TVon Motivation bis Stress: So ist das Leben als Bürgermeister
In der Kommunalpolitik sind immer Plätze frei für engagierte Bürger - das betonen die fünf Ortsbürgermeister in der Samtgemeinde Horneburg. Foto: Buchmann
Das TAGEBLATT hat sich mit allen fünf Ortsbürgermeistern der Samtgemeinde Horneburg über ihr Amt unterhalten. Was sie motiviert, ärgert - und wer aufhört.
Horneburg. „Ach, wo ich dich gerade sehe“: Diese ungewöhnliche Grußformel hört wohl jeder Kommunalpolitiker unzählige Male während seiner Amtszeit - ob beim Einkaufen, beim Arztbesuch oder beim Spazierengehen.
In kleinen Gemeinden spielt traditionell der Ortsbürgermeister eine besondere Rolle für die Bürger: Er ist Repräsentant, Streitschlichter und Zuhörer in einem. Doch bundesweit zeichnet sich ein Trend ab: Es finden immer weniger Kommunen Nachfolger für den Posten des ehrenamtlichen Bürgermeisters.
Das TAGEBLATT hat sich mit allen fünf Ortsbürgermeistern der Samtgemeinde Horneburg für ein Gespräch getroffen, um herauszufinden: Wie ist das Leben mit diesem Ehrenamt?
Mit Jörk Philippsen (Horneburg), Jan-Hinnerk Burfeind (Dollern), Tobias Terne (Bliedersdorf), Hartmut Huber (Nottensdorf) und Stefan Heins (Agathenburg) sitzt insgesamt ein Vierteljahrhundert Bürgermeister-Erfahrung an einem Tisch. In der Kommunalpolitik sind alle schon wesentlich länger aktiv - doch irgendwann einmal Bürgermeister zu werden, hatte keiner von ihnen auf dem Zettel.
Warum wollten Sie eigentlich Bürgermeister werden?
„Ich bin nicht mit der Idee vor 20 Jahren in die Politik gegangen, um irgendwann mal Bürgermeister zu werden“, gesteht Terne. Seine Amtskollegen antworten ähnlich. Dass sie trotzdem allesamt Repräsentanten ihrer Gemeinden geworden sind, hängt überwiegend mit einem damaligen wie heutigen Problem zusammen.
„Mein Vorgänger Gerd Allers wollte nach 25 Jahren aufhören. Wir hätten sonst keinen Nachfolger gehabt“, sagt Stefan Heins, der 2021 ins Amt kam. Auch in Dollern habe sich ein Nachfolgermangel angebahnt, sagt Jan-Hinnerk Burfeind. Also ließ er sich überzeugen.
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„Die Leute kamen auf mich zu und haben gesagt: ‚Mach du das mal’“, erinnert sich Terne. Auch Hartmut Huber erlebte ähnliches in Nottensdorf. In Horneburg überraschte 2021 die zurückgezogene Kandidatur von Frank Fasold (CDU), der eigentlich Hans-Jürgen Detje (CDU) beerben sollte, Detjes damaligen Stellvertreter Jörk Philippsen. „Ich lag gerade auf dem Sofa, als ich die Nachricht bekam“, erinnert er sich. Aber er habe sich schnell damit arrangiert, „nun ist das eben so.“
Was gehört alles zu den Aufgaben eines Bürgermeisters?
„Man ist Repräsentant seines Dorfes“, sagt Huber. Die anderen Bürgermeister pflichten ihm bei. Man versuche, für alle Altersgruppen im Dorf da zu sein und ihnen etwas anzubieten, ob Ausflüge für Senioren oder Feste für die Jüngeren und Familien. „Die Motivation für uns alle ist es, den Ort irgendwie voranzubringen“, sagt Terne.
Der Bürgermeister vereine viele Rollen in sich: Repräsentant, Schiedsrichter, Mediator, Koordinator, Streitschlichter. „Du brauchst wie im Sport einen Mannschaftsführer“, sagt Philippsen. Was alle Fünf im Gespräch immer wieder betonen: Der Bürgermeister ist das Bindeglied zwischen Bürger, Politik und Verwaltung.

Fleckenbürgermeister Jörk Philippsen (zweiter von links) beim Bürgergespräch während des jährlichen Glücksschweinchen-Verkaufs. Foto: Buchmann (Archiv)
Als Bürgermeister stehe man jedoch in der Öffentlichkeit. „Der Bürger hat mit uns Politik zum Anfassen, mit Namen und Gesicht“, sagt Huber. Und Philippsen ergänzt: „Man hat in dem Job absolute Bürgernähe. Als Privatperson unterwegs sein gibt es dann nicht mehr“.
Jobprofil: Ein Bürgermeister muss...
- ...kompromissbereit sein: Einfach durchziehen führe nur dazu, dass man aneckt und irgendwann eine Retourkutsche bekommt. „Wenn man in die Politik geht und meint, nur die eigene Meinung zählt, wird man überall nur Stress haben und nicht weiterkommen“, sagt Terne. Es sei daher wichtig, ein Team zu bilden - auch über Parteigrenzen hinaus.
- ...mit Menschen umgehen können: Da Bürgermeister zwischen Bürger und Verwaltung vermitteln, dürfe man nicht menschenscheu sein. „Man muss Menschen mögen“, sagt Philippsen. Wichtig sei auch, sich mit der eigenen Gemeinde zu identifizieren. „Man muss sich für seine Nachbarn interessieren und aufeinander achten“, sagt Huber.
- ...ein dickes Fell haben: „Man muss sich jeden Tag anhören, was man nicht richtig macht“, sagt Huber. Seine Strategie: „Hier rein, da raus. Das muss man können“. Generell haben alle Fünf den Eindruck, dass sich die Kultur in Sachen Kritik gegenüber Kommunalpolitikern in den vergangenen Jahren verändert habe. Burfeind störe die Mentalität einiger weniger, „einfach nur mal draufzuhauen“. Deswegen dürfe man nicht alles an sich rankommen lassen. Burfeind: „Du darfst das nicht mit nach Hause nehmen“.
- ...neutral sein: Für ehrenamtliche Bürgermeister gilt das sogenannte Neutralitätsgebot. „Man ist der Vertreter für alle Bürger im Dorf“, sagt Huber. Weiterhin müsse ein Bürgermeister andere Meinungen gelten lassen und andere Meinungen tolerieren, auch wenn sie der eigenen widersprechen. „Außer, wenn sie unwahr sind“, ergänzt Huber. Dann müsse man einschreiten.
Wie viel Zeit muss man in das Ehrenamt investieren?
Wie in jedem anderen Ehrenamt auch, müssen auch Bürgermeister ihr Engagement mit Familie, Beruf und persönlicher Freizeit arrangieren. Eine 2024 von der Ruhr-Universität Bochum durchgeführte Umfrage unter 1500 ehrenamtlichen Bürgermeistern zeigte: Im Durchschnitt mussten die Amtsinhaber 20 Stunden pro Woche für ihre Tätigkeit in der Kommune aufwenden - abhängig etwa von der Größe der Gemeinde.

Bürgermeister im Austausch: Tobias Terne und Hartmut Huber (mittig) im Rohbau der neuen Grundschule Blino. Foto: Buchmann (Archiv)
Alle fünf Ortsbürgermeister in der Samtgemeinde waren zu Beginn ihrer Amtszeiten berufstätig, Philippsen und Huber sind inzwischen im Ruhestand. Wie schwer Ehrenamt und Privatleben zu trennen sind, erklärt Heins an einem aktuellen Beispiel. „Erst kürzlich klingelte jemand samstags um 20.30 Uhr an meiner Haustür, er habe jetzt ein Problem“, sagt Heins. Wie ist der Versicherungsberater und Familienvater damit umgegangen? „Ich habe vermittelt“, sagt Heins.
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Auch Tobias Terne berichtet von der zeitlichen Belastung. Er leitet seit 1998 selbstständig eine Sanitär- und Heizungsfirma, hat selbst Familie und ist in vielen Vereinen aktiv. Zudem vertritt er die CDU im Kreistag.
Wie bringt man das unter einen Hut? „Einen Betrieb und Familie nebenbei zu haben, das merkt man schon“, sagt Terne. Die Sitzungstermine seien überschaubar und gut in den Alltag einplanbar. „Wenn man Lust auf etwas hat und dafür brennt, dann findet man die Zeit“, betont Terne.
Welche der derzeitigen Bürgermeister wollen gerne weitermachen?
Stefan Heins und Jörk Philippsen stehen aktuell für eine weitere Amtszeit zur Verfügung. Auch Jan-Hinnerk Burfeind wäre grundsätzlich bereit. Hartmut Huber habe sich nach längerem Hadern umentschieden und denke über eine weitere Kandidatur nach.
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Tobias Terne hat derweil eine Entscheidung getroffen: 2026 wird für ihn nach zehn Jahren als Bliedersdorfer Bürgermeister Schluss sein. „Es fällt mir wirklich schwer, aber jetzt kann das auch mal jemand anderes übernehmen“, sagt er. Terne habe inzwischen eingesehen, dass drei politische Ämter und eine eigene Firma zu viel für ihn waren. Bereut habe er es aber nie.