TSietas-Werft unter dem Hammer: So lief das Bietergefecht in Harburg
Geschafft: Insolvenzverwalter Dr. Achim Ahrendt gibt dem Betriebsratvorsitzenden der Pella Sietas Werft, Georg Netuschil, die Hand. Im Hintergrund die letzten Beschäftigten der 1635 gegründeten Traditionswerft. Foto: Vasel
Hamburg legt 20 Millionen Euro für die Pella Sietas-Werft auf den Tisch. Bei der Zwangsversteigerung geht es hoch her - und es droht Streit.
Neuenfelde. Der Saal A3.03 des Amtsgerichts Hamburg-Harburg ist am Donnerstagmorgen bis auf den letzten Platz besetzt. Um 10 Uhr läutet der Rechtspfleger Kai Siegfried das Ende der Geschichte der 1635 gegründeten Traditionswerft in Neuenfelde ein. Die insolvente Pella Sietas-Werft kommt unter den Hammer. Verkehrswert: 25,8 Millionen Euro. Spannung liegt in der Luft.
Kai Siegfried rattert Vorschriften bei einer Zwangsversteigerung herunter und gibt Hinweise zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und zur Werft. Auf dieser lasten Verbindlichkeiten in Millionenhöhe. Die russische Sberbank mit Sitz in Russland und Wien hat sich Kredite in Höhe von 63 Millionen Euro als Grundpfandrecht eintragen lassen - zu Zinsen in Höhe von 12 Prozent.
Blick in den Saal A3.03 des Amtgerichts Harburg kurz vor Beginn der Zwangsversteigerung der Pella Sietas-Werft. Foto: Vasel
Im Jahr 2014 hatte Pella Shipyard aus St. Petersburg die Werft übernommen, auch das Geld aus Russland sicherte den Betrieb. Doch 2021 schlitterte die Tochter in die Insolvenz. Rechtspfleger Siegfried fragt in den Raum: „Ist die Sberbank vertreten?“ Es bleibt still. Das mehrheitlich in Staatshand befindliche Finanzinstitut steht ohnehin seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf der Sanktionsliste. Geld für Putin & Co. - ausgeschlossen.
Altlasten schlummern im Untergrund
Zwischendurch horchen die Neuenfelder und Cranzer auf. Ermiya Ciger (SPD) und die Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Gudrun Schittek (Grüne) sind im Saal. Laut einem Umweltgutachten schlummern im Untergrund zahlreiche Altlasten, unter anderem Schwermetalle, Arsen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Benzol. Das Grundwasser sei allerdings nicht verseucht. Bei einer weiteren gewerblichen-industriellen Nutzung des 14 Hektar großen Areals bestehe laut Gutachter keine Notwendigkeit zur Totalsanierung. Diese würde vermutlich 30 Millionen Euro kosten.

Blick auf die Reste des russischen Eisbrechers. Foto: Vasel
Dann zwei letzte Hinweise des Rechtspflegers: Der Bebauungsplan von 1961 sehe Industrie und Gewerbe vor. Die ersten Segmente des Eisbrechers 7 für die Flotte des russischen Konzerns Rosmorport, Ende 2020 begann der Bau mit Kiellegung, dürfen nicht entfernt werden, weil sie fremdes Eigentum sind. Die Stahlsegmente verrotten im Werfthafen im Schatten des Schwerlastportalkrans Jucho wie ein letztes Symbol deutsch-russischer Zusammenarbeit.
Hamburg setzt sich im Bietergefecht durch
Um 10.49 Uhr beginnt das Bieterverfahren. Stille. Um 10.55 Uhr gibt die Freie und Hansestadt Hamburg ihr erstes Gebot ab: 13,2 Millionen Euro. In der letzten Reihe raschelt es. Ein Vertreter der Growth SZ Vermögensverwaltungs GmbH aus Wien geht nach vorne zu Kai Siegfried. Jetzt beginnt das Bietergefecht.
Pikant: Die Bieterin Growth SZ aus Österreich und die betreibende Gläubigerin am Tisch vor dem Rechtspfleger, die MeSoFa Vermögensverwaltung in Liquidation, waren mit der Sberbank of Russia eng verflochten. Die Österreicher treiben die Gebote hoch. Sie könnten es sich leisten: Laut Amtsblatt haben sie in Österreich rund 45 Millionen Euro an Eigenkapital gebunkert.
Zwischendurch geht ein dritter potenzieller Bieter nach vorne - und weist sich aus. Doch er gibt kein Gebot ab. Bei Gebot 44 ist Schluss. Für 20 Millionen Euro geht die Pella Sietas-Werft um 11.29 Uhr an die Freie und Hansestadt Hamburg.
Nicht-Bieter droht mit einer Klage
Kai Siegfried will die Akte schließen. Doch der Nicht-Bieter Nummer 3 protestiert. Sein Vorwurf: Gutachten und Wertermittlung stimmen nicht. Er beantragt, einen neuen Termin für die Zwangsversteigerung festzusetzen.
Siegfried verschiebt den Beschluss und verkündet um 12.30 Uhr: Die Stadt hat den Zuschlag zu Recht bekommen. Der Einspruch entbehre jeder Rechtsgrundlage. Nicht-Bieter 3 protestiert lautstark. Der Rechtspfleger ist sauer.

Lieber ein Wasserstoffkraftwerk: Investor Namik Essiz aus Celle will den Zuschlag für die Stadt kippen. Foto: Vasel
Nicht-Bieter 3 nennt dem TAGEBLATT seinen Namen: Betriebswirt Namik Essiz von Campus Immobilien aus Celle. Er will jetzt vor dem Landgericht Hamburg eine Klage einreichen. Essiz: „Ich will auf der Werft ein Wasserstoffkraftwerk und Photovoltaikanlagen errichten.“
Szenenwechsel: Insolvenzverwalter Dr. Achim Ahrendt informiert in Neuenfelde mittags bei einer Betriebsversammlung die verbliebenen 17 Werftarbeiter um ihren Betriebsratsvorsitzenden Georg Netuschil. Sie halten ihre Werft in Schuss und arbeiten für Este Project Service (EPS), die vor Ort unter anderem Schwergut und Seecontainer umschlagen, aber auch Industrieanlagen montieren - auch als Dienstleister für Airbus.

EPS-Chef Habbo Stark will weiter Schwergut umschlagen und Industrieanlagen montieren - auch für Airbus. Foto: Vasel
Netuschil ist erleichtert: „Wir bauen hier keine Schiffe mehr, aber es geht weiter.“ Ihre Hoffnung: Hamburg übernimmt ihre Arbeitsverträge. Hamburgs Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard hat EPS-Geschäftsführer Habbo Stark signalisiert, dass der Betrieb weiterlaufen kann.
Hamburg will Werft für Industrie wie Airbus sichern
In Hamburg verkündet Finanzsenator Andreas Dressel, dass die Flächen am Neuenfelder Fährdeich 88 - wie bei Airbus im Mühlenberger Loch - in Erbbaurecht vergeben und künftig als Industriefläche genutzt werden sollen.

Heute werden Container und Schwergut auf der Pella Sietas-Werft umgeschlagen und Industrieanlagen montiert. Foto: Vasel
Airbus will sich bekanntlich ansiedeln. Dressel: „Mit dem Erwerb können wir den Industriestandort Hamburg unterstützen und somit perspektivisch Wertschöpfung und Arbeitsplätze erhalten.“ Die Flüchtlingsunterkunft auf dem Großparkplatz bleibt bestehen. Fördern & Wohnen plant bereits einen Neubau. Der denkmalgeschützte Portalkran bleibt erhalten.

Die letzten Mitarbeiter der Pella Sietas-Werft im Schatten des Portalkrans mit dem Team des Insolvenzverwalters. Foto: Vasel
Auch Emanuel Glass von der IG Metall begrüßt den Kauf gegenüber dem TAGEBLATT und hofft, „dass tarifgebundene Industriearbeitsplätze entstehen“. Um 15 Uhr übernimmt ein Vertreter des Landesbetriebs Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) in Neuenfelde die Schlüssel.

Blick auf die Sietas-Werft mit dem Riesenkran Jucho. Foto: Vasel
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