TWie seelisch kranke Menschen bei der Brücke neuen Halt finden
Spaß kommt nicht zu kurz: Brücke-Leiterin Simone Schulte (von links) mit den Ehrenamtlichen Paul, Anja, Rosi, Almut und der zweiten Brücke-Leiterin Annette Bisping. Foto: Bisping
Wenn nichts mehr geht, finden sie hier Hilfe und Beratung: Der Verein Die Brücke kümmert sich um Menschen, die psychisch erkrankt sind und neuen Halt brauchen. Die Ehrenamtlichen unterstützen sie - und helfen sich gegenseitig. Ein Besuch.
Stade. Mit ihren Nachnamen sind sie vorsichtig. Rosi, Almut, Anja und Paul möchten gerne von ihren Aktivitäten beim Stader Verein „Die Brücke - Hilfe und Halt“ erzählen. Aber ohne Nennung des ganzen Namens. Denn noch immer werden Menschen mit psychischen Problemen stigmatisiert, seelische Erkrankungen von der Gesellschaft wenig anerkannt. Betroffene erleben Ausgrenzung oder fürchten sie. Nicht so bei der Brücke.
Anja erzählt, dass für sie der tägliche Besuch in der Schiefen Straße in Stade sehr wichtig ist. Schon seit 30 Jahren kommt sie zur Brücke. Mit kleinen Pausen. „Ich brauche Struktur“, sagt sie. Veranstaltungen organisieren, kochen, sich um die Schwimmgruppe kümmern. Bei verschiedenen Aktivitäten hat sie sich engagiert. Anja sagt, ihr gibt es Mut, wenn sie „viel schafft“.
34 Ehrenamtliche halten Die Brücke am Laufen
Anja gehört zu den 34 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den sogenannten EMIs. Sie bringen sich ein im Verein, der beheimatet ist in einem kleinen Altbauhaus. Ein Verein, der Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen auffängt. Der für sie da ist, der Hilfe zur Selbsthilfe anbietet. Wie bei Anja.
Ihre Kindheit war geprägt von Einsamkeit, von Vernachlässigung, erzählt Anja. „Meine Mutter und mein Stiefvater haben sich kaum um mich gekümmert.“ Mit 16 Jahren versagte ihr Körper. „Plötzlich konnte ich keine Treppen mehr laufen.“ Immer seltener ging die junge Frau raus, irgendwann, sagt Anja, verließ sie das Haus gar nicht mehr.
Sie erzählt, dass sie früh Mutter wurde, schon mit 18. Das sei gut gewesen. „Ich hatte Verantwortung, habe gelernt, mit dem Kind wieder vor die Tür zu gehen“, sagt sie. Gut ging es ihr trotzdem nicht. Sie habe Bulimie bekommen. „Nach zwei Jahren hat meine Oma gesagt: Wenn du nicht aufhörst, stirbst du.“
Sie trotzt ihrer Krankheit ohne Tabletten
Anja erzählt, dass sie eine Zwangsstörung entwickelte, dass sie 30 Mal hintereinander Türen abschloss. Innerlich sei sie unruhig gewesen, habe aber nie Tabletten genommen. Sie habe eine Therapie gemacht und noch einmal ihren Führerschein. Doch auf der Autobahn, sagt sie, musste sie abbrechen - es ging nichts mehr. Beruflich habe es besser geklappt. Im Krankenhaus habe sie als Patientenservicepflegekraft gearbeitet. „Ich war unheimlich stolz auf mich.“ Nach fünf Jahren dann erneut ein Zusammenbruch. 2008, sagt Anja, wurde sie verrentet.
DAK: Mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen
„Bei uns gibt es den ganz großen Topf, praktisch jede Krankheit“, sagt Simone Schulte, eine von zwei Leiterinnen der Brücke. „Posttraumatische Belastungsstörungen, Angstpsychosen, Essstörungen, Alkoholsucht, Depressionen.“ Und die Zahl der Betroffenen steige.
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Laut einer Robert-Koch-Studie aus dem zweiten Quartal 2023 zeigen sich „negative Entwicklungen des psychischen Gesundheitszustands in der Bevölkerung“, in allen Geschlechter-, Alters- und Bildungsgruppen. Auch der aktuelle Psychoreport der DAK weist auf einen neuen Höchststand beim Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen im Jahr 2022 hin. Mit 301 Fehltagen pro 100 Versicherte lag er um 48 Prozent über dem Niveau von vor zehn Jahren.
Für viele ist die Brücke ein Hafen
Auch Rosi war Besucherin und wurde eine EMI. Seit fünf Jahren leitet sie die Töpfergruppe. Töpfern, findet sie, sei schon an sich eine Therapie. „Es ist schön, bei anderen zu sein.“ Almut, ebenfalls EMI, wollte Kontakt und Menschen kennenlernen. Sie arbeitet in der Redaktion der vereinseigenen Zeitung. „Hier ist ein toller Hafen, immer ein Ort der Sicherheit.“ Besucher können miteinander reden. „Oder mit der engagierten Leitung, mit der wir großes Glück haben.“
Für Besucher der Brücke stellen die EMIs ein vielfältiges Programm auf die Beine. Es reicht von Fitness über Handarbeit bis hin zum Hundetreff. Sie bereiten einen Mittagstisch für Besucher mit frisch gekochtem Essen zu. Außerdem leiten sie die Kaffeestube und das Lädchen - ein kleines Café mit Selbstgebackenem, fair gehandeltem Kaffee und Kakao und Secondhand-Shop.
„Die EMIs passen sehr gut aufeinander auf und sind stark vernetzt“, sagt Simone Schulte. „Alle sind sehr empathisch miteinander. Sie gehen aufeinander ein und regeln ganz viel selbst.“ Zu ihnen gehört auch Paul. Im Krankenhaus wurde ihm vorgeschlagen, zur Brücke zur gehen. Jetzt ist er jeden Tag da und packt überall an. „Wenn hier jemand Hilfe braucht, helfe ich“, sagt er.
Glücksschweine-Erlös
Der Erlös der TAGEBLATT-Glücksschweinaktion, der diesmal der Brücke zugute kam, fließt in Ausflüge. „Für viele sind sie etwas ganz Besonderes, da sie sich die privat nicht leisten können“, sagt Simone Schulte. Der erste steht schon. Es geht zum Wildpark in die Lüneburger Heide.
Es werden noch ehrenamtliche Helfer gesucht, auch für den Vorstand. Am 12. März, 17 Uhr, gibt es eine Mitgliederversammlung im Pastor Behrens Haus, Ritterstraße 15. Interessierte sind herzlich eingeladen.
Mehr: www.die-bruecke-stade.de.