TTrotz Krise: Warum er unbedingt Metzger werden wollte

Mit Stolz im Handwerk: Tjark Jagels zeigt, dass Tradition und Zukunft Hand in Hand gehen. Foto: Hülbig
Warum entscheiden sich Jugendliche fürs kriselnde Handwerk? Trotz aller Vorurteile gibt es Ausnahmen. Davon erzählt Tjark Jagels von der Landschlachterei.
Ringstedt. Das Handwerk kämpft seit Jahren mit einem Nachwuchsmangel und hartnäckigen Vorurteilen: Körperliche Arbeit, geringe Flexibilität und schlechtere Aufstiegschancen als in akademischen Berufen - das sind die gängigen Klischees, die viele junge Menschen vom Handwerk fernhalten. Die Chancen auf eine Trendwende scheinen gering.
Das zeigen nicht nur Studien und Nachrichten, sondern auch ein Gang durch die heimische Innenstadt: Immer mehr Betriebe suchen händeringend nach Nachwuchs. Dabei ist das Handwerk das Rückgrat der regionalen und globalen Wirtschaft. Doch es gibt Ausnahmen.
Einige junge Menschen entscheiden sich bewusst für das Handwerk. Einer von ihnen ist Tjark Jagels, Fleischer aus Ringstedt, der seinen Weg in den Beruf gefunden hat - wenn auch erst auf den zweiten Blick.
Vom Schreibtisch in die Wurstküche
Montag, 4 Uhr morgens: Der Wecker klingelt. Wenn die meisten noch tief und fest schlafen, beginnt für Tjark Jagels die neue Arbeitswoche. Ohne Zeit für ein Frühstück schlüpft er in seine weiße Latzhose und Fleischerjacke. „Das ist die halbe Stunde Schlaf mehr wert“, sagt er lachend und schnappt sich seinen Coffee to go aus der heimischen Kaffeemaschine.
Der Weg führt ihn zum „Landschlachter Wiecke“ in Lunestedt. Hier wird noch selbst geschlachtet - eine Tätigkeit, die Präzision und Respekt vor dem Tier erfordert. Tjark und seine Kollegen müssen nicht nur die Technik beherrschen, sondern auch die Hygienevorschriften genau einhalten, um ein qualitativ hochwertiges Produkt zu garantieren.
Nur noch ein Vertrag im Jahr 2023 unterzeichnet
Was vor einigen Jahrzehnten noch gang und gäbe war, ist heute eine Seltenheit. „Die Zahl der Ausbildungsverträge für Fleischer ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken“, teilt Juliane Hermes, Beraterin für das Programm „Passgenaue Besetzung“ bei der Kreishandwerkerschaft Elbe-Weser, mit und ergänzt weiter: „Derzeit gibt es, im Raum Elbe-Weser 154 bei der Handwerkskammer eingetragene Fleischerbetriebe.
Darunter sind allerdings auch alle Fleischereien in Edeka Filialen.“ Davon seien 23 Betriebe in der Fleischerinnung Elbe-Weser. Die Zahl der Ausbildungsverträge innerhalb der Innung schwankte in den vergangenen drei Jahrzehnten sehr stark. 1990 bis 1999 waren es 14 Verträge; 2000 bis 2010 stieg die Zahl auf 36 und von 2011 bis 2020 waren es 21.
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Derzeit gibt es nur noch einen Vertrag, der 2023 unterzeichnet wurde. „Die Zahlen aus 2024 liegen noch nicht vor. Der Trend zeigt: Immer mehr Metzgereien schließen, Supermärkte und Großbetriebe dominieren das Geschäft“, betont Juliane Hermes.
Im Betrieb „Landschlachter Wiecke“, den Erich Wiecke (62) 2012 übernommen hat, arbeiten heute insgesamt 15 Mitarbeiter. In der Wurstküche sind es drei.
Schlachten als Lieblingsaufgabe
Trotz aller Entwicklungen entschied sich Tjark ganz bewusst für den Metzgerberuf. „Schon als Kind habe ich mit meinem Bruder meinen Großeltern beim Schlachten ihrer Enten geholfen“, erzählt er schmunzelnd und fügt hinzu: „Da lernt man, wo das Fleisch wirklich herkommt - und dass es eben nicht in der Tiefkühltruhe wächst.“ Seine Lieblingsaufgabe ist das Schlachten selbst.
Aber auch das Kuttern, also die Herstellung des Bräts, macht ihm Spaß: „Beim Kuttern braucht man technisches Geschick und ein gutes Gespür: Die Temperatur und die Zusammensetzung der Zutaten müssen genau stimmen, damit die perfekte Wurstmasse entsteht - ein Fehler und das Ergebnis ist unbrauchbar.“
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Während der 25-Jährige das sagt, sitzt er in dem Frühstücksraum des Betriebes und trinkt heißen Kaffee. Es ist 8 Uhr morgens, Zeit für das gemeinsame Frühstück mit dem Team - ein fester Bestandteil des Arbeitsalltags. „Wir fangen ja auch schon früh an“, erklärt Tjark. „Um 8 Uhr setzen wir uns hier an den Tisch, essen zusammen und schnacken über Gott und die Welt bis es wieder an die Arbeit geht.“
Lust auf eigene Produkte
Aber warum hat sich Tjark für eine Fleischerlehre entschieden? Und warum in einem kleinen Betrieb auf dem Land? „Während meiner ersten Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann habe ich schnell gemerkt, dass ich das nicht mein Leben lang machen möchte“, sagt er. „Ich möchte meine eigenen Produkte herstellen, die ich am Ende des Tages in den Händen halte.“
Für Tjark ist dieses Handwerk mehr als nur ein Job. „Ich sehe darin eine große Chance - nicht nur für mich, sondern zum Beispiel auch für die Bauern, von denen wir die Schweine und Rinder kaufen. Die Nachfrage nach regionalem Fleisch steigt, und es gibt immer weniger kleine Metzgereien, die diese Nachfrage bedienen können.
Die Leute legen heute wieder mehr Wert darauf, zu wissen, wo ihr Fleisch herkommt. Das Handwerk bietet hier echte Transparenz - wir arbeiten direkt mit regionalen Landwirten zusammen. Diese Nähe und die kurzen Transportwege machen unser Produkt nachhaltig“, erklärt Tjark Jagels.
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Sein nächstes Ziel? Ein Meisterkurs. „Der dauert nur drei Monate“, sagt er. „Das geht schnell, und danach hoffe ich, dass ich dann einmal selber Lehrlinge habe und ein Ausbildungsbetrieb werde.“
Stolz schwingt in seiner Stimme mit, wenn er über seine Arbeit spricht. Für ihn ist es nicht nur ein Job, sondern eine sinnstiftende Aufgabe: „Wenn ich abends nach Hause komme, weiß ich genau, was ich gemacht habe. Und das gibt mir ein gutes Gefühl.“ Mit seiner Entscheidung für den Metzgerberuf beweist Tjark Jagels: Das Handwerk lebt - auch in der nächsten Generation.