TTödliche Messerattacke in Stade: Polizisten kämpfen mit den Erinnerungen
Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke am Salztor in Stade. Foto: Polizei Stade
Ein Mann stirbt, weil ihm ein Messer in den Kopf gerammt wurde. Im Mordprozess berichteten nun Polizisten von ihren schrecklichen Erlebnissen bei der Tat in Stade.
Stade. Der Mordprozess gegen ein Stader Clan-Mitglied ist am Freitag fortgesetzt worden - erneut unter großem Polizeischutz. Der dritte Prozesstag verlief ruhig, denn die Eltern des Angeklagten Mustafa M. blieben nach der Morddrohung vom Mittwoch der Verhandlung dieses Mal fern. Mitglieder der Großfamilie Al-Zein besetzten die Zuschauerplätze.
Ruhe durch Einsatz eines Dolmetschers
Lediglich beim Eintreffen des Angeklagten riefen zwei Frauen ihm im Schwurgerichtssaal etwas zu, bevor die Wachtmeister Mustafa M. die Handschellen abnahmen. Die Staatsanwaltschaft hatte einen Dolmetscher in den Saal gesetzt, um erneute Drohungen in arabischer Sprache verfolgen zu können.
Video-Aufnahmen
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Im Mittelpunkt standen am Freitag die Aussagen der Polizisten, die am 22. März 2024 unfreiwillig zu Zeugen der tödlichen Messerattacke und des Shisha-Kriegs der kriminellen Clans in der Stader Innenstadt geworden waren.
Die Pflichtverteidiger Dinah Busse und Dr. Dirk Meinicke scheiterten mit ihrem Vorstoß, den Zeugenbeistand der Polizisten vor die Tür zu setzen. Sie vertraten die Auffassung, dass dieser auch die Interessen der Polizeiinspektion vertreten könnte. Schließlich habe die Polizeiführung den Beamten den Beistand vermittelt und ein Darlehen gewährt.
Verteidiger: Polizei habe versagt
Die Strafverteidiger sehen „Anzeichen für ein Versagen polizeilichen Handelns“. Die Polizei hätte präventiv tätig werden müssen. Beamte hätten Kenntnis von Schusswaffen im Besitz der Familie Rachid-Al-Zein gehabt. Das wiesen die 1. Große Strafkammer und die Staatsanwaltschaft zurück.
„Laut der Aktenlage gibt es keine Anzeichen für Polizeiversagen“, sagte Staatsanwältin Dawert. Und auch der Vorsitzende Richter Erik Paarmann verneinte Anzeichen von Dienstvergehen. Er sehe deshalb keinen Interessenkonflikt.

Der 34-jährige Angeklagte Mustafa M. sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (links) und Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts. Foto: dpa
So durfte der Rechtsbeistand an der Seite der als Zeugen geladenen Polizisten sitzen. Einer der Beamten war nach dem Überfall der Großfamilie Rachid-Al-Zein auf einen Sport- und Shisha-Laden der Miris in der Hökerstraße am Tatort eingetroffen. Überall hätten Glasscherben auf der Straße gelegen.
Im Laden habe er einen zerbrochenen Baseballschläger gesehen. Spuren von Reizgas, das die Al-Zeins bei dem Überfall eingesetzt hatten, lagen noch in der Luft. Der Angeklagte Mustafa M. habe ihm auf seinem Smartphone ein Foto mit den angeblichen Tätern gezeigt, so der Polizist. Es habe Al-Zeins vor dem Sport- und Shisha-Laden der Miris gezeigt. Er habe das Foto abfotografiert, so der Beamte.
Clan-Streit gipfelt in blutiger Auseinandersetzung am Salztor
Mustafa M. sei sehr unzufrieden mit der Polizei gewesen, er habe die Befragung abgebrochen. Die Beamten nahmen daraufhin den Shisha-Shop der Al-Zeins in der Großen Schmiedestraße in den Blick. Sie entdeckten Khaled R., das spätere Opfer, der an dem Überfall beteiligt gewesen sein soll. Doch dann kam ein Funkspruch rein, die Clan-Mitglieder hörten auf der Straße mit.
Gemeldet wurde eine Attacke der Miris auf das Wohnhaus der Al-Zeins im Altländer Viertel in der Königreicher Straße. Einige der Al-Zeins liefen umgehend zu Fuß los, andere stiegen in ihre Pkw - und brausten in Richtung Wohnhaus. Ein schwarzer SUV missachtete die rote Ampel. Die Polizei folgte ihnen von der Schmiedestraße aus, weitere Polizeiwagen trafen ein. Am Salztor stoppten alle vor dem Imbiss - wegen eines vermeintlichen Verkehrsunfalls. Später stellte sich heraus, dass Pkw gegen 17 Uhr gezielt gerammt worden waren.
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Eine Schlägerei entwickelte sich, Menschen schrien. Mit Fäusten hätten sie aufeinander eingeschlagen. „Die Hölle sei losgebrochen“, sagte eine Polizistin bereits bei der Verhandlung am Mittwoch. Auf einen auf dem Boden liegenden Mann wurde eingetreten - gegen die Stirn. Es „wirkte sehr gefährlich“, sagte ein weiterer Zeuge am Freitag.
Die Beamten sprachen von einer „sehr brutalen“ Auseinandersetzung. Sogar auf der Motorhaube eines Streifenwagens hätten die Clan-Mitglieder sich geprügelt. Für die Schläger seien die Kollegen wie Luft gewesen, „als wären wir nicht von der Polizei“, so eine Zeugin bei ihrer Vernehmung.
Messerattacke kam wie aus dem Nichts
Schließlich hätten sie - nach dem Einsatz von Reizgas und körperlicher Gewalt - die Lage unter Kontrolle bekommen und eine Polizeikette gebildet. Rückblickend seien zu wenig Leute für die Eigensicherung vor Ort gewesen. Die Dienstwaffe hätten sie nicht einsetzen wollen. Das wäre „unverhältnismäßig“ gewesen. Denn Waffen hätten sie bei der Schlägerei nicht gesehen, lediglich ein Teleskopschlagstock lag auf dem Boden. Die Messerattacke sei wie aus dem Nichts gekommen.
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Eine Polizistin sah, wie direkt vor ihr das Messer „mit Schwung“ in den Kopf von Khaled R. gestoßen wurde. „Das war ganz schön krass“, sagte sie. Röchelnd sei dieser zu Boden gegangen. Sie habe noch zu ihm gesagt, Hilfe ist unterwegs. Sie hätten Angehörige vom Opfer fernhalten müssen.
Miris fürchteten die Rache der Al-Zeins
Später hätten Miris gerufen: „Die wollen uns jetzt auch umbringen.“ Bereits während des Clan-Streits war der Satz „Wir kümmern uns selbst“ gefallen.
Das in den sozialen Medien kursierende Video, es wurde auch im Gerichtssaal gezeigt, sei nach der Tat, die Anklage spricht von Mord, entstanden. Der Täter entkam, seine Jacke wurde hinter dem Imbiss sichergestellt.
Einige der Beamten haben bis heute mit den Bildern der Messerattacke zu kämpfen, eine Beamtin leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Prozess wird am nächsten Montag, 18. November, 9.30 Uhr, fortgesetzt.

Polizeiabsperrung: Blick in die Ritterstraße vor dem Langericht Stade. Foto: Ritterstraße