Co-Vorsitzenden der Linkspartei gewählt worden. Mit Ines Schwerdtner bilden Sie das sechste Führungsduo in 14 Jahren. Haben Sie auf einem Schleudersitz Platz genommen?

Das empfinde ich nicht so. Anfangs habe ich gedacht: Oh, das ist echt mutig. Dann war ich in den letzten Wochen in vielen Kreisverbänden und habe gesehen, was es heißt, dass etwa 10.000 junge Aktivistinnen und Aktivisten gerade in die Partei eingetreten sind. In vielen Kreisverbänden ist unglaubliches Leben, Menschen, die was bewegen wollen. Mittlerweile bin ich echt optimistisch.

Gewähren Sie uns einen Blick ins Innenleben der Linken: Warum zerlegt sich die Partei seit Jahren permanent selbst?

Es gibt zwei Antworten. Die erste heißt natürlich Sahra Wagenknecht. Sie hat eigentlich keine politischen Ziele, ihr einziges Ziel heißt Sahra Wagenknecht. In ihrem Egoismus hat sie auch nicht davor zurückgeschreckt, die eigene Partei komplett zu zerlegen. Das muss man erst mal bringen, als Fraktionsvorsitzende ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ein Buch zu schreiben, in dem die eigene Partei schlecht gemacht wird. Die zweite Antwort ist, naja: Wir Linken machen das aus Überzeugung. Wenn Sie zehn Linke finden, dann haben Sie zehn sehr starke Überzeugungen, und dann wird natürlich gern gestritten. Das finde ich auch in Ordnung. Der Fehler ist halt, dass der Streit oft so unproduktiv ist und nach außen dringt. Das versuchen wir jetzt ein bisschen einzuhegen.

Würden Sie sagen, dass es jetzt um die Existenz der Partei geht?

Ja, klar.

Sind Sie jemand, der mit solch großem Druck gut umgehen kann?

Das weiß ich gar nicht. Es ist natürlich Druck, aber ich empfinde es nicht so. Weil ich merke, dass ich totale Lust darauf habe und ich gerade richtig viel Zustimmung und Energie bekomme.

Was wollen Sie denn anders machen als Ihre Vorgänger, um den Negativtrend zu brechen?

Zwei Dinge: Ich kann ziemlich gut moderieren, und das wird auch sehr positiv wahrgenommen in der Partei. Es wächst gerade so ein Gefühl wie: Jo, wir zusammen gegen die da oben. Und das Zweite ist meine Greenpeace-Erfahrung.

Inwiefern?

Ich weiß, ich kann die Kampagne gewinnen, wenn ich alle Kraft auf einen Punkt setze. Fokus, Fokus, Fokus. Wir werden bis Weihnachten eine, maximal zwei zentrale Forderungen formulieren, die wir dann immer wieder und mit allen Mitteln stark machen, bis sich was bewegt. So habe ich es bei Greenpeace gelernt und damit diverse Kampagnen gewonnen.

Welche Forderungen sind das?

Das ist ja gerade noch in der Entwicklung, aber auf jeden Fall Forderungen im sozialen Bereich. Die müssen so konkret sein, dass alle sagen: Das ist vernünftig, und das würde mein Leben verbessern.

Zum Beispiel?

So etwas wie vor 15 Jahren der Mindestlohn. Alle, die im Niedriglohnsektor arbeiten, haben sofort gewusst, wenn der Mindestlohn kommt, ist mein Leben viel besser. Etwas Ähnliches wäre heutzutage zum Beispiel der Mietendeckel. Wenn der kommt, muss niemand mehr Angst haben, in den nächsten fünf Jahren eine Mieterhöhung zu kriegen. Das können alle sofort verstehen. Oder die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen. Erinnern Sie sich, wie man früher einfach zum Arzt gegangen ist? Heute heißt es erstmal: „Wie sind Sie versichert?“ Und dann bekommen sie als Privatpatient den Termin am nächsten Tag, aber wenn sie gesetzlich versichert sind, erst in einem halben Jahr. Diese Zweiklassenmedizin finde ich eine der größten Sauereien. Es gibt noch mehr Ideen, wir werden sehen, welche das Rennen macht.

Sie sehen sich als Moderator. Können Sie auch klare Kante?

Ja, ich bin der Typ klare Kante. Aber eher nach außen als nach innen. Ich habe keine Hemmungen, mich mit denen anzulegen, die Macht und Geld haben. Nach innen bin ich eher der Typ Basisdemokratie. Also: Lass uns das besprechen und so viele wie möglich mitnehmen, weil man als Team nur dann funktionieren kann. Mein Vorbild ist der FC St. Pauli.

Warum?

Die hatten letzte Saison keinen einzigen Superspieler, aber ein Team, das als Kollektiv super funktioniert hat. Alle haben sich ein Stück zurückgenommen und 150 Prozent gegeben – und dann sind sie aufgestiegen. So ungefähr stell‘ ich mir Die Linke vor.

Sie haben Biologie studiert, waren in der Anti-AKW-Bewegung und bei Greenpeace. Warum sind Sie nicht bei den Grünen gelandet?

Ich empfand die Grünen von Anfang an als zu unsozial. Für Menschen wie meine Eltern, also Arbeiter, haben sich die Grünen nie interessiert.

Braucht die Linkspartei, braucht die Gesellschaft mehr Klassenkampf?

Ich finde ja. Wenn man Klassenkampf konkret übersetzt und sagt: Ich finde, es dürfte keine Milliardäre geben, man müsste sich das Geld zurückholen, das die uns weggenommen haben, dann gibt es eine sehr große Zustimmung in Deutschland. Eine Milliarde braucht kein Mensch, das hat auch niemand verdient. Das Geld haben die Reichen anderen weggenommen, weil sie zu geringe Löhne gezahlt haben.

Milliardäre abschaffen – ist das nicht völlig unrealistisch und im Grenzbereich zum Populismus?

Warum sollte das unrealistisch sein? Im Grunde läuft es auf eine Vermögensteuer hinaus, die oberhalb einer Milliarde richtig zulangt. In Umfragen sagen weit über 70 Prozent der Menschen in Deutschland, es sei völlig richtig, die Vermögensteuer wieder einzuführen. Die hatten wir noch unter Helmut Kohl, und der war nun echt kein Linker.

Frage: Sie und Ines Schwerdtner wollen als Parteivorsitzende jeder nicht mehr als 2850 Euro netto verdienen. Warum?

Wir begrenzen unser Gehalt auf den Netto-Durchschnittsverdienst in Deutschland. Das frei werdende Geld soll linken Hilfsprojekten zugutekommen, etwa für unsere Sozialberatung.

Reichen 2850 Euro für ein angenehmes Leben in einer Großstadt wie Hamburg? Oder haben Sie andere Quellen, aus denen Sie sich was leisten können?

Nein, ich habe kein Vermögen und keine anderen Einnahmequellen. 2850 Euro reichen mir für ein angenehmes Leben. Ich kann mir davon keinen Luxus leisten, aber das ist auch in Ordnung. Viel zu viele Menschen verdienen weniger.

Also keine Altbauwohnung in Eppendorf…?

Ich wohne in einer Genossenschaftswohnung in unserem Wohnprojekt in St. Pauli. Das haben wir Mitte der 90er angefangen zu planen, ich wohne da jetzt seit über 25 Jahren und bin froh, dass von meiner Miete niemand Porsche fährt.

Haben Sie etwas typisch Hamburgisches oder Hanseatisches in Ihrer Art als Politiker? Oder halten Sie solche Klischees für Quatsch?

Ich finde schon, dass an solchen Zuschreibungen oft was dran ist. Den Hamburgern wird nachgesagt, nicht so viele Worte zu machen. Wenn einer „Moin, Moin“ sagt, ist er schon ein Sabbelkopp. Ich komme auch mit wenigen Worten aus. Wenn ich einen Vortrag halten soll und es heißt: „Du hast eine Viertelstunde“, dann frage ich: „Darf ich auch zehn Minuten?“ Und dann rede ich meistens nur acht.

Sie waren Biowaffeninspekteur der UN. Wie wichtig ist Ihnen Friedenspolitik?

Das ist eine Herzensangelegenheit. Ich habe 20 Jahre im Bereich Gentechnik gearbeitet, bin darüber zu Biowaffen gekommen und mache seit 1999 eben auch Abrüstungsarbeit. Ich war in unterschiedlichen Krisengebieten: im Irak, in Syrien, im Iran und zuletzt zwei Jahre in Tel Aviv. Auch den 7. Oktober 2023 habe ich dort erlebt. Ich glaube, ich habe zu oft mit Eltern gesprochen, deren Kinder gefallen sind. Deswegen berührt mich das sehr.

Soll der Westen weiterhin Waffen an die Ukraine liefern?

Ich finde nicht. Man hätte von Anfang an auf nichtmilitärische Lösungen setzen sollen. Wenn ich mich gegen Waffenlieferungen ausspreche, dann tue ich das aus Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. Ich möchte keinen Diktatfrieden. Ich glaube, es gibt Mittel jenseits des Militärs, die man hätte nutzen können und die man immer noch nutzen kann.

Das heißt, mit Putin zu verhandeln? Manche sehen in ihm eine Art Hitler

Ich lehne diesen Hitler-Vergleich ab. Putin ist natürlich ein Autokrat, ein Kriegstreiber und ein Aggressor. Aber man muss selbstverständlich trotzdem mit ihm reden. Gerade im Krieg muss man auch mit den schlimmsten Kriegsverbrechern verhandeln, mit wem denn sonst? Nur mit denen, die den Krieg betreiben, kann man ihn beenden.

  • Zur Person

Jan van Aken ist als Sohn einer Sekretärin und eines Werkzeugmachers in Reinbek (Kreis Stormarn) geboren und hat Biologie an der Uni Hamburg studiert. Nach der Promotion wurde er Gentechnikexperte bei Greenpeace, gründete 1999 die NGO Sunshine Project zur Ächtung von Biowaffen sowie 2003 die Forschungsstelle Biowaffen und Rüstungskontrolle an der Universität Hamburg. Von 2004 bis 2006 war er als Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen tätig.

Der erklärte Fan des FC St. Pauli zog für die Linkspartei 2009 in den Bundestag ein, den er 2017 freiwillig verließ. Zuletzt war van Aken Referent für internationale Konflikte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung und lebte in Tel Aviv. Am 19. Oktober dieses Jahres wählten die Linken den 63-Jährigen zu ihrem Co-Vorsitzenden. Van Aken ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er lebt auf St. Pauli.

  • Persönliches

HSV oder FC St. Pauli? St. Pauli, ich wohne da.

Fischbrötchen oder Franzbrötchen? Franzbrötchen.

Elbe oder Alster? Elbe.

Molotow oder Elphi? Ich höre gar keine Musik.

Reeperbahn oder Elbchaussee? Reeperbahn, ich wohne um die Ecke.

Ohnsorg Theater oder Staatsoper? Ich gehe nicht ins Theater.

Mein Lieblingsplatz in Hamburg ist… Anleger an der Elbe, egal welcher.

An den Hamburgern schätze ich besonders…, dass sie trotz Schietwetters immer noch lächeln.

An den Hamburgern stört mich… eigentlich gar nichts.

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