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Landgericht Stade

TClan-Prozess: Angeklagter schweigt nach Eisenstangen-Angriff durch Al-Zeins

Die Polizei sperrt die Ritterstraße zu Beginn des 26. Verhandlungstages im Clan-Prozesses im Landgericht Stade ab.

Die Polizei sperrt die Ritterstraße zu Beginn des 26. Verhandlungstages im Clan-Prozesses im Landgericht Stade ab. Foto: Vasel

Beim Stader Clan-Prozess herrscht die höchste Sicherheitsstufe. Die Sorge ist berechtigt: Die Großfamilien schrecken vor Gewalt nicht zurück. Das zeigte sich in dieser Woche.

Von Björn Vasel und Susanne Helfferich Samstag, 07.06.2025, 14:29 Uhr

Stade. Polizisten marschieren am Mittwochmorgen um kurz vor 9 Uhr vor dem Stader Landgericht auf und sperren die Straße. Um 9.30 Uhr soll der 27. Verhandlungstag im Clan-Prozess starten. Ein Hundeführer baut sich vor den Al-Zeins und Miris auf. Die Stimmung ist aufgeheizt. Es kommt zu verbalen Auseinandersetzungen auf Arabisch.

Die Großfamilien müssen getrennt voneinander durch die Sicherheitsschleuse. Um 10.30 Uhr, eine Stunde später als geplant, betritt die 1. Große Strafkammer unter Vorsitz von Erik Paarmann den Saal. Justizwachtmeister schirmen die Miris von der Opferfamilie ab.

Alle warten gespannt auf die von den Verteidigern angekündigte Einlassung des wegen Mordes angeklagten Mustafa M. Der Buchholzer hatte Khaled R. am 22. März 2024 am Salztor in Stade ein Messer in den Kopf gestoßen.

Al-Zeins greifen einen Miri im Urlaub mit Eisenstangen an

Strafverteidiger Dr. Dirk Meinicke ergreift das Wort. In Ägypten sei am Wochenende ein Verwandter seines Mandanten im Urlaub von Al-Zeins mit „Eisenstangen malträtiert worden“. Kinder des Schwerverletzten hätten alles mit ansehen müssen. Damit hätten Al-Zeins ihre „wiederholten Drohungen wahrgemacht“. Sein Mandant werde schweigen.

Angeklagter laut Gutachter bei Messer-Attacke klar im Kopf

Dann schlägt die Stunde der Psychiater. Zwischen den Verteidigern sitzt Professor Dr. Christian Huchzermeier aus Kiel. Der Direktor des Instituts für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie ist ihr Berater. Während der vom Gericht bestellte Sachverständige Dr. Jürgen Schmitz aus Lüneburg sein Gutachten vorträgt, macht sich sein Kollege eifrig Notizen. Immer wieder hält sich der Kieler die Hand vor den Mund und flüstert Meinicke etwas ins Ohr. Er sammelt Munition, um das Gutachten später anzugreifen.

Der 34-jährige Angeklagte (M) steht zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (l) und Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts.

Der 34-jährige Angeklagte (M) steht zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (l) und Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts. Foto: dpa-Pool

Das Spezialgebiet von Schmitz ist die Begutachtung psychisch kranker Straftäter. Sieben Stunden hat der Psychiater mit dem Angeklagten im Gefängnis gesprochen. „Freundlich, offen und angepasst“, dieses Bild gewann Schmitz von Mustafa M. Strafrechtlich sei dieser vor der Tat, die er vor dem Haftrichter einräumte, nicht in Erscheinung getreten.

Seine Familie stamme aus dem Libanon. Die Eltern seien 1989 vor dem Bürgerkrieg geflüchtet. Mustafa M. wuchs in der Hochhaussiedlung Kaltenmoor in Lüneburg als Zweitjüngster mit sechs Brüdern auf. 2001 zog die Familie nach Buchholz. Er war ein guter Realschüler. In Bremen ließ er sich zum Logopäden ausbilden. Die Hansestadt gilt als Hochburg des kriminellen Miri-Clans. „Seine Familie habe mit diesen Miri-Leuten nichts zu tun“, habe ihm Mustafa M. erzählt, berichtet Dr. Schmitz.

Mustafa M. offenbart sich dem Psychiater

Auch zur Tat habe sich der Angeklagte ihm gegenüber geäußert. Der Streit erzeugte „ein Pulverfass“. Nachdem Al-Zeins den Miri-Laden KC-Sportswear in der Hökerstraße überfallen hatten, trat der Inhaber, der ältere Bruder von Mustafa M., auf die Tür des Hauses der Rachid-Al Zeins im Altländer Viertel ein. Im Haus waren nur Frauen und Kinder. Sein Bruder soll auf Arabisch gerufen haben: „Ich ficke die Familie Al-Zein.“ Der Angeklagte will seinen Bruder von weiteren Taten abgehalten haben.

Das Salztor ist abgesperrt: Blick auf einen Tatort der Auseinandersetzung zwischen zwei kriminiellen Clans in Stade im März 2024.

Das Salztor ist abgesperrt: Blick auf einen Tatort der Auseinandersetzung zwischen zwei kriminiellen Clans in Stade im März 2024. Foto: Polizei

Vor dem Imbiss am Salztor habe Mustafa M. wenig später, so gibt Schmitz dessen Worte wieder, „eine Art Tunnelblick gehabt“. Die Familien prügelten dort aufeinander ein. Streifenwagen will M. nicht wahrgenommen haben. Er habe im Auto zum Messer gegriffen. Er habe „das Leben seines Bruders retten wollen“, als „etwas aufblitzte“. Konkrete Erinnerungen an die eigentliche Tat habe er nicht. Er erinnere lediglich, dass eine Polizistin „Oh Gott“ rief. „Das Ganze tue ihm heute noch weh“, so eine Aussage von Mustafa M. ihm gegenüber, so Schmitz.

Verbale Ausfälle von Verteidiger und Nebenkläger

Laut dem Gutachter gibt es „keine Anhaltspunkte“ für einen Verlust der Realitätskontrolle oder Steuerungsfähigkeit oder dafür, dass Mustafa M. strafrechtlich nicht für sein Handeln verantwortlich gewesen sei. Eine psychische Störung habe er nicht diagnostizieren können.

Um 15.55 Uhr lässt der Vorsitzende Richter die Sitzung unterbrechen. Ein Wachtmeister ist beleidigt worden. Um 16.03 Uhr geht es weiter. Die Kammer weist Anträge der Verteidigung ab. Von Kulturwissenschaftlern sei „kein Erkenntnisgewinn zu erwarten“. Meinicke und seine Kollegin Dinah Busse wollten die Frage beleuchten, ob M. aus soziokulturellem Handlungszwang heraus die Familienehre wiederherstellen musste. Doch Mustafa M. sei in Deutschland aufgewachsen, so der Vorsitzende Richter.

Paarmann ließ durchblicken, dass die Kammer nichts von der Nothilfe-These der Verteidigung hält. Der im Zuge des Streits „mehrfach gewalttätig“ gewordene Mustafa M. sei „nicht von Angst um seinen Bruder getrieben worden. Er wollte den Anführer der Gegenseite treffen“, so Paarmann. Damit zeichnet sich ab: M. muss mit Verurteilung wegen Mordes rechnen. Der Tag endet im Streit. Halt‘ die Klappe, werfen sich Verteidiger und Nebenkläger an den Kopf. Letzterer legt triumphierend nach: „Der Frust sitzt wohl tief.“

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