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TDer Bio-Bauer und die Industrie: Schwierige Nachbarschaft in Bützfleth

Jan Witt im Apfelhof. Das Blattwerk der Bäume verdeckt die Schornsteine der Industrie am Horizont.

Jan Witt im Apfelhof. Das Blattwerk der Bäume verdeckt die Schornsteine der Industrie am Horizont. Foto: Richter

Ungespritzte Äpfel, Hühner auf dem Hof, Pferde auf der Weide: So, wie Bio-Bauer Jan Witt in Bützfleth lebt, kennen es viele aus dem Bilderbuch. Allerdings hat er eine schwierige Nachbarin.

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Von Anping Richter
Freitag, 14.11.2025, 11:50 Uhr

Stade. Bei Bützfleth denken viele zuerst an Chemie und Aluminium, Seehafen und LNG-Baustelle. Doch auf den fruchtbaren Böden der Bützflether Marsch wird auch schon sehr lange Landwirtschaft betrieben, vor allem Obstbau. Einer der ältesten Höfe gehört Familie Witt.

Gackernde Hühner und alte Apfelsorten

Vor dem großen Bauernhaus liegen Äpfel in Holzkisten zum Abtransport bereit. Dazwischen laufen gackernde Hühner und ein Hahn herum. Hinter Haus und Scheunen liegt die Pferdeweide, ein Fohlen kommt auf Zuruf von Jan Witt gleich angelaufen. Auch 60 Weiderinder gehören zum Hof.

Jan Witt auf seiner Fohlenweide.

Jan Witt auf seiner Fohlenweide. Foto: Richter

Mit seiner Frau Ina betreibt Jan Witt hier in vierter Generation Landwirtschaft. Seine Mutter züchtete Hannoveraner und Dressurpferde, der Vater betrieb konventionellen Obstbau und hielt Milchvieh. Die Pferdezucht führt Familie Witt mit Hannoveranern und Isländern fort, erweitert um eine Pferdepension. Es gibt noch eine letzte Milchkuh: Liselotte. „Die haben wir für die Kinder behalten“, erklärt er. Die fünfte Generation ist gerade in der Schule.

Die Tochter interessiert sich für Pferde und Gemüseanbau, der Sohn kümmert sich gerne um die Hühner. Was sie später aus ihrem Leben machen wollen, sollen sie frei entscheiden, sagt Jan Witt. So wie er selbst: Er hat Meeresbiologie studiert und promoviert. Heute arbeitet er bei einer Landesbehörde und erforscht zum Beispiel die Riffe vor Borkum und ihre wimmelnde Vielfalt von Krustentieren, Fischen, Schwämmen und Korallen.

Volle Apfelkisten auf dem Witt‘schen Hof.

Volle Apfelkisten auf dem Witt‘schen Hof. Foto: Richter

Der Hof läuft parallel als Familienbetrieb weiter. Ihre Äpfel - Finkenwerder Herbstprinz, Holsteiner Cox, Rotprinz - spritzen sie gar nicht, sagt Witt. Auch nicht mit Kupfer oder Schwefel, obwohl das im Bio-Obstbau erlaubt wäre.

Die strengen Prüfungen des Verbands haben Witts Äpfel bisher immer bestanden. Er hofft, dass das trotz der nahen Industrie so bleibt. Man könnte auch sagen, sie ist seine schwierige Nachbarin. Wer im Obsthof steht und Richtung Elbe blickt, kann die Schornsteine am Horizont sehen.

Vom Elbstrand zum Industriegebiet

1967, als Witt geboren wurde, war Bützfleth noch ein kleines Kehdinger Dorf mit Elbstrand: „Es gab ungefährliche Sandbuchten zum Baden. Hinter uns liefen die Ochsen.“ Ab 1969 beginnt die Industrie, sich an der Elbe anzusiedeln. Während Jan Witt auf dem Hof seiner Vorfahren aufwächst, erlebt er, wie Dorf und Umgebung sich verändern.

Hinter dem Industriepark liegt Frühnebel über den Feldern. Dort wachsen auch die Äpfel von Jan Witt.

Hinter dem Industriepark liegt Frühnebel über den Feldern. Dort wachsen auch die Äpfel von Jan Witt. Foto: Martin Elsen

Mit Dow, AOS & Co kommen auch Arbeitsplätze und Gewerbesteuern. Der Strand ist weg. Dafür baut die Stadt Stade, der Bützfleth zugeschlagen wird, im Ort ein schönes, neues Schwimmbad. Mit der Industrie kommen aber auch Emissionen: Staub, Lärm, Schadstoffe.

Aluminiumoxid-Ablagerungen auf der Abdeckung einer Sandkiste in Bützfleth.

Aluminiumoxid-Ablagerungen auf der Abdeckung einer Sandkiste in Bützfleth. Foto: Witt

In den 70er Jahren ziehen Chlorgaswolken über den Ort, die Schule wird evakuiert. Weht der Wind von Osten, legt sich mitunter roter Bauoxitstaub auf Windschutzscheiben, Obstbäume und Gärten. Die Bützflether „Bürgerini­tiative für eine umweltfreundliche Industrie“ (BI) gründet sich.

Sie begleitet die Entwicklungen auf Bützflethersand bis heute. Kritisch, aber nicht feindselig, betont Jan Witt, der aktuell ihr Sprecher ist: „Wir wollen die Industrie nicht hier weghaben. Wir wollen eine nachhaltige Industrie.“ Es gehe um die Gesundheit von Mensch und Umwelt - auch für kommende Generationen.

Statt Müllverbrennung nun Altholzkraftwerk

Als 2014 auf dem Dow-Gelände ein Kohlekraftwerk gebaut werden soll, läuft die BI Sturm. Die Pläne scheitern. Dann soll im Industriepark eine Müllverbrennungsanlage errichtet werden. „Die haben wir in letzter Sekunde verhindert“, sagt Witt. Wo sie geplant war, will die Firma Hansekraft nun Deutschlands größtes Altholzkraftwerk bauen. Die Familie, der das Grundstück gehört, ist Gesellschafterin.

Demonstration gegen das geplante Holzkraftwerk am 21. Oktober auf dem Stader Pferdemarkt.

Demonstration gegen das geplante Holzkraftwerk am 21. Oktober auf dem Stader Pferdemarkt. Foto: Richter

500.000 Tonnen Altholz, auch aus dem europäischen Ausland, sollen jährlich verbrannt werden. Das Kraftwerk soll Prozesswärme für die Industrie liefern - Hochdruckdampf, der bisher durch fossile Brennstoffe erzeugt wird. Die BI hält das Kraftwerk für viel zu groß und für klimaschädlich. Weil unter anderem mit Holzschutzmitteln behandeltes Altholz der Kategorie IV verbrannt werden soll, befürchtet sie außerdem mehr Umweltgifte in der Luft und in der Umgebung.

Hansekraft argumentiert: Altholz, das nicht mehr für die Wiederverwendung - beispielsweise in Spanplatten - geeignet wäre, müsste sonst deponiert werden. Es thermisch zu verwerten, sei umweltfreundlicher, zumal auch Strom und Fernwärme produziert werden sollen. Eine hochmoderne Rauchgasfilteranlage werde dafür sorgen, dass die Schadstoffemissionen weit unter den Grenzwerten bleiben, die das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) fordert.

Hansekraft will Genehmigung bald beantragen

Dass der Top-Standard der Technik eingesetzt werde, sei ihnen schon bei der Müllverbrennungsanlage gesagt worden, sagt Witt. Wie es tatsächlich sei, werde die BI erst beurteilen können, wenn der Genehmigungsantrag beim Gewerbeaufsichtsamt gestellt ist. Hansekraft hat das für Ende des Jahres 2025 angekündigt.

BI-Sprecher Witt sagt aber schon jetzt: „Das Fass ist voll.“ Schließlich gebe es Vorbelastungen. Die Bützflether hätten schon genug erduldet. Umweltverbände wie Nabu, BUND und Robin Wood hat die BI auf ihrer Seite, seit dem Landesparteitag am Dienstag auch die niedersächsischen Grünen: Sie lehnen das Holzkraftwerk in Stade ab. Was aus dem Vohaben wird, dürfte sich am Ende vor Gericht entscheiden - wieder einmal.

Schadstoff-Messgeräte beim Kindergarten in Bützfleth.

Schadstoff-Messgeräte beim Kindergarten in Bützfleth. Foto: Jan Witt

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