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Justiz

TStader Clan-Krieg: Miris wollten den Al-Zeins ein hohes Blutgeld zahlen

Clan-Prozess: Auch beim fünften Verhandlungstag sicherte die Bereitschaftspolizei das Landgericht Stade.

Clan-Prozess: Auch beim fünften Verhandlungstag sicherte die Bereitschaftspolizei das Landgericht Stade. Foto: Vasel

Es war ein tiefer Einblick in die Stader Clan-Strukturen: Im Mordprozess berichtete der Bruder des Opfers von Provokationen, Ehre und einem großen Batzen Geld.

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Von Björn Vasel
Mittwoch, 20.11.2024, 19:50 Uhr

Stade. Der Bruder des am 22. März getöteten Khaled R. hat am Mittwoch als Zeuge streckenweise höchst emotional dem Gericht seine Version des Clan-Kriegs zwischen den Rachid-Al-Zeins und den Miris geschildert. Im Schwurgerichtssaal des Stader Landgerichts erhob der 34-Jährige schwere Vorwürfe gegen die Miris. Er tritt mit einem weiteren Bruder als Nebenkläger auf.

Miris boten den Al-Zeins 300.000 Euro an

Die Familie des Anklagten habe versucht, die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft und den Prozess zu torpedieren. Die Miris hätten seiner Familie nach dem Tod seines Bruders Khaled R. und der Beerdigung in Beirut (Libanon) „300.000 Euro geboten“.

Im Gegenzug sollten die Al-Zeins den Mord „unter den Teppich kehren“.

Das wäre eine Straftat, auf Strafvereitelung steht eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Doch Blut- und Schweigegeld hätten sie abgelehnt. Sie setzten auf die Justiz. Er hoffe, dass der Angeklagte Mustafa M. „eine gerechte, höchstmögliche Strafe“ bekomme.

Clan-Familien feierten zusammen Hochzeit

Bei seiner Schilderung holte der Bruder des Opfers weit aus. Der Stader blickte zurück ins Jahr 2015: Seinerzeit habe er den ersten Shisha-Shop in Stade eröffnet. Diese habe es vorher lediglich in Hamburg gegeben. Das Geschäft lief gut an. Nach eineinhalb Jahren hätten sie sich etabliert.

Sie hätten Millionenumsätze mit ihrem Groß- und Einzelhandel für Shishas, Tabak und Vapes in der Großen Schmiedestraße gemacht. Namhafte Rapper zählten zu den Kunden. Später habe sein Bruder Khaled R. den Laden in Stade übernommen. Er selbst gründete eine GmbH und ist als Personaldienstleister mit 50 Mitarbeitern aktiv. Als Unternehmer müsse er auf seinen Ruf achten. Mit Kriminalität habe er nichts am Hut. Er habe keine Vorstrafen.

Damals habe es ein respektvolles Miteinander zwischen den Großfamilien gegeben. Er sei sogar auf der Hochzeit des Angeklagten gewesen. Sie hätten sich nicht als Konkurrenten gesehen. „Jeder lebte in seiner Bubble“, sagte der 34-Jährige. Die Miris hätten ihn damals sogar um Unterstützung gebeten. In Buchholz wollten sie eine Shisha-Ecke in ihrem Supermarkt einrichten. Seinerzeit habe er den Miris geholfen. Er habe bei seinem Großhändler in Berlin für sie gebürgt.

Shisha-Streit der Clans greift auf Stade über

Doch dann sei „der Tag X“ gekommen. Al-Zeins hätten in Buchholz einen eigenen Shisha-Shop eröffnet und die Eröffnung in den sozialen Medien gepostet. Diese seien mit den Stader Rachid-Al-Zeins lediglich weitläufig verwandt, so der Nebenkläger. Die Miris seien trotzdem verärgert gewesen. Der Eigentümer eines Sportbekleidungsgeschäfts in der Hökerstraße aus den Reihen der Miris „war total aufgebracht“.

Der neue Laden sei für die Miris eine Provokation gewesen. Hinzu kam: Al-Zeins seien in einem Döner-Imbiss in einer Immobilie von Mustafa M. in Buchholz essen gegangen. Der Streit eskalierte, es sei zu einer blutigen Auseinandersetzung gekommen. Miris hätten einen „Cousin“ angegriffen und schwer verletzt.

Die Stader Al-Zeins hätten sich „natürlich auf die Seite unserer Familie gestellt“. Die Großfamilien wollten die Sache an einem Sonntag „untereinander klären. Es bringt ja nichts, wenn es Tote gibt. Leider hat es uns getroffen.“

Eine Art Friedensgespräch mit Iman und Lesung aus dem Koran sollte den Konflikt zwischen den Al-Zeins und Miris einfrieren. Der Vermittler sollte dafür Sorge tragen, dass „kein böses Blut mehr zwischen uns ist“. Vorher saßen sie sogar friedlich bei einer Hochzeit zusammen.

Miris schockieren die Al-Zeins mit einem Post

Trotz alledem kündigten die Miris mit einem Post eine Woche später an, in ihrem Stader Sportgeschäft auch Shisha-Produkte anzubieten. „Wir waren geschockt“, so der Bruder des Opfers. Das sei für die Al-Zeins „wie ein Schuss ins Bein“ gewesen, sagte er.

Sie hätten keinen Familienkrieg anzetteln wollen. Doch dann hätten die Miris sie mit der Werbung „10.000 Züge für fünf Euro“ bei den Preisen für Vapes (Einweg-E-Zigarette) unterboten - noch dazu am Ramadan. Hinzu seien „harte Beleidigungen aus der untersten Schublade“ über Voicemail gekommen. Sie hätten ihnen auch den Zoll auf den Hals gehetzt. Ihnen sei die Ehre und der Stolz abgesprochen worden: „Sie wollten, dass wir uns beweisen.“

Nebenkläger-Anwalt verhindert Aussage zum Überfall

Als der Nebenkläger und Zeuge ansetzte, seine Version des Überfalls seiner Familie auf das Shisha- und Sportgeschäft der Miris in der Hökerstraße zu erzählen, stoppte ihn sein Anwalt Rainer Mertins. Laut Paragraf 55 der Strafprozessordnung hat der Bruder des Opfers ein Auskunftsverweigerungsrecht. Damit soll verhindert werden, dass er sich selbst oder Angehörige einer Straftat bezichtigt, die verfolgt werden müsste.

Der 34-jährige Angeklagte (Mitte) sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (links) und Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im März 2024 einen 35-Jährigen mit einem Messerstich in den Kopf getötet zu haben.

Der 34-jährige Angeklagte (Mitte) sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (links) und Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im März 2024 einen 35-Jährigen mit einem Messerstich in den Kopf getötet zu haben. Foto: Pool/dpa

Nach dem Vorfall in der Hökerstraße habe er im Hinterzimmer des Shisha-Ladens in der Großen Schmiedestraße gebetet. Das Telefon klingelte nonstop. Plötzlich habe ihm sein Bruder Khaled („wir nannten ihn Kalle“) zugerufen, dass das Wohnhaus der Rachids-Al-Zeins im Altländer Viertel von den Miris angegriffen worden sei. Sie seien losgeeilt. Auf der Brücke am Salztor kam es zum Showdown.

Showdown am Salztor war gewollt

„Ich weiß, wie man kämpft. Wir wollten die Konfrontation“, sagte er. Er hatte seinen Schlagstock dabei. Die Fäuste der Miris und das Pfefferspray der Polizei hätten ihn nicht stoppen können.

Dann habe er das Messer im Kopf seines Bruders gesehen. „Ich fiel in Schockstarre“, sagte der Stader unter Tränen. Die Miris hätten sie noch am Tatort und in den Tagen und Wochen danach verhöhnt: „Ist es das, was ihr wollt - ihr Bastarde?“

Das Salztor ist abgesperrt: Blick auf einen Tatort der Auseinandersetzung zwischen zwei Clans in Stade am 22. März 2024.

Das Salztor ist abgesperrt: Blick auf einen Tatort der Auseinandersetzung zwischen zwei Clans in Stade am 22. März 2024. Foto: Polizei

Er selbst sei auch ihr Opfer, allerdings auch - mit Blick auf die Hökerstraße und das Salztor „ein bisschen Täter“. Er selbst hätte erwartet, dass der Angeklagte Mustafa M. etwas mehr Männlichkeit zeige - und zu seiner Tat stehe. Pathetisch schloss er: „Das ist die ganze Wahrheit, alles liegt jetzt im Ermessen des Gerichts.“

Der Prozess wird am Dienstag, 26. November, 9.30 Uhr, fortgesetzt.

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