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Sicherheitsgefühl

TAngstraum Stader Bahnhof: Reisende berichten, Polizei und Politik erklären sich

Auch der Weg zum Parkhaus am Stader Bahnhof hat dunkle Ecken wie im Bereich der Fahrradboxen.

Auch der Weg zum Parkhaus am Stader Bahnhof hat dunkle Ecken wie im Bereich der Fahrradboxen. Foto: Helfferich

Angsträume in Stade: Damit sind die dunklen Ecken gemeint, in denen sich Menschen, insbesondere Frauen, nicht sicher fühlen. Im November berichtete das TAGEBLATT über den Pferdemarkt. Ein weiterer Angstraum ist der Bahnhof. Warum das so ist.

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Von Susanne Helfferich
Samstag, 24.02.2024, 19:29 Uhr

Stade. Es ist 21.25 Uhr. Die S-Bahn aus Hamburg fährt in den Stader Bahnhof ein. Geschätzt 20 Menschen steigen hier an der Endstation aus. Ob Mann oder Frau, ist meist am Schritt zu erkennen. Während Männer relativ entspannt gehen, eilen die wenigen Frauen, die an diesem Abend alleine unterwegs sind, den gut beleuchteten Bahnsteig entlang.

„Normalerweise lasse ich mich von meinem Mann abholen, aber das klappt heute nicht. Jetzt laufe ich noch drei Minuten“, erzählt eine Frau um die 50 auf Nachfrage. Wovor sie Angst hat, kann sie nicht sagen. Sie habe noch nichts Schlimmes erlebt, erzählt sie, aber am Bahnhof träfen sich häufig dunkel gekleidete Männergruppen. Das bereite ihr ein unangenehmes Gefühl. Eine andere Frau läuft schnell zum Ausgang, will gerade in das Auto ihres Partners einsteigen. „Ich lasse mich immer abholen“, sagt sie, „das Umfeld macht mir Angst.“ Warum, kann auch sie nicht sagen.

Wer am Bahnhof ankommt, möchte offensichtlich schnell weg.

Nicht besonders auffällig: die Notrufsäule auf Bahnsteig 2.

Nicht besonders auffällig: die Notrufsäule auf Bahnsteig 2. Foto: Susanne Helfferich

Der Weg weg vom Bahnhof führt durch Dunkelheit

Reisende, die mit der S-Bahn aus Richtung Hamburg kommend in Stade aussteigen haben die Wahl: links zum Parkplatz Hospitalstraße oder durch die Unterführung nach rechts Richtung Innenstadt. Was sie auf beiden Seiten erwartet, ist Dunkelheit. Der Weg zur Hospitalstraße unter der Hansebrücke ist schlecht einsehbar: Rechts führt ein dunkler Fußweg an der Bahnlinie entlang. Der Parkplatz links ist in diffuses Licht getaucht. Er wirkt menschenleer.

Lichtblick: Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule gestalten die Unterführung am Stader Bahnhof.

Lichtblick: Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule gestalten die Unterführung am Stader Bahnhof. Foto: Susanne Helfferich

Auf der anderen Seite des Bahnhofs liegt der Burggraben. Egal welche Richtung der oder die Ankommende einschlägt, der Weg führt auch da zunächst durch schlecht beleuchtetes, unbewohntes Gebiet. Die meisten Fahrgäste steuern zügig über die Bahnhofstraße in Richtung Innenstadt. Einige wenige gehen zur hell beleuchteten Parkpalette. Doch auch der Weg dorthin ist dunkel.

Einsam und unübersichtlich: der Weg vom Stader Bahnhof zum Parkplatz Hospitalstraße.

Einsam und unübersichtlich: der Weg vom Stader Bahnhof zum Parkplatz Hospitalstraße. Foto: Susanne Helfferich

Die 48 Frauenparkplätze, dicht am Eingang des Parkhauses und gut beleuchtet, sind an diesem Abend unbelegt. Auf den oberen Etagen quietschen die Reifen der Auto-Poser, die hier nahezu täglich unterwegs sind. Eine Videoüberwachung gibt es nicht. Andere Parkplätze auf der Innenstadt-Seite sind rar. Direkt beim Bahnhof ist das Halten auf 15 Minuten begrenzt; Kiss&Ride heißt es hier. Die nächsten Parkplätze in der Eisenbahnstraße oder am Burggraben liegen in tiefer Dunkelheit.

Polizei: Kriminalität innerhalb des Milieus

Polizeisprecher Rainer Bohmbach bestätigt: Es gibt Kriminalität im Bahnhofsumfeld, doch sie richte sich nicht gegen die Bahnnutzer. Die Delikte: Körperverletzungen, Bedrohung und Drogen. 2021 waren es 122 Fälle, 2022 insgesamt 145 und im vergangenen Jahr 100. Mehrfach im Jahr führen die Beamten Kontrollen am Bahnhof durch.

Das Klientel vor Ort bleibe unter sich: Dunkel gekleidete Männer mit hochgezogener Kapuze, die sich am Bahnhof herumdrücken, ihre Geschäfte machen und manchmal auch in Streit geraten. Das mache Angst, sagt Bohmbach. Aber: „Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Aggression oder Belästigung gegen Menschen außerhalb des Milieus richtete.“

Angst haben nicht nur Pendlerinnen und Reisende, auch Taxifahrerinnen fürchten sich. Zwei berichten, wie lange sie darum hätten kämpfen müssen, dass der Taxistand heller beleuchtet wird. Groß sei die Sorge, ausgeraubt zu werden. Vor etwa zwei Jahren hätten das mehrere Kollegen erlebt. Seither wünschten sich die beiden eine Videoüberwachung am Bahnhof. Alleine stehen sie hier nachts ungern. „Wir haben uns inzwischen angewöhnt, die Autos von innen zuzuschließen, damit nicht einer einfach die Beifahrertür aufreißt.“

Gleichstellungsbeauftragte: Viele dunkle Winkel

Auch Stades Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl blickt kritisch auf den Bahnhof. Es gebe viele tote und unbeleuchtete Winkel. „Der Weg vom Bahnsteig 1 zu den Fahrradboxen ist dunkel, verwahrlost und schlecht einsehbar“, sagt sie; ebenso der Weg zur Hospitalstraße. Durch räumliche Aufwertung könne viel erreicht werden, sagt Jugl. So lobt sie das Kunstprojekt der Waldorfschule, die die Unterführung regelmäßig neu gestaltet. Es sollten Nutzungsräume geschaffen werden, wie eine Tourist-Info, eine Fahrradwerkstatt oder ein Café, und diese durch helle Wege miteinander verbunden werden - das schaffe Sichtbarkeit und Betriebsamkeit. Es müsse ein Umfeld geschaffen werden, das zum Aufenthalt einlädt und nicht die Menschen vom Bahnhof vertreibt.

Ein großes Problem sei die Verwahrlosung. Jugl verweist auf die Broken-Windows-Theorie: Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dem Verfall von Stadtgebieten und Kriminalität. Eine zerbrochene Fensterscheibe müsse daher schnell repariert werden, damit weitere Zerstörungen im Stadtteil und damit vermehrte Delinquenz verhindert werden kann. Für den Stader Bahnhof könnte das heißen: Je sauberer und gepflegter er ist, je geringer die Verwahrlosung, desto weniger Zerstörung gibt es. Da sieht auch Bohmbach Handlungsbedarf: Schmutz, Uringestank und herumliegender Müll - das als erster Eindruck für Reisende stelle Stade in ein schlechtes Licht. Und er plädiert für ein besseres Beleuchtungskonzept: „Helligkeit vermittelt ein Gefühl der Sicherheit.“

Taxifahrer am Stader Bahnhof wünschen sich eine Videoüberwachung.

Taxifahrer am Stader Bahnhof wünschen sich eine Videoüberwachung. Foto: Susanne Helfferich

Frauenparkplätze näher am Bahnsteig sieht die Gleichstellungsbeauftragte kritisch. Damit werde dem Täter gesagt, wo er sein mögliches Opfer findet. Sie spricht sich für mehr und vor allem sichtbare Notrufsäulen aus. Es gibt zwei, eine auf jedem Bahnsteig, aber sie sind sehr unauffällig. Und es müssten auch welche am Bussteig, in der Parkpalette und beim Parkplatz Hospitalstraße stehen, so Jugl.

Auch die Politik beschäftigt sich mit dem Thema

Eine Kameraüberwachung des Bahnhofsumfeldes und der Parkpalette alarmiere zwar nicht direkt die Polizei, aber sie könne deren Ermittlungen unterstützen, sagt Bohmbach. Außerdem hätten Videokameras eine abschreckende Wirkung. Gerade haben CDU, WG und FDP/UBLS beantragt, die Kosten für eine Kameraüberwachung prüfen zu lassen, ebenso, ein Beleuchtungskonzept zu erstellen. Kommenden Mittwoch wird darüber im städtischen Ausschuss für Feuerwehr, Sicherheit und Verkehr beraten. Der Grünen-Ratsherr Christian Demski mahnt die Verhältnisse am Bahnhof schon lange an. Und auch der Stader SPD-Vorsitzende Kai Köser sagt: „Wenn wir über Angsträume in Stade reden, müssen wir auch über den Stader Bahnhof sprechen.“

Wenig einladend ist der Stader Bahnhof. Die tote Lage am Burggraben (rechts) schneidet ihn von der belebten Innenstadt ab.

Wenig einladend ist der Stader Bahnhof. Die tote Lage am Burggraben (rechts) schneidet ihn von der belebten Innenstadt ab. Foto: Susanne Helfferich

Letztlich helfe nur eine Belebung des Umfeldes, sagt Jacqueline Jugl, die sich während ihres Geografiestudiums mit geschlechtergerechter Stadtplanung auseinandergesetzt hat. Sie verweist auf ihren Studienort Bonn: Dort habe die Ansiedelung eines Hotels im direkten Bahnhofsumfeld zu mehr Betriebsamkeit geführt. Touristen und Geschäftsleute belebten den Bereich spürbar. Ihr Vorschlag: Warum nicht Hotel statt Parkpalette? Die Vielzahl der Parkplätze bleibe weitgehend ungenutzt. Hotelgäste würden auch die Wege durch den Bürgerpark und die Wallanlage beleben. Und Frauen, die sich bedroht fühlen, hätten mit dem Hotel eine Anlaufstelle. Bis dahin bleibt das mulmige Gefühl, am Stader Bahnhof in der Nacht.

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