TAnalyse: So viele Wohnungen im Kreis Stade stehen leer

Auch im Altländer Viertel in Stade stehen Wohnungen leer. Landkreisweit sind es mehr als 3000 Wohnungen. Foto: Strüning
Im Landkreis Stade wird dringend bezahlbarer Wohnraum benötigt, dabei stehen Hunderte Wohnungen leer - ein Großteil seit mehr als einem Jahr. Was daraus folgt.
Landkreis. Es muss gebaut werden: Bis 2028 benötigt der Landkreis Stade den Neubau von ungefähr 1280 Wohnungen - und zwar pro Jahr. Diese Prognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in Hannover in einer aktuellen Regionalanalyse zum Wohnungsmarkt ermittelt. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts.
Gemäß Analyse fehlten im Landkreis Stade aktuell fast 1610 Wohnungen. So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Pestel-Instituts im ganzen Landkreis lediglich für 336 neue Wohnungen eine Baugenehmigung.
Zum Vergleich: In 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 484 Baugenehmigungen. „Damit ist die Bereitschaft, im Kreis Stade neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 31 Prozent zurückgegangen“, mahnt Günther. Der Wissenschaftler erwartet, dass das Baupensum weiter zurückgeht: Günther spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“.
Wohnungsleerstand: So groß ist die Not im Kreis Stade
An dem Wohnungsbedarf im Kreis Stade ändere auch die Zahl leerstehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für den Landkreis Stade etwa 3120 Wohnungen, die nicht genutzt werden, so das Pestel-Institut. Das seien 3,1 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand im Landkreis.
Ein Großteil davon - nämlich gut 1390 Wohnungen - stehe demnach schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin knapp 45 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett saniert werden“, sagt Matthias Günther. Das ist aufwendig und vor allem teuer - und somit für Investoren und Immobilieneigentümer in der aktuellen Marktlage wenig attraktiv.
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Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig, meint das Pestel-Institut. „Circa drei Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit des Instituts-Leiters.
Streit und Mietnomaden lassen Hauseigentümer zögern
Viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften, etwa bei Klimaschutz-Auflagen, wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.
Weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Kreis Stade kein Weg vorbei.“
Bauministerin: Bei Wohnungssuche einfach aufs Land ziehen
Das Pestel-Institut hat die Regionalanalyse im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei“, sagt Katharina Metzger.
Sie erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.
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Für Verbandschefin Metzger steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch im Kreis Stade das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen - und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben - im Bund, bei den Ländern und Kommunen.
Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen - von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“

Katharina Metzger, Präsidentin Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB). Foto: Pestel-Institut Presse
Scharfe Kritik richtet Metzger an den Bund: „Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen - darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen - im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, der darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden.“ Ohne eine deutlich stärkere staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen.
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Außerdem kritisiert Metzger gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten dringend notwendige Fördermittel für den Wohnungsneubau, allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit.
Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen mit weniger als 22 Milliarden fördern. „Das reicht hinten und vorne nicht. Und es ist ein willkürlich gegriffener Zeitraum, um eine vermeintlich hohe Milliardensumme in den Raum zu stellen. Doch die Wahrheit dahinter ist: Der soziale Wohnungsbau wird bei dieser Bundesregierung auch weiter auf der Strecke bleiben.“ Metzger: Das müssten die Bürger im Kreis Stade jetzt den hiesigen Bundestagsabgeordneten klarmachen. „Nur wenn es massiven Druck vor Ort gibt, werden diese und die kommende Bundesregierung begreifen, wie ernst die Lage ist“, sagt die BDB-Präsidentin.
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„Entlassungswelle“ in Baubranche rollt
Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubauzahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte, darunter gute Fachkräfte“, berichtet Katharina Metzger.
Die Verbandspräsidentin eindringlich: „Wohnungsnot trifft auf Nicht-Wohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Denn Wohnungsmangel schaffe soziale Spannungen. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Metzger. (pm/tip)