TAufgelauert und beleidigt: Hass und Hetze in Harsefeld

Susanne de Bruijn ist Harsefelds Bürgermeisterin und Kommunalpolitikerin für die Freie Wählergemeinschaft. Foto: Fehlbus
Sie werden beschimpft und bedroht. Manche finden, Kommunalpolitiker müssten das aushalten. Nein, sagt Bürgermeisterin Susanne de Bruijn und reagiert.
Harsefeld. Demokratie braucht Meinungsfreiheit. Das steht für Susanne de Bruijn außer Frage. „Aber wo fängt Hetze an, wo hört Meinung auf?“, fragt die 59 Jahre alte Harsefelderin. Seit 23 Jahren ist sie für die Freie Wählergemeinschaft in der Kommunalpolitik aktiv. Bis zur Wahl als Flecken-Bürgermeisterin 2021 war ihr Platz im Ratssaal stets auf der gegenüberliegenden Seite des Ratsvorsitzenden, mit dem Rücken zum Publikum. Auch in den Ausschusssitzungen sitzt sie bis heute dort und gesteht: „Das Publikum hinter einem, das ist nicht immer ein gutes Gefühl.“
Handeln, bevor die Meinung nicht mehr frei ausgesprochen wird
Besonders bei kritischen Themen finden oft Gespräche zwischen den Besuchern statt. Beleidigungen der Ratsmitglieder sind an der Tagesordnung. „Lass den reden, der Nazi hat sowieso nur Stroh im Kopf“, nennt Susanne de Bruijn ein Beispiel. „Was macht man da? Soll ich mich umdrehen und etwas sagen?“, fragt sie. „Die meisten würden doch nur sagen, stell dich nicht so an“, vermutet die Bürgermeisterin.
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Eigentlich hat sie es sogar eine Zeit lang selbst so gesehen, gesteht sie. Natürlich müsse man für seine Meinung einstehen, auch wenn es unbequem wird. Aber bevor die Angst zu groß wird, seine Stimme öffentlich abzugeben, müsse gehandelt werden. Ganz schlimm sei es doch, wenn Ratsmitglieder in den Sitzungen nicht mehr sagen mögen, was sie denken.
Harsefelder Kommunalpolitiker auf Nachhauseweg aufgelauert
„Wir als Kommunalpolitiker leben hier, jeder weiß, wo wir wohnen, dass wir Kinder haben“, sagt sie, „wir haben keinen Personenschutz.“ Ein erschreckendes Beispiel: Einem Harsefelder Kommunalpolitiker wurde nach einer Sitzung auf dem Nachhauseweg aufgelauert. Er wurde festgehalten, konnte sich befreien und weglaufen. Der Vorfall wurde bei der Polizei zur Anzeige gebracht, die Täter wurden nicht gefasst.
Von weniger eindeutigen Vorfällen, die in größerer Öffentlichkeit geschahen oder als anonyme Beleidigung im Mailfach landeten, berichten die Kommunalpolitiker im Rathaus Harsefeld - hinter verschlossenen Türen. Sie haben sich im August zu einem Seminar getroffen. So musste keiner reisen, alle konnten in Harsefeld zusammen mit Experten über das Thema sprechen.
Die von Susanne de Bruijn initiierte Veranstaltung leitete der Verein Starke Demokratie aus Hamburg. Dieser unterstützt gezielt Politiker bei der Aufklärung zur Rechtslage bei Drohungen, Shitstorms oder Angriffen.
Veränderter Stellenwert der Ratsmitglieder in der Gesellschaft
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Susanne de Bruijn in diesem Jahr zur Diskussionsveranstaltung „Demokratie beginnt vor Ort“ eingeladen: Es war eine Runde zum Austausch mit anderen Bürgermeistern. Aber es war auch als Anerkennung für die Kommunalpolitik gedacht. Und das, meint Susanne de Bruijn, ist etwas, das sich grundlegend in den vergangenen Jahren geändert habe.
„Als ich vor 23 Jahren in der Kommunalpolitik anfing, hatte ich das Gefühl, dass die Rolle eines Ratsmitgliedes noch einen Stellenwert in der Gesellschaft hatte. Das Mitglied eines Gemeinderats war eine Respektperson“, sagt sie.
Heute habe sie manchmal das Gefühl, als Ratsmitglied sei sie eine Person ohne Rechte, sie habe sich ja freiwillig wählen lassen und bekomme eine Aufwandsentschädigung dafür.
Eine Lösung: Mehr Zivilcourage auch im Ratssaal
Sie selbst wurde einmal im Ratssaal derart beschimpft, dass alle fassungslos waren, sie eingeschlossen. Damals reagierte keiner, wie in Schockstarre schauten alle zu. Heute wäre das anders, ist sich Susanne de Bruijn sicher: „Wir sind ermutigt worden, für andere Partei zu ergreifen und jeden Vorfall bei der Polizei anzuzeigen. Ich würde nicht mehr davor zurückschrecken, die Leute aufzufordern, den Saal sofort zu verlassen.“
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Auch der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund bietet inzwischen solche Seminare an. „Es ist gut, wenn man merkt, dass man nicht allein ist“, sagt die ehrenamtliche Bürgermeisterin. Ohne Rückendeckung mache sich sonst Hilflosigkeit breit.
Demokraten dürfen sich nicht auseinandertreiben lassen
Obwohl Harsefeld bei diesem Thema vorangeht, ist die Situation vor Ort lange nicht extrem. „Wir haben hier kein großes Problem, aber man muss vorbereitet sein“, sagt Susanne de Bruijn. Es gefährde die Demokratie, wenn Kommunalpolitiker nicht mehr sagen wollten, was sie wirklich denken, sondern sich krank meldeten, um bei der Abstimmung nicht dabei sein zu müssen.
Natürlich verstehe sie manchmal den Frust der Bürger angesichts der vielschichtigen Probleme der Politik von der Gemeinde- bis zur Bundesebene. Aber heute forderten viele schnelle Ergebnisse. Denen hinterherzulaufen, die solche Lösungen mit Hass und Hetze versprechen, sei aber gefährlich. „Wenn sie uns Demokraten auseinandertreiben, hat die ganze Demokratie verloren“, sagt Susanne de Bruijn.

Susanne de Bruijn ist Harsefelds Bürgermeisterin und Kommunalpolitikerin für die Freie Wählergemeinschaft. Foto: Fehlbus

Herz statt Hetze ist eine Forderung: Mit Zivilcourage können auch Ratsmitglieder reagieren. Foto: dpa