TSchwere Depressionen: Warum Michaels Leben jetzt ein anderes ist

M. hat keine großen Ansprüche mehr. Sportsendungen sind seine große Leidenschaft, damit vertreibt er sich den Tag. Foto: Krabbenhoeft
Mit Mitte 50 Job und Familie zu verlieren, kann einen Menschen aus der Bahn werfen. Die Geschichte von Michael ist nicht schön. Aber sie ist kein Einzelfall.
Nordenham. Michael ist nicht sein richtiger Name. Der Mann, um den es in der Geschichte geht, kommt aus Nordenham und hat darum gebeten, anonym zu bleiben. „Ich habe in der Versicherungswirtschaft gearbeitet. Zwar hatte ich immer das Gefühl, mich zu verkleiden, wenn ich morgens den Anzug anzog, aber ich habe gut verdient. Eigentlich bin ich ein Familienmensch“, sagt er.
Er führte ein normales Leben
Damals ist Michael verheiratet, er hat zwei Kinder. Freunde und Nachbarn kommen im Sommer zum Grillen vorbei. Er führt ein normales Leben. 2006 wird das Unternehmen, für das er tätig ist, verkauft. Seine Position ist überflüssig. Er verliert den Job, findet aber eine neue Stelle. 2010 ist er erneut arbeitslos. Mit 50 beginnt er zu straucheln. Dann wird bei seiner Frau ein aggressiver Brustkrebs diagnostiziert. Es kommt zu finanziellen Schwierigkeiten. Das Paar versucht, die Familie aufrechtzuerhalten. Aber es klappt nicht. 2015 lassen sie sich scheiden.

Zigaretten und Kaffee gehören zum Programm. Foto: Krabbenhoeft
„Ich fiel in das Tal der Tränen – alles war weg. Ich saß im Wohnzimmer und fragte mich, was ich noch machen soll“, sagt er. Endlos drehen sich die Gedanken im Kreis. Das Leben macht keinen Sinn mehr. Doch zum Glück geht er zum Arzt. Der verschreibt ihm Medikamente gegen schwere Depression und schickt ihn in die Reha. Michael wird als erwerbsunfähig eingestuft. Mit ihm leben inzwischen zwei Hunde und zwei Katzen.
An Depression Erkrankte sind nicht faul
„Wie Trump sagen würde, habe ich mit meiner Erkrankung einen Deal geschlossen. Ich habe, was ich brauche. Meine Tiere, meine Wohnung und die Sportprogramme im Fernsehen.“ In wenigen Jahren ist er Rentner. Das Geld reicht für das Nötigste.
Soziale Kontakte hat er kaum. Er ist nicht der Typ für die Kneipe, „alles zu oberflächlich“. Durch mehrere Umzüge nach der Trennung und die Depression sind viele Freundschaften auf der Strecke geblieben oder gar nicht erst entstanden.
Die Krankheit war seinem Umfeld zu viel. „Auch ich habe psychisch Kranke früher als faul und seltsam eingestuft. Diese Sicht habe ich inzwischen revidiert“, sagt er. Michael zog sich mehr und mehr zurück, meldete sich nicht mehr bei seinen Bekannten und sie sich nicht bei ihm.
Der Kontakt zu Freunden und Familie ist dünn
Und die Kinder? Sie wohnen nicht in Nordenham. Der Kontakt ist schwierig. Von einer WhatsApp Nachricht bis zur nächsten vergehen nicht selten mehrere Wochen. Gemeinsame Treffen finden kaum statt. In den letzten Jahren waren die Kinder einmal in Nordenham zu Besuch. Hat er sie gefragt, was das Problem ist? Es ist schwierig, sagt er. Die Enttäuschung ist ihm anzumerken.

Die Tiere hören ihm zu und leisten Gesellschaft. Foto: Krabbenhoeft
Auch wenn es ihm schwerfällt, Menschen an sich heranzulassen, findet er eine neue Freundin. Doch die Beziehung ist nicht von Dauer. Zu verschieden sind die Lebenswelten der beiden. Sie hätte vielleicht eine Freundschaft gewollt. „Das kann ich nicht. Da ist ein Loch im Herzen. Daran ewig herumzufummeln, tut mir nicht gut“, sagt er.
Zeitweise engagiert sich Michael bei einem Fahrdienst für Senioren. Ihm gefallen die Gespräche über „Tod und Teufel“. In höherem Alter nehmen die Menschen weniger ein Blatt vor den Mund, scheint es ihm. Als der Anbieter sein Gewerbe einstellt, endet diese Episode.
Die Zeit sich zu verbiegen ist vorbei
„Jeder Mensch, der mich fragt: `Wie geht es Dir?`, den lüge ich an. `Gut` sage ich, dann ist das Gespräch zu Ende. Denn wenn ich die Wahrheit sagen würde, wollen sie mit mir nichts mehr zu tun haben. Würde ich hören, dass es der Person schlecht geht, würde ich sie am Arm unterhaken und mit ihr in das nächste Café gehen, um mich mit ihr zu unterhalten“, sagt er.
Michael war weit oben auf der Karriereleiter. Der Sturz kam überraschend und schnell. Eine gute Freundin hat er allerdings gefunden. Die beiden gehen mehrmals in der Woche zusammen mit den Hunden spazieren. Michael sagt, er sei nicht glücklich, aber: „Ich bin so wie ich bin und will mich nicht mehr verbiegen.“