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TDer Wolf in Europa: So unterschiedlich ist der Umgang mit dem Raubtier

Wölfe können bis zu 100 Kilometer am Tag zurücklegen.

Wölfe können bis zu 100 Kilometer am Tag zurücklegen. Foto: Rehder

Getötete Schafe und Sichtungen unweit von Wohnhäusern im Kreis Stade: Bei kaum einem anderen Thema ging es in den vergangenen Monaten so emotional zu wie beim Wolf. Für den Umgang mit dem Raubtier kann der Ausgang der Europawahl entscheidend sein.

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Von Karsten Wisser
Dienstag, 04.06.2024, 19:00 Uhr

Landkreis. 20 tote Schafe bei zwei Angriffen im Alten Land: Spätestens seit der Wolf die für den Deichschutz an der Elbe so wichtigen Tiere angegriffen hat, verschärfte sich die ohnehin schon emotionale Diskussion um das Raubtier noch einmal deutlich.

Hätte der Wolf in einem anderen EU-Land 20 Schafe getötet, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass er zur Jagd freigegeben würde, deutlich höher als in Deutschland.

Beim Umgang mit dem Wolf gibt es in Europa ein schwer zu durchschauendes Wirrwarr von EU-Recht und nationalen Gesetzen. Der Wolf ist eine aufgrund der EU-weit geltenden Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, Anhang 4 (FFH-RL), streng geschützte Tierart. Die Bejagung des Wolfes ist in Deutschland daher auch verboten.

Hoch kompliziert: Stader Landrat erteilt Abschussgenehmigung

Es gibt allerdings Ausnahmen beim Bejagungsverbot. Der Stader Landrat Kai Seefried (CDU) versucht, mit einer Abschussgenehmigung den Wolf im Alten Land schießen zu lassen. Das ist hoch kompliziert und voller juristischer Fallstricke. Der von Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Bündnis 90/Die Grünen) unterstützte Versuch wird mit hoher Wahrscheinlichkeit und offenem Ausgang gerichtlich überprüft.

Der Schutz des Wolfes in Europa wird im Wesentlichen durch die Berner Konvention und die besagte EU-Habitatrichtlinie geregelt. Die Berner Konvention über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Tiere und Pflanzen und ihrer natürlichen Lebensräume trat 1982 in Kraft. Als Deutschland der Aufnahme des Wolfs in den Status streng geschützt der FFH-Richtlinie in den 1990er Jahren zugestimmt hat, gab es in Deutschland seit mehr als 100 Jahren keine Wolfsrudel mehr.

Der Ost-West-Konflikt und der Eiserne Vorhang zwischen der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik verhinderten die Rückkehr der Räuber in den Westen. In der DDR wurden Wölfe, die aus Polen kamen, abgeschossen.

Deutsches Wolfsrudel zur Jahrtausendwende

Erst 1998 gab es erste Wolfs-Nachweise in Sachsen. 2000 wurden in Deutschland die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren. Heute gibt es 184 bestätigte Wolfsrudel in Deutschland, allein in Niedersachsen sind es 54 Wolfsterritorien. Aus Artenschutzsicht ist das ein großer Erfolg. Viele Nutztierrisse, hilflose Behörden und verängstigte Menschen stehen auf der anderen Seite.

Das Wachstum des Wolfsbestands ist rasant. In einer Analyse der EU zum Wolf werden für Deutschland von 2000 bis 2017 Wachstumsraten von etwa 36 Prozent pro Jahr genannt. Entscheidend für die Einstufung ist eigentlich der gute Erhaltungszustand der Population. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass dieser gute Erhaltungszustand in Teilen Europas und Deutschland erreicht ist.

Andere Länder machen es anders. EU-Mitgliedsstaaten, in denen der Wolf landesweit als streng geschützt eingestuft ist, sind Deutschland, Dänemark, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Österreich, Tschechien, Italien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Portugal, Schweden, Rumänien und Irland. EU-Mitgliedsstaaten, in denen der Wolf landesweit lediglich als geschützt eingestuft ist, sind Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen und die Slowakei.

Rentierzucht wird wolfsrudelfrei gehalten

Es gibt auch EU-Mitgliedsstaaten, in denen der Wolf nur gebietsweise streng geschützt beziehungsweise geschützt ist. Ein Beispiel dafür ist Finnland: Dort gilt der Status streng geschützt und das Jagdverbot landesweit, mit Ausnahme der Gebiete der Rentierzucht im Norden. Dort darf er gejagt werden. Für Griechenland und Spanien gibt es ähnliche Regeln.

Damit aber nicht genug der Unterschiede: Auch Länder wie Frankreich und Schweden, die vergleichbar mit Deutschland im streng geschützten Status sind, jagen den Wolf routinemäßig. In Frankreich regelt ein nationaler Aktionsplan, wie viele Wölfe gejagt werden dürfen. 174 Wölfe waren das 2023. In Frankreich gibt es insgesamt rund 1000 Wölfe.

Niedersachsen hat mehr Wölfe als Schweden

Die Wolfstötungen in Schweden sind in der EU aus mehreren Gründen umstritten. Erstens zählt die schwedisch-norwegische Wolfspopulation weniger als 500 Tiere. Darüber hinaus sind skandinavische Wölfe stark inzuchtbelastet, was die langfristige Überlebensfähigkeit gefährdet.

Im Winter 2022/2023 sind in Schweden 57 Wölfe legal getötet worden. Weitere 24 Tiere wurden bei Schutzjagden auch legal getötet. So eine Schutzjagd würde auch dem Wolf im Alten Land drohen. In Bezug auf die Anwendung von Ausnahmeregelungen zur Tötung von Wölfen hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Schweden eingeleitet.

Vor 60 Jahren drohte dem Wolf die Ausrottung

In den 1960er und 1970er Jahren drohte dem Wolf in Europa die vollständige Ausrottung. Sie verschwanden fast vollständig aus Finnland, Skandinavien und Mitteleuropa und waren auf Osteuropa und die südeuropäischen Halbinseln beschränkt. Das hat sich sehr grundlegend geändert. In der EU gibt es nach aktuellen Schätzungen rund 20.000 Wölfe. Die Raubtiere sind sehr anpassungsfähig und können im Prinzip überall dort leben, wo der Mensch es auch kann.

Die Länder mit den meisten Wölfen in der EU sind Italien (3307), Rumänien (2500 bis 3000), Spanien (rund 2100), Polen (1886), Deutschland (1400) und Griechenland (1020). Die Wolfszahlen in Bulgarien gelten laut einem offiziellen Bericht als unsicher. Obwohl die offiziellen Daten 2712 Wölfe betragen, vermutete die EU 800 bis 1200 Tiere. Die Umrechnungsfaktoren von Rudel zu Individuum liegen am häufigsten zwischen sechs und acht Tieren, können aber auch zwischen vier (Belgien) und zehn (Schweden) liegen.

Die EU-Kommission will den Schutzstatus absenken

Die Variation der Umrechnungsfaktoren führt zu großen Abweichungen bei den Schätzungen der Wolfszahlen. Beispiel Deutschland: Es gibt Schätzungen, die mehr als 2000 Wölfe vermuten. Angesichts der Wachstumsraten ist es wichtig, wann die Zahlen an die EU gemeldet werden. Zwei Jahre Unterschied mit einer Zuwachsrate von jeweils 30 Prozent können viel verändern.

Basierend auf einer eingehenden Analyse zum Status des Wolfes in der EU hat die Europäische Kommission Ende 2023 vorgeschlagen, den internationalen Schutzstatus des Wolfes im Rahmen des Berner Übereinkommens von streng geschützt auf geschützt zu ändern. Damit wäre auch keine unbegrenzte Jagd möglich.

Es wäre aber einfacher, auf Problemtiere zu reagieren und wolfsrudelfreie Zonen zum Beispiel an den Deichen zu schaffen. Die Schafe gelten schließlich für die Stabilität der Deiche als beste Sicherungsmaßnahme.

Deutscher Bundestag bei Wolfsstatus uneinig

Das entspricht auch weitgehend dem Standpunkt, den das Europäische Parlament im vergangenen Jahr formuliert hatte. Ob das mehrheitsfähig ist, ist unsicher und hängt auch entscheidend vom Ausgang der Europawahl am kommenden Sonntag ab.

Das Bundesumweltministerium hat sich in der Frage noch nicht festgelegt. In der Bundespolitik ist das Thema umstritten. Die Bundestagsfraktionen von Union, FDP und AfD sprechen sich in einer Umfrage des Deutschen Jagdverbands für die Herabstufung des Schutzstatus aus. Die Grünen sind dagegen. Die SPD legt sich nicht verbindlich fest. Sie will aber dort, wo der gute Erhaltungsstand erreicht ist, Wolfsmanagement zulassen.

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