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Tumulte

TClan-Prozess: Stader Richter wirft Zuschauer nach Drohung aus dem Gericht

Tatort Salztor: Die Spurensicherung der Polizeiinspektion Stade war am 22. März 2024 bis tief in die Nacht im Einsatz.

Tatort Salztor: Die Spurensicherung der Polizeiinspektion Stade war am 22. März 2024 bis tief in die Nacht im Einsatz. Foto: Battmer

Der Messermord-Prozess vor dem Landgericht liefert weitere Einblicke in den Clan-Streit. Ein Bruder des Angeklagten sagt aus und sorgt für Tumult im Gerichtssaal.

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Von Björn Vasel
Sonntag, 01.12.2024, 05:00 Uhr

Stade. Gleich zu Beginn des siebten Prozesstages grenzt sich der Bruder des Angeklagten Mustafa M. von Teilen der Miri-Familie ab. „Für meinen Nachnamen kann ich nichts“, sagt der 38 Jahre alte Unternehmensberater. Rund 8000 Mitglieder der aus dem Libanon stammenden Großfamilie sind laut Polizei bundesweit im Bereich der Organisierten Kriminalität aktiv. Vor Gericht schildert er seine Sicht der Dinge.

Er spricht von einer „tragischen“ Geschichte, die er wie folgt erzählt: Er wuchs mit sieben Brüdern in Stade auf. Einer davon ist Mustafa M., der sich als Logopäde gemeinsam mit einem jüngeren Bruder, einem Ergotherapeuten, in Buchholz selbstständig machte. Ein weiterer Bruder eröffnete KC Sportswear in Stade. Mit dem am 22. März getöteten Khaled R. ging der Unternehmensberater einst zur Schule. Probleme gab es nicht. Er habe den Rachid-Al-Zeins später sogar bei Erb- und Steuerrechtsfragen geholfen.

Vor der Praxis des Angeklagten fiel ein Schuss

Doch dann kam es zum Bruch: Die Al-Zeins hatten einen Shisha-Shop in Buchholz eröffnet. Die dort bereits im Shisha-Geschäft aktiven Miris waren nicht begeistert. Er selbst habe den Streit nicht nachvollziehen können, sagt der Unternehmensberater. Wettbewerb sei in einer Marktwirtschaft normal. Aus den Reihen der Al-Zeins habe es Drohungen gegeben, 30.000 Euro seien gefordert worden. Dann fiel ein Schuss in der Gemeinschaftspraxis in Buchholz. „Mein Bruder, der Ergotherapeut, wurde Gott sei Dank nicht verletzt. Doch das ging zu weit“, sagt der 38-Jährige am Freitag im Schwurgerichtssaal. Der Logopäde Mustafa M. therapierte in dem Moment in der Praxis ein Kind.

Er habe damals „einen Flächenbrand“ befürchtet, so der Bruder des Angeklagten. Doch der Konflikt sei bei einem Iman mit Handschlag und Küsschen eingefroren worden. Für ihn „war das Thema gegessen“. Doch dann gab es in Stade Ärger: Aufgrund von Umsatzrückgängen habe sein Bruder sein Sportgeschäft in der Hökerstraße um Shisha-Produkte und Einweg-E-Zigaretten erweitern müssen. Das sei bei den Al-Zeins „negativ aufgestoßen“, die in der Großen Schmiedestraße einen Shisha-Shop betreiben. Die Väter sollten für Frieden sorgen. Der Vater der Rachid-Al-Zein-Brüder habe seinem Vater gesagt: „Ich kann meine Kinder nicht im Zaum halten.“

Dieser Satz löst einen Tumult im Zuschauerbereich aus. Wüste Beleidigungen sollen in arabischer Sprache gefallen sein. Der Vorsitzende Richter Erik Paarmann setzt zwei Al-Zeins mit Hilfe der Wachtmeister vor die Tür und stellt klar: „Es wird keine Toleranz mehr geben.“

Tödliche Messerattacke mitten im Ramadan

Dann berichtet der 38-Jährige vom Tag der tödlichen Messerattacke: Er habe am 22. März seinen Mercedes in Stade abgeholt, als er von Sprachnachrichten mit Beleidigungen erfuhr. Er sei empört gewesen, dass die Al-Zeins „im heiligen Monat Ramadan“ nicht den Frieden wahrten. Einer seiner Brüder, der KC-Sportswear-Betreiber, sei deshalb „sehr aufgeregt und bedrückt“ gewesen. „Ich mach das mit deiner Mutter oder Frau“, so habe es in den Voicemails von Khaled R. an diesen geheißen - offenbar Androhungen sexualisierter Gewalt.

Ihm sei klar geworden, dass Khaled R. es todernst meinte. „Er hat entweder eine Armee versammelt oder eine Panzerfaust“, habe er gedacht. Plötzlich hätten knapp 15 bewaffnete Al-Zeins vor dem Laden der Miris in der Hökerstraße gestanden. Er und seine Brüder hätten Kunden weggeschickt. Er sei mit offenen Händen vor die Tür getreten und habe gesagt: „Es ist Ramadan, Khaled, geh‘ fasten.“ Doch der habe mit voller Wucht ausgeholt. Der Schlagstock landete im Schaufenster und habe ihn fast am Kopf erwischt. Wie die Irren hätten die Al-Zeins auf die Miri-Brüder und die Inneneinrichtung eingeschlagen. Der 38-jährige Unternehmensberater ist überzeugt: „Das war keine spontane Geschichte. Khaled hat eine Knarre in der Hand gehalten.“

Die Polizei sichert das Landgericht Stade an den Prozesstagen mit einem Großaufgebot.

Die Polizei sichert das Landgericht Stade an den Prozesstagen mit einem Großaufgebot. Foto: Vasel

Wieder lachen einige Al-Zeins unter den Zuschauern, einige rufen: „Lüge.“ Als der 38-Jährige sagt, dass sich die Al-Zeins mit ihrer Aktion „ein bisschen blamiert“ hätten, droht die Lage im Gerichtssaal zu eskalieren. Richter Paarmann setzt weitere Zuschauer vor die Tür.

Bruder dreht nach Überfall auf Sportgeschäft durch

Sein Bruder sei nach dem Überfall auf seinen Sport- und Shisha-Laden „durchgedreht“, zum Haus der Al-Zeins im Altländer Viertel gefahren und habe die Tür eingetreten, sagt der Unternehmensberater. Er und zwei weitere Brüder fuhren ihm „im Affentempo“ nach, um Schlimmeres zu verhindern. Auf dem Weg verprügelten sie einen der Al-Zein-Brüder. Wer Frauen und Kinder bedrohe, müsse in seinem Kulturkreis „mit einer Kugel im Kopf“ rechnen, sagt er auf Nachfrage von Staatsanwältin Dawert. Er habe eine Katastrophe befürchtet.

Wenig später kam es zur brutalen „Straßenschlacht“ mit Al-Zeins und Polizisten am Salztor unter seiner Beteiligung. Die Schusswaffe habe er im Auto liegen lassen. Er habe noch gesehen, wie sein Bruder Mustafa auf Khaled R. zugelaufen sei. Das Opfer habe ihn kommen sehen. Khaled R. sei wie ein Baum umgefallen. Die eigentliche Tat habe er nicht gesehen. Seine Augen hätten wegen des Pfeffersprays der Polizei gebrannt. Sein Bruder habe ihm später immer wieder erzählt, dass er die Schulter und nicht den Kopf getroffen habe. Doch das Messer, es gehörte dem Unternehmensberater, steckte tief im Schädel.

Miris hatten Angst vor Blutrache

„Die lügen bis zum Umfallen“, ruft einer der Nebenkläger vor der Pause. Dann ist eine Hausdurchsuchung bei den Miris das Thema, wo die Beamten Automatik-Pistole und Munition entdeckten - in Blumentöpfen, Nachtschrank und Zwischendecke. Sie hätten sich aus Angst vor Blutrache bewaffnen müssen, sagt der 38-Jährige.

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke.

Der 34-jährige Angeklagte sitzt zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse und Dirk Meinicke. Foto: Pool/dpa

Drohungen scheinen den Prozess zu begleiten. „Du Fettsack, du wirst es noch sehen“, habe ein Al-Zein ihm laut Miri-Anwalt Dirk Meinicke zugerufen. In der Nacht habe sich vor seinem Landhaus eine größere Gruppe versammelt.

Der Prozess wird am Montag, 2. Dezember, 9.30 Uhr, fortgesetzt.

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