TStader Urteil im Totschlag-Prozess: „Opfer ist jämmerlich verblutet“

Hinter der Fassade des Landgerichts Stade wurde am Donnerstag das Urteil im Totschlagprozess gesprochen. Foto: Reese-Winne
Die Wucht und die Sinnlosigkeit der Tat, die sich an Heiligabend 2023 in Cuxhaven ereignete, wurde bei der Urteilsverkündung noch mal auf beklemmende Weise deutlich.
Stade. „Das war‘s“, sagt die Vorsitzende Richterin Reinecker am Donnerstag um 11.57 Uhr im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade. Danach: Totenstille. Nur langsam erheben sich die ersten Personen von den Stühlen. Die Urteile im Totschlagprozess, in dem sich zwei 21-jährige Cuxhavener verantworten mussten, sind gesprochen. Die Worte der Richterin und die Wucht der Tat wirken nach.
Sechsmonatige Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt
Eine gute Dreiviertelstunde lang hatte die Vorsitzende zuvor die Ereignisse an Heiligabend 2023 rekonstruiert und die Entscheidung der 4. Großen Jugendstrafkammer erläutert.
Sieben Jahre Jugendhaft wegen Totschlags für den Jüngeren der beiden; die wegen unterlassener Hilfeleistung gegen den zweiten Beteiligten verhängte sechsmonatige Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Richterin lässt es nicht an Deutlichkeit mangeln
Bei der Beschreibung der Brutalität der Tat und der danach gezeigten Ignoranz ließ die Richterin es nicht an Deutlichkeit mangeln: „Sie haben es zugelassen, dass der Mann jämmerlich quasi vor seiner eigenen Haustür verblutet ist“, sagte sie dem Verurteilten auf den Kopf zu.
Sekunden vor seinem Hinzukommen musste sein Kumpel, der auf einem geklauten E-Scooter auf der Straße Hörn wenige Meter vorgefahren war, die Stiche auf den 56-Jährigen verübt haben - drei in den Arm, zum Teil knochentief, einen in den Bauchraum, einen durch Schläfe und Schädeldecke fünf Zentimeter ins Gehirn.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich dabei der tödlichen Gefahr wohl bewusst war. Schließlich habe er vor Freunden geäußert, dass er dort zugestochen habe, wo es die größte Wirkung zeige.
Tödliche Messerstiche
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„Mit dem Opfer in seiner Blutlache gestanden“
Doch noch stand der Schwerverletzte aufrecht, packte den bis dahin unbeteiligten 21-Jährigen und begann ein Wortgefecht. Die Einlassung des Angeklagten deckt sich mit dem Handyvideo eines Anwohners, der ab diesem Moment den vermeintlich üblichen Streit unter Betrunkenen filmte.
„Sie haben mit dem stark aus dem Bauch blutenden Opfer in dessen Blutlache gestanden, Sie haben die Verletzungen erkannt und haben nach einem Krankenwagen verlangt“, so die Richterin, doch statt die 112 zu wählen, sei er weggelaufen und habe eine Minute später sein Handy dazu benutzt, in der Toreinfahrt des Kaufhauses Stolz seine blutbeschmierten Hände zu filmen, verbunden mit dem Satz: „Digga, der hat den angestochen.“
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Am nächsten Morgen von den Angehörigen gefunden
Sein Interesse habe den Blutspuren auf seiner Markenkleidung gegolten, während das Opfer allein auf der einsamen Straße zurückblieb, nach 50 Metern zusammenbrach und tot war, als ihn am kommenden Morgen seine Angehörigen fanden. Die Rekonstruktion der Ereignisse ertrugen Frau und Tochter als Nebenklägerinnen an allen Prozesstagen im Gerichtssaal.
Der Auslöser war wohl nichtig - alles ging sehr schnell
Der Auslöser für den Konflikt auf der Straße sei nicht mehr festzustellen, konstatierte die Kammer, vermutlich sei er nichtig gewesen. Es gebe keinerlei Hinweise auf einen Angriff oder eine auslösende Handlung vonseiten des 56-Jährigen.
Das Ganze müsse sehr schnell gegangen sein. Bei dem bei der Festnahme sichergestellten Messer handle es sich um ein Messer des Angeklagten, jedoch nicht um die Tatwaffe, stellte die Richterin klar. Es habe DNA-Spuren beider Tatverdächtiger, jedoch nicht die des Opfers getragen. Auf die Rückgabe des Messers habe der junge Mann inzwischen verzichtet.
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Lallend und torkelnd vor und nach der Tat
In die Beurteilung des Strafmaßes floss die erheblich eingeschränkte Einsichts- und Steuerfähigkeit beider Angeklagter durch Drogen- und Alkoholeinfluss ein. Handyvideos und Sequenzen von Überwachungskameras zeigen sie lallend und torkelnd vor und nach der Tat.
Strudel von Alkohol und Drogen
Der Jüngere - damals 20 Jahre und zehn Monate alt - wurde aufgrund erheblicher Reifeverzögerungen gemäß Jugendstrafrecht verurteilt. So dicht an der Schwelle zum Erwachsensein seien hier aber auch die Schwere der Schuld sowie nicht unerhebliche Vorstrafen zu beachten, so das Gericht.
In schwierigen Verhältnissen aufgewachsen und seit früher Kindheit mit Suchtmitteln in Kontakt, habe der junge Mann weder Schul- noch Berufsabschluss erlangt und habe ohne festes Zuhause - oft bei Freunden - in den Tag hineingelebt. Mutter und Schwestern sind inzwischen weit fortgezogen.
Auch der zweite Angeklagte schaffte es im Strudel von Alkohol und Drogen nach dem erfolgreichen Schulabschluss nicht, beruflich Fuß zu fassen. Für ihn sah die Kammer eine deutlich positivere Prognose. Teil der Haftauflage ist eine Begleitung durch die lokale Suchtberatungsstelle. Gegen beide Urteile kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.