TClever, nachtragend & sprechen Dialekt: 10 Fakten über Möwen
Eine Silbermöwe landet gekonnt auf einem Dach in Bremerhaven. Foto: Scheschonka
Sie sind die frechen Küstendiebe, die uns das Fischbrötchen klauen und doch unser Herz erobern. Möwen sind mehr als nur nervige Schreihälse – sie sind Überlebenskünstler, die trotz aller Cleverness Schutz benötigen, denn ihre Population sinkt.
Bremerhaven. Sie sind frech, laut und ihr Schiet macht keine Freude. Dennoch gehören Möwen zur Küste, wie das Fischbrötchen, das sie klauen.
Einer, der sie liebt, ist Felix Schöntaube (41), Vorsitzender des Nabu Dornum. Er erforscht seit über zehn Jahren das Leben der Möwen vom niedersächsischen Wattenmeer bis zum Tromsøy-Sund nördlich des Polarkreises. Zehn Fakten über Silbermöwen.
1. Silbermöwen sind treu und haben Pärchen-Rituale
Silbermöwen leben für eine Brut monogam. Langzeitstudien zeigen, dass 70 bis 90 Prozent der Paare im nächsten Jahr wieder zusammenfinden. Die Bindung wird durch ritualisierte Verhaltensweisen erneuert. Zum Beispiel durch gemeinsames „Langrufen“ mit zurückgeworfenem Kopf.

Zwei Jungmöwen der Silbermöwe haben am Hafen von Wilhelmshaven wenig Scheu. Foto: Maike Wessolowski
2. Brüten erst erfolglos, dann moderne Eltern
Beide Partner brüten abwechselnd über 30 Tage und füttern die Küken gemeinsam. Silbermöwen werden mit vier bis fünf Jahren geschlechtsreif, erste Brutversuche bleiben oft erfolglos. Sie brüten in Kolonien. Innerhalb der Kolonie verteidigt jedes Paar sein Nestrevier, während gemeinschaftlich genutzte Bereiche wie Rastplätze geteilt werden.

Zwei Drittel der jungen Möwen überleben ihr erstes Jahr nicht. Foto: Emma Inzani/dpa
3. Möwen werden richtig alt – altern aber anders als Menschen
Die mittlere Lebenserwartung wild lebender Silbermöwen beträgt zehn bis 15 Jahre. Im ersten Lebensjahr sterben aber bis zu 70 Prozent der Jungvögel.
Das nachgewiesene Höchstalter beringter Vögel liegt bei über 30 Jahren – der älteste dokumentierte Ringfund einer wilden Silbermöwe in Europa: 34 Jahre.
Silbermöwen altern, anders als Menschen, nicht kontinuierlich. Sie bleiben bis kurz vorm Tod erstaunlich fit und pflanzen sich auch fort.

Keine Küstenstadt ohne Möwen: Möwen fliegen im Sonnenaufgang über Bremerhaven. Foto: Sina Schuldt/dpa
4. Silbermöwe hält den Altersrekord – „Kaiser“ wurde fast 50 Jahre
Die wohl älteste Möwe war eine Silbermöwe, die in Gefangenschaft 49 Jahre alt wurde und „Kaiser“ hieß. Sie wurde 1889 als hilfsbedürftiges Jungtier aufgenommen und 46 Jahre als Haustier gehalten. Sie starb 1935.
Die Haltung von Möwen als Haustiere ist in der EU verboten. Alle heimischen Möwenarten sind geschützte Wildvögel.
Möwen haben komplexe Sozialstrukturen und tägliche Bewegungsradien von 50 bis 100 Kilometern (Brutzeit).
Populär geworden ist Steven:
5. Wer eine Möwe einmal verärgert, hat länger was davon
Eine Möwe, die immer nur einen speziellen Handwerker angreift? Möwen können Gesichter von Menschen wiedererkennen. Diese Fähigkeit ist besonders während der Brutzeit ausgeprägt, wenn die Vögel ihre Nester verteidigen.
Die Aggressionsbereitschaft gegenüber als Bedrohung eingestuften Personen kann über die Brutsaison hinaus bestehen bleiben. Möwen reagieren dabei nicht nur auf Gesichter, sondern auch auf Kleidung, Gang und Körperhaltung.

Eine Silbermöwe attackiert auf Mellum zwei Vogelwarte, die zu wissenschaftlichen Zwecken Untersuchungen an Möwenbrutplätzen vornehmen. Foto: Heilscher
6. Wie man sein Fischbrötchen am besten schützt
Jungmöwen fiepen und betteln Eltern an. Küken picken gegen den roten Fleck am Unterschnabel, was die Eltern zur Futterübergabe stimuliert.

Der rote Punkt auf dem Schnabel von Möwen hat eine sehr spezielle Funktion. Foto: Stefan Sauer/dpa
Silbermöwen sind opportunistische Allesfresser. Egal, ob Fische, Krebstiere, Würmer, kleine Wirbeltiere, Eier, Aas und pflanzliches Material.
Essen sie unser Fast-Food, hat das negative Effekte: Weniger Küken mit weniger Gewicht, Mangelernährung trotz ausreichender Kalorienzufuhr, erhöhte Schadstoffbelastung. Die einseitige Ernährung schadet – ähnlich wie beim Menschen.
Auf frischer Tat ertappt
Füttern verboten: Polizei erwischt „Möwen-Mann“ am Deich
Dort, wo Jungvögel gefüttert, verlieren die Tiere ihre natürliche Scheu. Studien zeigen, dass regelmäßig gefütterte Möwenpopulationen weniger flüchten und mehr betteln.

Deichbrand ist auch für Möwen ein Fest – die Müllabholung in der Stadt sind ebenfalls „Feiertage“. Foto: NZ-Archiv
Was niedlich erscheint, rächt sich. Die Vögel unterscheiden nicht zwischen dargereichtem Futter und dem Essen, das man nicht teilen möchte. Das kann Verletzungen zur Folge haben.
Britische Forscher testeten, wie Silbermöwen auf direkten Blickkontakt reagieren. Ergebnis: Möwen näherten sich Nahrung durchschnittlich 21 Sekunden später, wenn sie dabei angestarrt wurden.
Von 74 getesteten Möwen näherten sich nur 27 Prozent der Nahrung unter Beobachtung, ohne Blickkontakt waren es deutlich mehr. Möwen interpretieren menschliche Aufmerksamkeit als mögliches Risiko und passen ihr Verhalten an.
7. Wenn es um Futter geht, sind sie extrem clever
Möwen folgen Schiffen, weil sie das aufgewühlte Wasser die Nahrungssuche erheblich erleichtern.
Einzelne Möwen folgen regelmäßig bestimmten Schiffsrouten. Sie können Fischereifahrzeuge von Fähren und Frachtschiffen unterscheiden.

Bei der Futtersuche sind sie clever und lernen. Foto: Ingo Wagner
Möwen lassen Muscheln, Seeigel, Krebse und Schnecken aus Höhen von drei bis 15 Metern auf harte Oberflächen wie Felsen, Straßen oder Dächer fallen, um sie zu öffnen. Erfahrene Vögel haben die beste Abwurfhöhe `raus.
Möwen machen „Foot-Paddling“: Die rhythmischen Trittbewegungen erzeugen Vibrationen im Boden, die Regenwürmer an die Oberfläche treiben. Vermutlich interpretieren die Würmer die Vibrationen als Regen und fliehen vor potenzieller Überflutung ihrer Gänge. Das Verhalten ist angeboren, wird aber durch Erfahrung verfeinert.
Möwen haben weitere dokumentierte Techniken: Futterraub bei Artgenossen und anderen Vögeln. Und sie werfen Köder wie Brotstücke ins Wasser, um Fische anzulocken.
8. Möwen zanken sich lautstark und sind wetterfühlig
Manchmal hört man sie gar nicht, dann wieder sind sie laut: Plötzliches Auffliegen größerer Möwengruppen kann verschiedene Ursachen haben: Angst vor (vermeintlichen) Feinden, Revierkämpfe oder Entdeckung einer neuen Nahrungsquelle.
Möwen reagieren sensibel aufs Wetter. Vor herannahenden Tiefdruckgebieten sind sie unruhig und rufen viel. Bei stabilem Hochdruckwetter sind sie ruhiger. Die Rufaktivität folgt auch einem Jahresrhythmus mit Höhepunkten während der Balz (Februar/März) und Brutzeit (April-Juli).

Füttern verboten? Das sehen diese Möwen im Stadtpark Lehe anders. Foto: Scheschonka
Möwen sind tagaktiv. Studien belegen nächtliche Nahrungsflüge, besonders bei Vollmond und in beleuchteten Gebieten. Die nächtliche Aktivität nimmt während der Brutzeit zu, wenn der Nahrungsbedarf höher ist.
Ihre Sehfähigkeit bei schwachem Licht ist besser entwickelt als früher gedacht. Sie nutzen künstliche Lichtquellen und wurden in beleuchteten Häfen unter Straßenlaternen bei der Jagd auf Fische beobachtet.
9. Möwen sind Schnacker und haben „Dialekte“
Möwen verfügen über eine differenzierte Kommunikation. Lange Rufe (Revieranzeige, Individualerkennung), Alarmrufe (verschiedene für Luft- und Bodenfeinde), Bettelrufe (Jungen), Aggressionslaute und Kontaktrufe. Bei Silbermöwen wurden 10 bis 15 Rufe identifiziert.
Möwen zeigen regionale Unterschiede in ihren Rufen, akustische „Dialekte“. Ein Biologe spielte Möwen auf Helgoland (Nordsee) Rufe von Silbermöwen von Rügen (Ostsee) vor. Die Tiere reagierten weniger stark oder irritiert. Offenbar konnten sie die fremden Laute nicht direkt zuordnen.

So sehen die Jungmöwen der Silbermöwe aus. Hier bettelt eine im Biergarten im Küstenort Caernarfon in Wales. Foto: Maike Wessolowski
10. Warum wir Möwenhotels bauen müssen
Während Touristen über „Möwenplagen“ klagen, gehen die Bestände zurück.
In Niedersachsen ist die Silbermöwe als stark gefährdet eingestuft. Laut jüngster Zahlen sank die Zahl der Brutpaare im Nationalpark Wattenmeer von etwa 40.000 auf rund 7.000 (Rückgang von 75 Prozent).
Sinkende Bestände
Studie: Wie verändert sich das Wattenmeer?
Natürliche Feinde sind Fuchs, Marder, Wanderratte bei Bodenbrütern; Habicht, Wanderfalke, Uhu bei Altvögeln; Mantelmöwe/Großmöwen bei Küken. Es gibt Krankheiten, verursacht durch Schimmelpilze und Bakterien, sowie Vogelgrippe.
Da Möwen ihre natürlichen Brutplätze an Klippen verlassen und in Städte abwandern, nisten sie oft an Gebäuden, was zu Konflikten führt. In Norwegen sind „Kittiwake-Hotels“ (Möwenhotels) eine Idee, sie wegzulocken.

In Norwegen baut man Kittiwake - Möwen-Hotels als künstliche Brutfelsen. Foto: IMAGO/H. Baesemann
Der Mensch verschuldet Todesfälle auch indirekt: Kollisionen mit Stromleitungen/Fahrzeugen, Verfangen in Fischernetzen; Vergiftungen (Schwermetalle/Pestizide) und Plastikmüll im Verdauungstrakt. (NZ)