TSolarstrom und Äpfel: Altländer wollen doppelte Ernte

Agri-PV: Auf der Obstplantage an der Landesstraße 140 in Mittelnkirchen gibt es bereits eine Photovoltaik-Versuchsanlage. Foto: Vasel
Die Altländer wollen Vorreiter bei der Energiewende sein. Deshalb hat der Rat der Gemeinde Mittelnkirchen ein Bebauungsplanverfahren in Gang gesetzt. Ein Investor will 35 Millionen Euro in eine Agri-Photovoltaik-Anlage investieren. Das ist der Plan.
Mittelnkirchen. Investor Johannes Stahl und sein Sohn Henri aus Hamburg haben ihre Pläne bei der Ratssitzung vorgestellt. Ihr Unternehmen Milvio Energy will südlich des Obstmarschenwegs (L140) auf einer 18,4 Hektar großen Fläche eine Agri-Photovoltaik-Anlage errichten.
Die nach Süden geneigten teil-lichtdurchlässigen Solarmodule sollen über den Baumreihen auf einem Metall-Gestell in einer Höhe von 3,20 bis 4,20 Metern montiert werden. Damit kann der Eigentümer der Plantage an der Dorfstraße, Obstbauer Ralf Heinrich-Zum Felde, weiter Äpfel ernten. Die Solarfarm könnte laut Henri Stahl den Strombedarf von circa 6220 Haushalten decken - bei einer Produktion von 24.880 Megawattstunden im Jahr.
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Kommune und Bürger sollen profitieren
Die Lage sei ideal, sagte Joachim Stahl bei der Ratssitzung. Er verwies auf das Umspannwerk Mittelnkirchen am Muddweg. Das liegt im Westen unmittelbar an der geplanten Solarfarm. Dadurch würden die Netzanschlusskosten geringer ausfallen. Das erhöhe die Wirtschaftlichkeit. Die EWE werde den Solarstrom hier ins überörtliche Netz einspeisen.
Dank des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) werde die Gemeinde Mittelnkirchen gleich zu Beginn der Stromproduktion vom Projekt profitieren. 0,2 Cent werden pro Kilowattstunde (kWh) ins Gemeindesäckel fließen, knapp 50.000 Euro im Jahr.
Außerdem werde die Gesellschaft „Milvio Energy Mittelnkirchen GmbH & Co. KG“ als Trägerin der Agri-PV-Anlage ihren Sitz in Hinterdeich haben. Damit würden 100 Prozent der Gewerbesteuer im Dorf bleiben. Diese werde allerdings erst nach Ende der Abschreibung, voraussichtlich nach zwölf Jahren, sprudeln.
Erwartet werden Einnahmen in Höhe der EEG-Einnahmen. Laut Stahl sei denkbar, dass sich die Bürger am Projekt finanziell beteiligen. Nachbarn der Anlage könnte ein Öko-Strom-Tarif (4000 Kilowattstunden für acht Cent/kWh) für Haushalte angeboten werden.

Blick auf den Standort der geplanten 26 Fußballfelder großen Agri-PV-Anlage zwischen Hinterdeich und Mittelnkirchen. Foto: Vasel
Investor: Agri-PV passt in die Kulturlandschaft
Ulf Larschow vom Büro EE-Plan aus Cuxhaven begleitet das Projekt als Planer. Dieses steht erst am Anfang. Die Anlage zwischen Hinterdeich und Mittelnkirchen ist nicht privilegiert. Ein Sondergebiet für Solare Energieerzeugung muss über die Aufstellung eines B-Planes ausgewiesen werden.
Ohne einen Bebauungsplan können heute lediglich Solaranlagen in einem Streifen von 200 Metern links und rechts von Autobahnen oder Bahnstrecken des übergeordneten Netzes errichtet werden. Die Fläche liegt im Vorbehaltsgebiet für Landwirtschaft. In diesem können „raumverträgliche Anlagen der Agri-Photovoltaik“ errichtet werden.
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Die Investoren sind überzeugt, dass ihr Projekt und der Schutz der welterbewürdigen Kulturlandschaft nicht im Widerspruch stehen. Das Alte Land ist im Landesraumordnungsprogramm als Vorranggebiet „Kulturelles Sachgut“ eingestuft.
Raumbedeutsame Planungen wären tabu. Aktuell lässt der Kreis Stade prüfen, wie und ob sich Erneuerbare Energien und Kulturlandschaft vereinbaren lassen. Das Ergebnis soll Ende 2023 vorliegen.
Niedersachsen steht hinter Agri-PV. Das Land will die Solarstromleistung bis 2035 von 5,1 auf 65 Gigawatt steigern. 15 Gigawatt sollen die Freiflächen- und Agri-PV-Anlagen (Doppelnutzung) liefern. Das erfordert 0,47 Prozent der Landesfläche (20.500 Hektar). Wertvolle Agrarflächen sollen erhalten bleiben, in der Marsch liegt der Fokus deshalb auf Agri-PV.
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Obstbauer Ralf Heinrich-Zum Felde hat in der Versuchsanlage vor Ort erste Erfahrungen gesammelt. Er sieht Vorteile: Die Module werden die Früchte vor Hagel und Sonnenbrand schützen, die vom Handel geforderte Apfel-Ausfärbung konnte durch spätere Erntetermine erreicht werden. Mit Agri-PV-Einnahmen könnten im Obstbau die Jahre mit geringen Erzeugerpreisen besser bewältigt werden.
Mit einer 6:3-Mehrheit aus den Reihen von CDU und den Stimmen der SPD beschloss der Rat, das B-Plan-Verfahren mit frühzeitiger Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange zu starten.
Die Grünen wollten den Beschluss vertagen, um Fragen zu Natur- und Brandschutz im Vorfeld zu klären. Diese werden jetzt wie üblich im Zuge des Verfahrens - vor 2025 wird kein Strom fließen - unter anderem mit Behörden und Verbänden geklärt, auch Gutachten folgen.
Bürgermeister Joachim Streckwaldt (CDU) begrüßte den Beschluss, Bürger und Kommune würden profitieren. Vereinbarungen mit Milvio Energy sollen über einen städtebaulichen Vertrag abgesichert werden.
In vier bis fünf Jahren könnte laut Stahl ein Container-Speicher mit Eisenphosphat-Batterien folgen - um Solarstrom für Abend- und Nachtstunden zu speichern.