TSchwerer Vorwurf im Mordprozess: Clan-Mitglieder sollen Zeugen bedroht haben

Der 34-jährige Angeklagte (Mitte) sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke. Foto: dpa
Im Stader Clan-Prozess kommt immer mehr eine Parallelwelt zum Vorschein, in der sich die Beteiligten bewegen. Es geht um Gewalt, viel Geld und ein mysteriöses Treffen.
Stade. Es ist ein schwerer Vorwurf, den der Zeuge äußert: Im Stader Clan-Prozess sollen Mitglieder der Miri-Großfamilie im Vorfeld des 14. Prozesstages zwei Zeugen bedroht haben. Über Verwandte seien „schöne Grüße von den Miris“ ausgerichtet worden, sagte ein Mitglied der Großfamilie Al-Zein vor der 1. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Erik Paarmann.
Die Zeugen seien aufgefordert worden, die „Aussage zu verweigern“. Das wäre eine schwere Straftat. Schließlich drohen bei einer Verurteilung wegen Nötigung und Strafvereitelung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.
Zeuge nach Drohung dauerhaft verhandlungsunfähig
Die Drohung zeigte offenbar teilweise Wirkung: Ein Zeuge erschien nicht. Ein Arzt bescheinigte ihm „dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit“. Nebenkläger-Anwalt Rainer Mertins will das überprüfen lassen. Einschüchterung sei inakzeptabel.
Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Vorgeschichte der tödlichen Messerattacke vom 22. März 2024, als der Angeklagte Mustafa M. am Stader Stadthafen Khaled R. getötet hatte. Zuvor, im November 2023, hatten Miris in Buchholz mehrere Angehörige der Al-Zeins überfallen und schwer verletzt.

14. Verhandlungstage im Stader Clan-Prozess am Landgericht Stade. Foto: Vasel
Hintergrund: Die Al-Zeins wollten ins Shisha-Geschäft einsteigen. In der Zeit, als sie den Laden einrichteten, seien sie in einer Pause in einem nahe gelegenen Döner-Laden essen gegangen. Die Immobilie soll dem Angeklagten Mustafa M. gehören. Das berichtete der Zeuge (26), ein Cousin der Stader Rachid-Al-Zeins. Dieser sagte aus - trotz der im Raum stehenden Drohung.
Vor dem Gebäude habe ihn Mustafa M. angesprochen. Dieser habe mit ihm über ein „Problem“ sprechen wollen. Offenbar empfanden die Miris die Eröffnung des Al-Zein-Ladens als Provokation, sie wollten keinen Mitbewerber dulden. Plötzlich seien „über zehn Leute“ über sie hergefallen. Die Miris hätten mit Teleskopschlagstöcken und Schlagringen brutal auf sie eingeschlagen.
Miris schlagen Al-Zeins im Shisha-Krieg krankenhausreif
Auch Mustafa M. habe zu den Angreifern gehört. Er habe ihm mehrfach mit einem Schlagstock „auf den Kopf geschlagen“, so der Zeuge, der nach eigener Aussage bis heute Probleme auf dem linken Auge habe. Nach der Attacke musste er im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf behandelt werden. Ein anderer Zeuge hatte zu Beginn des Prozesses berichtet, dass der 26-Jährige „fast tot geprügelt“ worden sei. Er selbst sprach jetzt von „Schlägen ohne Ende“.
Clan-Kriminalität
T Tumulte, Aggressionen und Beleidigungen auf offener Straße
Schließlich sei ihm die Flucht gelungen. Beim Queren der Straße wurde er von einem Auto angefahren. Miris hätten ihn mit der Schusswaffe in der Hand verfolgt. Vor der Eröffnung des Shisha-Ladens habe es „keine Probleme“ und „nie etwas Böses gegeben“, so der Angehörige der Al-Zein-Großfamilie.
Doch die Miris seien auch mit anderen Mitbewerbern nicht zimperlich umgegangen. Der Zeuge sagte aus, dass kriminelle Angehörige des aus dem Libanon stammenden Clans vor einigen Jahren in Buchholz „einen Syrer zusammengeschlagen“ hätten.
Zeuge will Friedensrichter nicht kennen
Schließlich habe ein Friedensrichter vorerst eine weitere Eskalation verhindert. In einer Halle in einem Wald bei Buchholz seien sie von „über 100 Leuten von den Miris“ empfangen worden. „Ich wollte nur Frieden“, sagte der Zeuge. Ein Iman habe aus dem Koran vorgelesen, danach hätten sich alle die Hände gegeben und seien gegangen.
Auf Nachfrage von Staatsanwältin Dawert, ob es einen Ausgleich als Wiedergutmachung gegeben habe, sagte der Zeuge kurz und knapp: „Nein.“ Racheaktionen seien nicht veranlasst worden. Das alles wollten ihm die Verteidiger Dinah Busse und Dr. Dirk Meinicke nicht abnehmen. Angeblich sei ein Schadenersatz in Höhe von 30.000 Euro gefordert worden. „Davon weiß ich nichts“, sagte der Zeuge.
Der Verteidiger setzte nach. Der Zeuge gab an, 50.000 Euro - wie seine Geschäftspartner - in den Shisha-Laden investiert zu haben. Das Geld habe er zu Hause in bar gebunkert, die „Ersparnisse“ hätten aus seiner Arbeit in einer Bar gestammt. Den Friedensrichter kenne er nicht. Damit blieb letztlich im Dunklen, ob es Vereinbarungen gab.
Zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft Stade im Buchholzer Fall eine Anklage erhoben. Vier Miris werden sich nach Zulassung der Anklage vor dem Landgericht in Stade wegen „Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“ verantworten müssen. Es drohen mehrjährige Freiheitsstrafen oder Geldstrafen. Auch Mustafa M. wird wegen der Gewalttat vom 1. November 2023 erneut vor den Richter treten müssen.
Verteidiger gehen auf Ermittler los
Die Verteidigung erhob vor Gericht indes erneute schwere Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft. Diese habe - entgegen der Strafprozessordnung - „bewusst“ und „um jeden Preis“ einseitig ermittelt und ihrem Mandanten „niedere Beweggründe“ und „Heimtücke“ unterstellt, damit Mustafa M. als Mörder verurteilt wird.
Auch DNA-Untersuchungen seien zu spät veranlasst, die Jacke des Getöteten ohne kriminaltechnische Untersuchung herausgegeben worden.
Die Verteidigung will jetzt offenbar mit Hilfe weiterer Zeugen beweisen, dass der getötete Khaled R. mit mehreren Personen die Miris angegriffen hat. Dann könnte Nothilfe die Strafe mindern. Denn die Tat selbst hat Mustafa M. bereits eingestanden.

Rückblick: Tatortaufnahme durch die Polizei in der Nacht nach der tödlichen Messerattacke vom 22. März 2024 am Salztor in Stade. In Buchholz nahm der Streit im November seinen Anfang. Foto: Polizei Stade
Der Prozess wird am Mittwoch, 29. Januar, 9.30 Uhr, fortgesetzt.