TBundesminister in Jork: Özdemirs Schulterschluss mit den Obstbauern

Zu Gast bei den Obstbautagen: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will die Zukunft von Land- und Ernährungswirtschaft gemeinsam mit Obstbauern gestalten. Foto: Vasel
Wenn selbst CDU-Politiker einen Minister der Ampel-Koalition mit viel Applaus bedenken, dann muss etwas Außergewöhnliches passiert sein. Und außergewöhnlich war sie, die Rede von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in Jork. Wie der Grüne die Schwarzen mitnahm.
Jork. Weder US-Präsident Joe Biden noch Papst Franziskus waren gestern Nachmittag im Alten Land. Dennoch glich die Gemeinde Jork bereits am Morgen einem Hochsicherheitstrakt. Um 14.55 Uhr stieg der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), aus seinem Audi - umringt von den Personenschützern des Bundeskriminalamtes (BKA). Bereits im Vorfeld hatte sich das BKA ein Bild vom Messegelände verschafft.

Abfahrt unter Polizeischutz. Foto: Vasel
Während Özdemirs Kolonne parkte, sicherten Bereitschaftspolizei und Staatsschutz den Ortskern, den Festplatz und die Festhalle.
Zum Vergleich: Als seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) die Obstbauern einst besucht hatte, hatte sie einen Referenten und einen Fahrer im Schlepptau - das war‘s.
Obstbauern applaudieren Cem Özdemir
Zugegeben, es sind andere Zeiten - mit, gelinde gesagt, sehr erbosten Bauern. Gewaltsame Proteste gab es am Donnerstag in Jork aber nicht. „Wir behandeln unsere Gäste mit Respekt, wir setzen auf Dialog“, hatte der neue Vorsitzende des Obstbauversuchsrings, Karsten Palm, bei den Norddeutschen Obstbautagen als Devise ausgegeben.
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Mit Achtung empfingen die Altländer den Minister. Auf dem Stand der Landfrauen unterstrich Özdemir, dass die Bilder von Biberach, wo Grünen-Politiker massiv bedrängt worden waren und deswegen ihr politischer Aschermittwoch abgesagt wurde, nicht die politische Debatte bestimmen dürften. Stattdessen müsse, so Özdemir, über „die wichtige Frage“ diskutiert werden, wie der Selbstversorgungsgrad beim Obst in Deutschland von heute 20 Prozent gesichert und erhöht werden könne. Dafür gab es bereits beim Messerundgang - wie schon am Esteburg-Stand - breiten Applaus.
Apfel in Regenbogenfarben leuchtet Minister entgegen
Um 15.22 Uhr betrat der Minister die Festhalle. Diese war bis auf den letzten Platz besetzt. Fast 500 Gäste - überwiegend Obstbauern - wollten seine Rede hören. Auf der großen Leinwand ein deutliches Zeichen: ein Apfel in Regenbogenfarben und der Satz: „Obstbau ist bunt“.

Obstbau ist bunt - ein deutliches Zeichen gegen Extremismus in der Festhalle. Foto: Vasel
Nach Grüner Woche in Berlin, Biofach in Nürnberg und jetzt den Norddeutschen Obstbautagen in Jork befinde er sich „im Messefieber“, sagte Özdemir. Er würdigte gleich zu Beginn seiner Rede den „hohen Standard“ im ökologischen und integrierten Obstbau und lobte die intensive übergreifende Zusammenarbeit bei Forschung und Beratung. Die 500 Familienbetriebe versorgten nicht nur die Verbraucher „täglich mit frischem, leckerem und gesundem Obst“, sondern trügen auch durch kurze Transportwege zum Klimaschutz und zur Biodiversität bei. Das zeige sich gerade im Alten Land sehr eindrücklich. Özdemir: „Genau das brauchen wir - Lebensmittel aus der Region, die im bewussten Zusammenspiel mit der Natur angebaut werden.“
Bundesminister will mehr Obst und Gemüse aus der Region
Der Agrarminister verwies auf den Ernährungsreport seines Hauses. Es gebe noch Potenzial für Obst aus der Region. Die Bundesregierung wolle mit ihrer im Januar beschlossenen Ernährungsstrategie gutes Essen ermöglichen - für Mensch und Natur. Die Ampel wolle die pflanzenbetonte Ernährung stärken, mit einem hohen Anteil an unverarbeitetem saisonalen Gemüse und Obst aus der Region. Dafür brauche die Gesellschaft die Obstbauern.

Minister mit Blütenkönigin und den Spitzen des Obstbaus auf dem Esteburg-Stand. Foto: Vasel
Dass die Bundesregierung mit ihrer 900-Millionen-Euro-Rotstiftaktion die Bauern unverhältnismäßig belasten wollte, sei keine gute Idee gewesen. „Das war nicht gerecht“, sagte Özdemir. Immerhin habe er - mit den Bauernprotesten im Rücken - das grüne Kennzeichen (Steuerbefreiung für Schlepper) sichern können und erreicht, dass die Agrardiesel-Beihilfe nicht sofort abgeschafft, sondern schrittweise reduziert wird. Der demokratische Protest, so der Minister mit Blick auf das Buxtehuder Schlepper-Apfel-Foto, helfe ihm in Berlin.
Özdemir will Bauern mit an den Tisch holen
Er wisse, dass die meisten in der Festhalle nicht Grün wählten, sagte Özdemir. Er habe nichts gegen Proteste konservativer Bauern. Konservativ bedeute „erhalten und bewahren“, sie seien immun gegen Fanatismus, so Özdemir mit Blick auf das „Obstbau ist bunt“-Logo. Diesen Protest werde er in Berlin immer verteidigen. Anhaltender Applaus brandete auf. Er setze auf den Dialog, bei dem Projekt „Zukunftssicherung“ werde er die Obstbauern und Landwirte, die Wissenschaft sowie Verbraucher- und Naturschützer einbinden.
Wann immer etwas beschlossen werden solle, was die Land- und Ernährungswissenschaft betreffe, müsse die Branche „vorher“ gehört werden und am Tisch sitzen. Die Politik müsse neue Agrarpolitik in Zukunft - wie es die Bauern mit ihren Dauerkulturen im Obstbau tun - „auf Generationen“ und nicht auf Legislaturperioden“ ausrichten: „Dann kommen gute Beschlüsse raus.“ Es müssten Lösungen mit „Maß und Mitte“ gefunden werden. Die Proteste hätten ein Zeitfenster geöffnet, Politik und Bürger seien offen für Lösungen - im Interesse der Bauern. Diese historische Chance müsse gemeinsam, parteiübergreifend genutzt werden. Özdemir: „Meine Hand ist ausgestreckt.“
Bund will Obstbau an der Niederelbe stärken
Der Bund stehe an der Seite der Obstbauern. Er verwies auf das Unterstützungsprogramm für Obst-, Wein- und Hopfenerzeuger in Höhe von 35 Millionen Euro. Er hatte sich 2023 für eine Aufstockung des Krisenfonds starkgemacht, er sei aber „leider nicht sein eigener Finanzminister“.

Minister Cem Özdemir machte beim Samson-Projekt einen Stopp, der Bund unterstützt die Digitalisierung im Obstbau. Sensoren sollen helfen, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren und eine gute Ernte zu sichern. Foto: Vasel
Die Forschung für Agri-Photovoltaik müsse vorangetrieben werden, um Bauern über eine doppelte Ernte - Äpfel und Solarstrom - eine Diversifizierung ihres Einkommens zu ermöglichen. Jetzt sollen Versuchsflächen geschaffen werden, um zu gucken, wo es passt. Das könne helfen, die Branche aus der Krise zu führen.
Keine Mehrwertsteuer auf Äpfel und Karotten
Das Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken beginne zu greifen. Obstbau müsse sich wieder rechnen - unter „Berücksichtigung von Arten- und Klimaschutz.“ Özdemir warb noch einmal für seinen Vorschlag, den Mehrwertsteuersatz für Obst auf null Prozent zu setzen, um Absatz und Erzeuger zu stärken.
Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) die EU-Pflanzenschutzverordnung gestoppt habe, begrüßte er ausdrücklich. Das hätte, durch das Pflanzenschutzmittelverbot für integrierten und ökologischen Obstbau in Schutzgebieten, den Obstbau existenziell bedroht. Er setze auf Konzepte wie den Niedersächsischen Weg auch in Europa: „Wir wollen den Obstbau mitnehmen - und nicht strangulieren.“
Minister stellt sich dem Protest vor der Tür
Um 17.04 Uhr brandet lang anhaltender Applaus auf - auch CDU-Politiker zollen dem Grünen ihren Respekt. Sein Rezept „Grüner Balsam für schwarze Seelen“ zeigte Wirkung. Der Bundesvorsitzende der Fachgruppe Obstbau, Jens Stechmann, gibt ihm nach Dankesworten mit auf den Weg: „Wir werden Sie beim Wort nehmen.“

Breiter Applaus für den Minister in der Altländer Festhalle - aus den Reihen der Obstbauern (und sogar von CDU-Politikern). Foto: Vasel
Um 17.10 Uhr steht der Minister vor der Tür. Mehr als 100 Landwirte empfangen ihn, mit ihren Treckern haben die Bauern von der Stader Geest, aus Kehdingen und aus Cuxhaven die Straßen gesperrt.

Während der Minister redete, sperrten Bauern von der Geest, aus Kehdingen und Cuxhaven einige Straßen in Jork mit ihren Treckern. Foto: Vasel
Özdemir stellt sich den Demonstranten, er nimmt von Landwirt Helge Soltau aus dem Stader Bauern-Protestcamp einen Brief für Kanzler Olaf Scholz entgegen - und erneuert sein Miteinander-Versprechen aus der Festhalle auf der Straße. Zwei Männer schreien „Lüge“ und „Lügenpresse“, keiner stimmt ein.

Vor der Festhalle suchte Cem Özdemir den Dialog mit protestierenden Bauern von der Stader Geest, aus Kehdingen und dem Landkreis Cuxhaven. Foto: Vasel
Dann macht die Bereitschaftspolizei den Weg frei - der Minister muss seine Bahn nach Stuttgart bekommen. Die Trecker können den Minister nicht aufhalten.