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Femizid

TVersuchter Mord: Details einer grausamen Nacht in Buxtehude

Mit der Drehleiter wird das lebensgefährlich verletzte Brandopfer über den Balkon aus der Wohnung in der Schröderstraße in Buxtehude geholt.

Mit der Drehleiter wird das lebensgefährlich verletzte Brandopfer über den Balkon aus der Wohnung in der Schröderstraße in Buxtehude geholt. Foto: Vasel

Ein Mann hat in Buxtehude versucht, seine Ex-Frau bei lebendigem Leib zu verbrennen. Die Staatsanwaltschaft stuft die Tat als versuchten Mord ein. Das ist bekannt.

Von Anping Richter und Björn Vasel Dienstag, 12.11.2024, 16:00 Uhr

Buxtehude. Bei der grausamen Tat am Montagabend verstarb der 47 Jahre alte Mann wie berichtet noch am Tatort. Die Frau schwebt in Lebensgefahr, sagte Polizeisprecher Matthias Bekermann dem TAGEBLATT. Das 1. Fachkommissariat der Polizeiinspektion Stade hat die Ermittlungen übernommen.

Das ist mittlerweile bekannt: Gegen 21 Uhr gingen bei der Leitstelle der Polizeidirektion Lüneburg erste Notrufe ein. Nachbarn berichteten von einer heftigen, lautstarken, körperlichen Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau in einem dreistöckigen Mehrfamilienhaus in der Schröderstraße in Buxtehude.

Der Streit soll auf dem straßenseitigen Balkon der Wohnung der Frau ausgebrochen sein und habe sich schließlich in die Küche verlagert. „Dort überschüttete der Täter die 42-Jährige und sich selbst mit einer brennbaren Flüssigkeit aus einem Kanister und entzündete diese“, sagt Matthias Bekermann. Schwarzer Rauch zog aus der Wohnung.

Polizei und Retter loben Ersthelfer

Die Frau stand in Flammen und versuchte, diese in ihrem Badezimmer selbst zu löschen. Der Polizeisprecher lobt in diesem Zusammenhang einen Ersthelfer: Ein Nachbar brach die Wohnungstür auf. Er kümmerte sich um die lebensgefährlich verletzte 42-Jährige und holte sie aus der verrauchten Wohnung.

Tatort: Blick auf das Wohnhaus in der Schröderstraße.

Tatort: Blick auf das Wohnhaus in der Schröderstraße. Foto: Vasel

Unter Atemschutz rückten auch die Feuerwehrleute in die Wohnung vor. In der Küche fanden sie eine vom Feuer gezeichnete Leiche - den Ehemann der Frau. Der 47-jährige Täter und das 42-jährige Opfer waren laut Polizei verheiratet, lebten allerdings schon längere Zeit getrennt. Wie Bekermann am Dienstag bestätigte, hat die Frau ihren Mann schon vor einigen Monaten nach einem Beziehungsstreit wegen Bedrohung angezeigt.

Rettungshubschrauber war nicht verfügbar

Eine Rettung durch das schmale Treppenhaus kam nicht infrage. Die Ortsfeuerwehr Buxtehude musste die in Lebensgefahr schwebende Frau mit der Drehleiter schonend über den Balkon aus der Wohnung holen.

Mit dem Rettungswagen wurde die 42-Jährige in eine Hamburger Spezialklinik transportiert.

Mit dem Rettungswagen wurde die 42-Jährige in eine Hamburger Spezialklinik transportiert. Foto: Vasel

Im ersten Moment setzten die Retter auf einen Rettungshubschrauber. Doch der war so schnell nicht verfügbar, sagt der Leiter der Feuerwehr- und Rettungsleitstelle in Stade, Wilfried Sprekels. In ganz Norddeutschland gibt es aktuell lediglich vier nachtflugtaugliche Helikopter - in Bremen, Nordholz, Rendsburg und St. Peter-Ording.

Diese können nur mit zwei Piloten und nach einer Vorbereitungszeit von mindestens 30 Minuten starten. Damit wäre der Heli erst nach einer Stunde in Buxtehude verfügbar gewesen. Mit dem Rettungswagen ging es deutlich schneller, sagte Sprekels. Im Unfallkrankenhaus Boberg, einer Spezialklinik für Brandverletzte mit sechs Intensivbetten, kämpften Ärzte und Pflegepersonal auch am Dienstag noch um das Leben der Frau.

Einsatzkräfte müssen schreckliche Bilder verarbeiten

Zug I und Zug II waren mit 60 Freiwilligen im Einsatz. Einige der Feuerwehrleute müssen schreckliche Bilder verarbeiten. „Es war ein belastender Einsatz“, sagt der stellvertretende Stadtbrandmeister Mario Stöppeler. Im Feuerwehrgerätehaus gab es noch in der Nacht eine Nachbesprechung. Den Einsatzkräften wurde Beistand durch Notfallseelsorger angeboten.

Polizisten vor dem Wohnhaus, die Tatortgruppe sichert - nach dem Einsatz der Feuerwehr - die Spuren des Verbrechens.

Polizisten vor dem Wohnhaus, die Tatortgruppe sichert - nach dem Einsatz der Feuerwehr - die Spuren des Verbrechens. Foto: Vasel

Die Tatortgruppe der Polizei sicherte noch in der Nacht erste Spuren. Die übrigen Wohnungen in dem Komplex wurden noch in der Nacht für bewohnbar erklärt. Auch der Erste Stadtrat Ralf Dessel war vor Ort. Zahlreiche Nachbarn beobachteten die Rettung von ihren Fenstern aus, zum Teil mit kleinen Kindern im Arm. Feuerwehrleute schirmten die Verletzte mit Decken ab, Dessel vertrieb einige Anwohner mit der Taschenlampe von den Fenstern.

Gleichstellungsbeauftragte kündigt Lichterkette an

„Wir stehen unter Schock“, sagt die Buxtehuder Gleichstellungsbeauftragte Gabi Schnackenberg. Sowohl bundesweit als auch im Landkreis Stade ist die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr erneut leicht gestiegen. Bundesweit haben 2023 laut Bundeskriminalamt (BKA) rund 250.000 Menschen häusliche Gewalt erfahren - 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Zwei Drittel der Opfer waren dabei von Partnerschaftsgewalt betroffen, fast 80 Prozent von ihnen sind Frauen.

Laut Polizei hat es 2023 im Landkreis Stade 596 Fälle häuslicher Gewalt gegeben, in 347 Fällen handelte es sich um partnerschaftliche Gewalt. Dass die Fallzahlen steigen, liege vor allem daran, dass das Dunkelfeld aufgehellt wird, sagt Schnackenberg - zum Beispiel durch die Arbeit des Netzwerks gegen Häusliche Gewalt. Für Schnackenberg handelt es sich in Buxtehude um einen versuchten Femizid. Es sei wichtig, diese Taten gegen Frauen auch so zu benennen und nicht als Beziehungstragödie, Eifersuchtsdrama oder gar erweiterten Suizid zu verharmlosen.

Die Zahl der Femizide steige seit Jahren. Eine von 155 Frauen in Deutschland, die 2023 von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet wurden, war Renata S.: Ihr Noch-Ehemann tötete sie am 19. September in der Moorstraße in Horneburg mit Messerstichen.

„Jeder Femizid ist einer zu viel“, sagt Gabi Schnackenberg. Alle Bürger seien eingeladen, im Rahmen der Orange Days gegen Gewalt an Frauen am Dienstag, 10. Dezember, 17 Uhr, am Fleth in Buxtehude an einer Lichterkette teilzunehmen und ein Zeichen für die Opfer zu setzen - die toten und die lebenden.

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