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Wohnraum

TAnwohner kritisieren geplantes Öko-Baugebiet in Grünendeich

In Harsefeld ist die SmartCity am Weißdornweg bereits Wirklichkeit, im Alten Land könnte ein ähnliches Wohngebiet in Grünendeich entstehen.

In Harsefeld ist die SmartCity am Weißdornweg bereits Wirklichkeit, im Alten Land könnte ein ähnliches Wohngebiet in Grünendeich entstehen. Foto: Vasel

Die Stimmung ist angespannt, Nachbarn laufen Sturm gegen eine geplante Öko-Siedlung in Grünendeich. Die Politik dagegen steht mehrheitlich hinter dem Projekt. Das sagen Gegner und Befürworter.

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Von Björn Vasel
Donnerstag, 23.05.2024, 05:50 Uhr

Grünendeich. Im April lobte die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) das Viebrockhaus-Konzept für Power-Townhouses (Reihenhäuser) und die CO₂-neutrale Öko-Siedlung Smart City. Die Harsefelder stellen aktuell unter Beweis: Sozial geförderter, bezahlbarer Wohnungsbau und eine ökologisch nachhaltige Bauweise müssen nicht miteinander im Widerspruch stehen.

Smart City stößt auf Kritik

Im Alten Land stoßen die Pläne für eine 2,3 Hektar große Smart City mit 40 bis 60 Wohneinheiten nahe des Lühe-Anlegers aber auf Kritik. Der Saal der Schönen Fernsicht war am Dienstagabend voll, die Stimmung zeitweise aufgeheizt. Viele Eigentümer aus dem ab 1972 erschlossenen Wohngebiet Blütenstraße lehnen ein neues Wohngebiet nordöstlich der Tennisplätze ab.

Das 2,3 Hektar große Wohngebiet (rot) soll links des Lühe-Anlegers oberhalb der Spreenstraße und der Tennisplätze in Grünendeich entstehen.

Das 2,3 Hektar große Wohngebiet (rot) soll links des Lühe-Anlegers oberhalb der Spreenstraße und der Tennisplätze in Grünendeich entstehen. Foto: Google Earth

Wie ist der Stand?

Die Kommunalpolitiker haben sich in nicht öffentlicher Sitzung und bei einem Vor-Ort-Termin in Harsefeld bereits das Viebrock-Konzept vorstellen lassen.

Grundstückseigentümer Rainer Cordes hat den Antrag gestellt, die Weiden und Obstbauflächen zwischen Grünendeicher Wettern, Spreenstraße, Barthold-Drewes-Straße und Fährstraße als Bauland auszuweisen.

Dazu zählen allerdings auch Grundstücke, die ihm nicht gehören. Diese sollen mit Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern von Viebrockhaus bebaut werden.

So könnten die Power Townhouses in Grünendeich aussehen: Eine Seite ist ein Gründach, die andere Seite des Satteldachs ist eine Photovoltaikanlage.

So könnten die Power Townhouses in Grünendeich aussehen: Eine Seite ist ein Gründach, die andere Seite des Satteldachs ist eine Photovoltaikanlage. Foto: Viebrockhaus

Grünendeicher müssten Bebauungsplan aufstellen

Die Erschließung soll über die Spreenstraße erfolgen, sagte der Bauausschussvorsitzende Rolf Lühders (CDU) mit Verweis auf den Antrag. Cordes wolle das Baugebiet mit der Viebrockhaus AG realisieren. Dafür müsste die Samtgemeinde Lühe den Flächennutzungsplan ändern.

Die Grünendeicher müssten für die Öko-Siedlung „in Anlehnung an die Smart City von Viebrock“ einen Bebauungsplan aufstellen, so Bauamtsleiter Lars Trucewitz. Kai Klegräfe (CDU) trat auf die Bremse.

Vor einem Beschluss wollte er erst einmal den Bedarf an Wohnraum ermitteln lassen. Die Frage sei, welches Ziel die Kommune mit der Ausweisung eines Baugebietes verfolgen wolle.

CDU: Infrastruktur müsse bei einem Neubaugebiet mitwachsen

Sollen sich junge Familien in Grünendeich niederlassen? Soll ein Fokus auf Senioren liegen? Diese Fragen müssten im Vorfeld geklärt werden, so Klegräfe. Außerdem müsse sicher sein, dass bei einem Bevölkerungswachstum die Infrastruktur ausgebaut werde. Deshalb warb Klegräfe für eine Vertagung - vergeblich.

Inge Massow-Oltermann (FWG) sieht in der Öko-Siedlung ein Leuchtturmprojekt. Das Smart-City-Konzept von Viebrock „halte ich für zukunftsweisend“, sagte sie. Die Flächen eigneten sich zum Teil nicht mehr für den modernen Obstbau. Eigentümer wollten ihre zum Teil noch verpachteten Flächen aufgrund ihres hohen Alters veräußern.

Das Baugebiet in Grünendeich soll über den Wendehammer Spreenstraße erschlossen werden.

Das Baugebiet in Grünendeich soll über den Wendehammer Spreenstraße erschlossen werden. Foto: Vasel

Die FWG-Politikern hob den ökologischen Aspekt hervor. Auf den Dächern würde Photovoltaik installiert. Unter anderem sollen Gründächer, Speicherschichten unterhalb der Straßen und Wege sowie Zisternen bei Starkregen das Wasser wie ein Schwamm zurückhalten, das Entwässerungssystem im Dorf werde nicht überlastet.

Hinzu komme: Die Siedlung wäre CO₂-neutral und klimaschonend, recycelte Materialien kämen beim Bau zum Einsatz.

Wohnraumversorgungskonzept sieht Bedarf

Des Weiteren verwies Massow-Oltermann auf das neue Wohnraumversorgungskonzept des Landkreises Stade. Das sieht einen Bedarf für 123 Ein- und Zweifamilienhäuser und 209 Mehrfamilienhäuser bis 2040 in der Samtgemeinde Lühe.

Hans-Heinrich Schenk (SPD) stieß in dasselbe Horn: „Ich sehe das recht positiv.“ Mit dem Projekt könnte auch der soziale Wohnungsbau angekurbelt werden. Es bestehe großer Bedarf an bezahlbarem Wohnraum. Bei der Ausweisung des Baugebietes könnte ein Mindestanteil festgeschrieben werden.

Voller Saal bei der Sitzung des Bauausschusses der Gemeinde Grünendeich in der Fernsicht.

Voller Saal bei der Sitzung des Bauausschusses der Gemeinde Grünendeich in der Fernsicht. Foto: Vasel

Politik will keinen Brennpunkt

Bürgermeister Nikolai Müller (CDU) stellte klar: „Wir wollen keinen Brennpunkt schaffen.“ Sein Fraktionskollege Gerd Dehmel (CDU) unterstrich, dass die schwarz-grüne Gruppe sich dafür stark machen werde, dass ein Investor wie beim Baugebiet Appelhoff in Jork-Borstel über einen Folgekostenbeitrag an den Mehrkosten für die Infrastruktur beteiligt werden soll.

Grundlage der Berechnung wäre die prognostizierte Zahl der Kinder, die nach der Fertigstellung des neuen Wohngebietes die Kita sowie die Grund- und die Oberschule besuchen könnten.

Altbürger lehnen Neubaugebiet ab

Einen Vorschlag für eine zweite Zufahrt - insbesondere für Feuerwehrfahrzeuge und Rettungswagen - gab es am Dienstag im Bau- und Wegeausschuss noch nicht. Anwohner fürchten Baulärm und -erschütterung, der Bauamtsleiter sicherte Beweissicherung und Bauzeitenfenster zu.

Bürgermeister Müller versuchte, die Wogen zu glätten. Bürger fürchten, dass das Entwässerungssystem die Wassermassen nicht aufnehmen könne. Keller, Gärten und Gräben könnten volllaufen. Des Weiteren sehen die Bewohner des angrenzenden Baugebietes die Verkehrsanbindung über Spreenstraße und Tempo-30-Zone kritisch.

Fachpersonal fehlt schon heute

Eine Erzieherin bemerkte, dass in Kita und Hort schon heute das Fachpersonal fehle, eine zweite Hort-Gruppe musste geschlossen werden. Andere unterstrichen, dass sie ihr Haus bewusst aufgrund des unverbauten Blicks auf die Wiesen und Plantagen gekauft hätten.

Letztlich sprach sich der Ausschuss mehrheitlich für die Aufstellung eines Bebauungsplans aus - verbunden mit der Auflage, dass die Planungskosten vom Vorhabenträger über einen städtebaulichen Vertrag zu übernehmen seien. Im Rahmen des Verfahrens werden Bürger ihre Meinung äußern können. Mitte Juni tagt der Grünendeicher Rat. Dieser steht bislang mehrheitlich hinter dem Baugebiet.

Weitere Infos:

Das neue Wohnraumversorgungskonzept des Landkreises Stade sieht einen Bedarf für mehr Wohnungen in der Samtgemeinde Lühe. Aktuell gibt es knapp 5200 Wohnungen in der Kommune, davon knapp 20 Prozent in Mehrfamilienhäusern. Laut Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWis) aus Bochum müssten - aufgrund der Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung - 123 Ein- und Zweifamilienhäuser bis 2040 errichtet werden. Des Weiteren sehen die Städteplaner im selben Zeitraum einen Bedarf für 209 Mehrfamilienhäuser. Außerdem bemängelt InWis, dass es in der Samtgemeinde Lühe lediglich noch acht geförderte Mietwohnungen gibt. Rein rechnerisch gebe es laut InWis-Raumplanerin Regina Höbel „einen Mehrbedarf an preisgebundenen Wohnungen“ von 65 Sozialwohnungen bis 2040 für einkommensschwache Haushalte. In den Mitgliedsgemeinden fehlten bezahlbare, aber auch kleine Wohnungen - beispielsweise für Starterhaushalte, Flüchtlinge, minderverdienende Haushalte und für Senioren. Außerdem verhindere das hohe Mietpreisniveau häufig die Anmietung. Folge: Wegzug aus der Kommune. „Es besteht ein quantitativer und ein qualitativer Bedarf, diesen Personenkreis zu versorgen“, heißt es in dem Kommunalsteckbrief Lühe des 92-Seiten starken Wohnraumversorgungskonzeptes.

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