Zähl Pixel
Gastronomie

TWider das Restaurantsterben: Wie drei Köche ihre Landgasthöfe retten

Vor vier Jahren hat Sebastian Uecker den Gasthof Wurster Hof in Dorum von seinen Eltern übernommen - zunächst zusätzlich zum Angestelltenjob.

Vor vier Jahren hat Sebastian Uecker den Gasthof Wurster Hof in Dorum von seinen Eltern übernommen - zunächst zusätzlich zum Angestelltenjob. Foto: Leuschner

Sebastian Uecker, Kevin Lauer und Sebastian Rautenberg haben etwas riskiert: Sie haben sich im Kreis Cuxhaven mit einem Landgasthof selbstständig gemacht. Mit Leidenschaft, Mut und neuen Ideen.

Von Heike Leuschner Montag, 02.12.2024, 17:05 Uhr

Landkreis Cuxhaven. Sebastian Uecker steht in der Profiküche des Wurster Hofs in Dorum und würzt Schweinefleisch. „Damit hat mal alles angefangen“, erzählt der 35-jährige Familienvater. Er war noch nicht auf der Welt, als seine Eltern in Dorum in den 1980er Jahren eine alte Schlachterei kauften.

Später, als sich der Schlachtbetrieb aufgrund behördlicher Auflagen für sie nicht mehr lohnte, konzentrierten sich Ueckers Eltern auf das Cateringgeschäft. Anfang der Nullerjahre bauten sie ein Restaurant und einen kleinen Saal an.

Von Kindesbeinen an mit der Gastronomie vertraut

„Ich habe Koch gelernt, weil ich in der Gastronomie aufgewachsen bin und Spaß hatte zu helfen“, erzählt Uecker. Nach der Ausbildung in einem Cuxhavener Hotel und einigen Zwischenstationen wechselte er zum Seefisch-Kochstudio in Bremerhaven.

2020 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit, übernahm den elterlichen Betrieb. Corona hielt ihn aber zunächst davon ab, alles auf eine Karte zu setzen. So arbeitete er tagsüber in Bremerhaven und abends im eigenen Restaurant. Erst 2022 kündigte er im Seefisch-Kochstudio.

Ortswechsel: Sebastian Rautenbergs Landgasthof Tamms liegt in Neuenkirchen, einem kleinen Ort bei Otterndorf. Vor 103 Jahren haben Rautenbergs Urgroßeltern die Gastwirtschaft gegründet. Wenn der 41-Jährige davon erzählt, dass er den Betrieb in vierter Generation führt, schwingt Stolz mit. Aber auch Respekt vor der eigenen Courage, räumt der verheiratete Vater zweier Töchter ein.

„Ich bin Gastronom mit Leib und Seele“

Wie Uecker hat auch Rautenberg Koch gelernt. Weil seine Mutter früh verstarb, half er der Großmutter schon als Jugendlicher, den Gasthof zu erhalten. Als die Großmutter 2009 starb, übernahm er den Gasthof mit Kneipe, Clubzimmer und großem Saal komplett.

Sebastian Rautenberg betreibt Tamms Gasthof in Neuenkirchen bereits in vierter Generation. Neben ihrem Halbtagsjob bei der Stadt Geestland ist Ehefrau Peggy Chefin im Gasthaus-Service.

Sebastian Rautenberg betreibt Tamms Gasthof in Neuenkirchen bereits in vierter Generation. Neben ihrem Halbtagsjob bei der Stadt Geestland ist Ehefrau Peggy Chefin im Gasthaus-Service. Foto: Leuschner

„Ich bin Gastronom mit Leib und Seele“, betont er, „auch weil ich meine Oma unterstützen musste.“ Nach ihrem Tod stellte er sich die Frage: „Gibt man das auf, ohne es versucht zu haben?“ Seine Antwort lautete Nein.

Gemeinsam mit Ehefrau Peggy betrieb er den Landgasthof rund 14 Jahre im Nebenerwerb. Hauptberuflich arbeitete er in der Mensa der Hochschule Bremerhaven. Weil die Doppelbelastung immer größer wurde, stellte er sich selbst vor die Wahl und entschied sich 2022 endgültig für den Landgasthof seiner Vorfahren. „Wenn nicht mit 40 - wann dann?“

Außer-Haus-Verkauf als wesentliches Geschäftsmodell

Er setzt auf In- und Außer-Haus-Gastronomie. Letztere habe sich vor allem in Corona-Zeiten bewährt. So gut, dass er im Winterhalbjahr weiterhin regelmäßig Hochzeitssuppe kocht. In den zwei Stunden Außer-Haus-Verkauf werde er regelmäßig 500 bis 600 Portionen los. „Die Leute kommen fast aus dem ganzen Landkreis mit ihren Töpfen“, erzählt er.

Auf Rautenbergs Speisekarte stehen neben Hamburgern und Veggieburgern auch Schnitzel und Currywurst. Neuerdings bietet er auch Mittagstisch an, weil er bei den Gästen gut ankommt. „Man muss sich breit aufstellen“, ist der 41-Jährige überzeugt.

Waren es früher vor allem Einheimische, bewirten die Rautenbergs heute auch viele Urlauber und Fahrradfahrer, die an ihrem Gasthaus mit großem Sommergarten vorbeikommen. Nur die Neuenkirchener selbst, sagt Rautenberg, hätten sich in den vergangenen Jahren rar gemacht.

Geschäft im November um 60 Prozent eingebrochen

Kevin Lauer setzt sich manchmal an den Stammtisch zu den Einheimischen. „Das ist die Gelegenheit zu erfahren, was die Spieka-Neufelder mögen“, sagt der Betreiber des Landgasthauses Zur gemütlichen Ecke in Spieka-Neufeld.

Kevin Lauer und seine Frau Shannon sind ein eingespieltes Team. Seit 1. März betreiben die dreifachen Eltern das Traditionsgasthaus „Zur Gemütlichen Ecke“ in Spieka-Neufeld.

Kevin Lauer und seine Frau Shannon sind ein eingespieltes Team. Seit 1. März betreiben die dreifachen Eltern das Traditionsgasthaus „Zur Gemütlichen Ecke“ in Spieka-Neufeld. Foto: Leuschner

Lauer ist noch neu im Geschäft. Erst im März hatte der gelernte Koch mit seiner Frau Shannon den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Bis dahin hatte er immer als Angestellter gearbeitet. Er pachtete den Landgasthof, der ideal am Weser-Radweg und nicht weit von einem Saison-Campingplatz im Außendeichgelände liegt.

Doch die Lage hinter dem Nordseedeich am Rande eines kleinen Dorfes ist nicht nur ein Vorteil: „Als die Touristen im November weg waren, ist der Umsatz um 60 Prozent eingebrochen.“ Lauer musste zwei Teilzeitkräfte entlassen. „Das hat unheimlich wehgetan.“

20 Jahre Kocherfahrung, aber als Selbstständiger ein Anfänger

Zwar hat der 37-Jährige 20 Jahre Kocherfahrung, doch als Selbstständiger ist er noch ein Anfänger. „Es ist schon enorm, was da an Rechnungen kommt. Diesen ganzen Ärger hast du im Angestelltenleben nicht.“ Aber aufgeben? „Nein“, sagt Lauer, „es macht mir so viel Spaß mit den Gästen, das kann ich nicht hinschmeißen.“

Stattdessen plant er einige Neuerungen. So möchte er künftig auf den Imbisswagen für den Fahrrad-Tourismus verzichten und die Gäste in der Saison aus dem Gasthaus heraus bewirten. Außerdem will er Traditionsgerichte wie Speck und Klüten auf die Karte setzen.

Optimistisch stimmt Lauer die Grünkohl-Saison. An dieser Stelle wirken sich die Lücken, die benachbarte Landgasthöfe wie der Wurster Krug und der Milmer Treff in der Gastro-Landschaft gerissen haben, für Lauer positiv aus. „Trotzdem ist es unheimlich traurig, dass immer mehr Landgasthöfe aufgegeben werden“, bedauert der Gastronom.

Tipp: Am besten übernimmt man einen laufenden Landgasthof

Auch Sebastian Uecker beobachtet die Gasthofschließungen im Kreis Cuxhaven mit Sorge. Gleichzeitig hält er es für eine große unternehmerische Herausforderung, einen traditionellen Landgasthof erfolgreich zu betreiben.

Ganz bewusst habe er sich für den elterlichen Betrieb wegen der guten Startbedingungen entschieden: „Man bekommt keine bessere Chance, wenn man Gastro machen will, als einen laufenden Betrieb zu übernehmen.“ Dass seine Eltern den Gasthof immer renoviert und keinen Sanierungsstau hinterlassen haben, habe bei seiner Entscheidung eine wichtige Rolle gespielt.

Uecker hält es für ungleich schwerer, einen (Land-)Gasthof erfolgreich zu betreiben, wenn er erst einmal leersteht. In seiner Beispiel-Kalkulation sind für den Start mindestens 30.000 bis 40.000 Euro erforderlich – Investitionen in den Bestandsbau nicht inbegriffen.

Puffer für Getränke, Lebensmittel und Gehälter einplanen

Allein für die Erstbestellung an Getränken rechnet Uecker mit 10.000 Euro, für Lebensmittel kommen 7000 bis 9000 Euro dazu. Außerdem sollte ein Puffer für die Gehälter und Lohnnebenkosten für die ersten beiden Monate vorhanden sein. „Ansonsten besteht das Risiko, dass das Unternehmen nach drei Monaten schon am Ende ist.“

Noch nicht eingerechnet ist die Finanzierung des Gasthofes selbst. „Für einen großen Landgasthof läuft unter 3000 Euro Pacht wahrscheinlich gar nichts“, schätzt Uecker. Und wer kaufen wolle, müsse bei alten Landgasthöfen oft mit mindestens 500.000 Euro rechnen. Und das, ohne renoviert zu haben.

Uecker ist gern Gastronom. „Aus Leidenschaft“, wie er sagt. „Ich habe Lust, Gäste zu bewirten und ein Stück weit glücklich zu machen.“ Allerdings hätte er kein gutes Gefühl, wenn er zur Übernahme alter Landgasthöfe aufrufen würde.

Ausnahme: Der Betrieb ist energetisch saniert, renoviert, gepflegt und findet nur keinen Nachfolger. „Dann muss man das Risiko vielleicht eingehen. Wenn es keine Unternehmer mehr gibt, die bereit sind, ein Risiko einzugehen, dann würde es unsere Wirtschaft so gar nicht geben.“

Frischer Wind für Traditionsgasthöfe im Kreis Stade

Auch im Kreis Stade gibt es mutige Gastronomen, die einen Traditionsgasthof übernehmen.

Andrea Patrzyk, Inhaberin des Alten Fährhauses, möchte den Restaurant- und Hotelbetrieb des traditionsreichen Gasthofes in Cranz wieder aufnehmen. In dem 1638 erbauten Fährhaus möchte sie ab dem Frühjahr 2025 qualitativ hochwertige Regionalküche anbieten.

Nachdem der letzte Pächter Henrik Gerjets im Sommer den Großenwördener Hof nach drei Jahren verlassen hatte, hat die Gemeinde bereits einen neuen Betreiber für den Gasthof gefunden. Felix und Katharina Fitze haben in dem historischen Gasthaus viel vor. Gutbürgerliche Küche mit Steakburger, Backfisch, Grünkohl und Pasta soll auf der Karte stehen. Zum Weihnachtsbüfett soll es auch Schmorgerichte geben. (set)

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel

95-Jähriger für 80 Jahre Feuerwehrdienst geehrt

Mit 15 Jahren trat er in die Feuerwehr ein, jetzt ist er 95: Christoph Bardenhagen erzählt, wie Feuerwehrdienst mit Pferdewagen nach dem Krieg aussah – und warum er bis heute nicht loslassen kann.