TEin letztes Mal Halle Nord: 74 Tore, viele Erinnerungen und viel Party
"Links Rechts": Beide Mannschaften haben das Publikum gut unterhalten - und dafür das Spiel auch mal unterbrochen. Foto: Jan Iso Jürgens
Letzter Abpfiff in der Halle Nord: Drei BSV-Legenden erzählen, wie sie das Abschiedsspiel erlebt haben und welche Gefühle die traditionsreiche Spielstätte in ihnen auslöst.
Buxtehude. Kurz vor dem Anwurf stehen beide Mannschaften auf dem Spielfeld, als BSV-Manager Peter Prior eine Frau würdigt, die den BSV mit ihren Toren entscheidend in die Bundesliga geführt hat. Standing Ovations - Jara Ivancikova erhebt sich von ihrem Platz, sichtlich bewegt.
Auch Minuten nach dem freundschaftlichen 37:37 (15:18) zwischen dem aktuellen Bundesliga-Team des Buxtehuder SV und einem BSV-Allstar-Team zeigt sich Ivancikova überwältigt. „Es war sehr emotional, eine große Ehre“, sagt die 68-Jährige mit geröteten Augen. Ihr Name ist in Buxtehude untrennbar mit dem Aufstieg von 1989 verbunden. Die frühere tschechische Nationalspielerin war der Star im Team von Trainer Hans Dornbusch, der Dreh- und Angelpunkt des BSV-Spiels und Top-Torjägerin.

Aufstiegsheldin Jara Ivancikova. Foto: Jan Iso Jürgens
„Ich verbinde den BSV mit dem Aufstieg, sowieso, aber auch mit dem Gefühl, dass der Verein wie eine Familie war“, sagt Ivancikova, das habe sie heute wieder gespürt. „Das war die Bestätigung, dass man nach 36 Jahren nicht vergessen wurde.“ Dann sprudeln die Erinnerungen - an ihre kleine Wohnung am Fleth, den Job im Modehaus Stackmann, das Kümmelbrot, das der Bäcker extra für sie buk. Nach der intensiven Zeit in Lützellinden unter Kulttrainer „Doc“ Gerlach fand sie in Buxtehude endlich Ruhe.
Letztes BSV-Spiel in der Halle Nord
Ivancikova spielte lange Handball, lebt heute im hessischen Biebertal und arbeitet weiterhin als Fußpflegerin. „Im Frauenhandball hat man damals nicht viel verdient“, sagt sie. Am liebsten hätte sie am Samstag noch einmal das Trikot übergestreift, zumindest für einen Siebenmeter. „Aber das wollte ich nicht riskieren - ich habe eine neue Hüfte.“

Die Allstars sorgten am Samstag für gute Unterhaltung. Foto: Jan Iso Jürgens
Einmal noch in ihrem „Wohnzimmer”
Stefanie Melbeck macht es sich ein letztes Mal vor 1020 Zuschauern in ihrem „Wohnzimmer” bequem - das ist die Halle Nord für sie. Mit ihrer hohen Rückennummer 77 ist Melbeck wie früher die letzte Spielerin, die in die Halle einläuft, diesmal mit ihrem elfjährigen Sohn Kjell.

Stefanie Melbeck macht die ins Feld gewechselte BSV-Torhüterin Ylva Tants fest. Foto: Jan Iso Jürgens
Im Spiel dirigiert sie im Abwehrzentrum ihre Teamkolleginnen. Das kennen die BSV-Fans von Melbeck, die sich bei den Fans als „Abwehrkante” und „Kampfschwein” zur Vereinslegende spielte - das sieht das Publikum, als sie mit einer Mitspielerin einen Kempa-Trick spielt und sich mit vollem Einsatz auf den Hallenboden schmeißt. Veredeln kann sie den Spielzug aber nicht.

Stefanie Melbeck trug wie früher die Nummer 77 auf ihrem Trikot. Foto: Jan Iso Jürgens
In Minute 18 flachst der Hallensprecher ein erstes Mal: „Böses Foul von Steffi Melbeck”, die 48-Jährige verschuldet einen Siebenmeter. Kurz nach dem Seitenwechsel sorgt er dann für die Pointe: „Böses Foul an Steffi Melbeck”, Melbeck holt mit all ihrer Cleverness einen Siebenmeter heraus.
Melbeck ist an diesem Tag mittendrin und sorgt für emotionale Höhepunkte: Erst holt sie BSV-Legende und Weltmeisterin Andrea Bölk von der Tribüne an die Siebenmeterlinie, dann Christin Becking, die seit 20 Jahren im BSV-Marketing arbeitet. Beide treffen. Ein Spiel, das beste Unterhaltung in Melbecks Wohnzimmer bietet.

Jolina Huhnstock nimmt Cara Reiche Huckepack. Foto: Jan Iso Jürgens
Und dann darf die Halle Nord ein letztes Mal über ein Melbeck-Tor jubeln. Die Ex-Nationalspielerin nahm einmal an Olympia teil, an drei Weltmeister- und vier Europameisterschaften. WM-Bronze steht in ihrer Vita - und der DHB-Pokalsieg 2015 in ihrer Geburtsstadt Hamburg, als sie dem BSV wegen Verletzungssorgen aushalf.

Die ehemaligen BSV-Bundesliga-Trainer Heike Axmann, Hans-Herbert Ludolf, Leszek Krowicki und Otto Sternberg (von links). Foto: Jan Iso Jürgens
Danach beendete Melbeck ein zweites und letztes Mal ihre Karriere. „Der Pokalsieg war das schönste Erlebnis”, schwelgt Melbeck in Erinnerung, kommt aber schnell wieder auf die Halle Nord zu sprechen: „Es war immer etwas Besonderes, hier zu spielen.“ Ein Satz, den die BSV-Fans als Kompliment auffassen dürfen.

BSV-Mitarbeiterin Christin Becking durfte vom Siebenmeterpunkt ran. Foto: Jan Iso Jürgens
Nicht mehr so schnell, aber immer noch blindes Verständnis
Allstar Jessica Inacio hat es wie Melbeck auch noch drauf. Mit vier Toren ist sie neben Christina Haurum die treffsicherste in der „coolen Truppe”, wie sie sagt. Und eine der aufmerksamsten: Mehrmals fängt sie Pässe ihrer Gegnerinnen ab, leitet Tempogegenstöße ein. Man merkt der 33-Jährigen an, dass ihre Handballkarriere noch nicht lange zurückliegt.

Jessica Inacio in guten Händen, hier mit dem früheren BSV-Physio Jörn Schimkat (links) und Dr. Hans-Wolfram Körner in seinem letzten Spiel als Mannschaftsarzt. Foto: Jan Iso Jürgens
Die Spielzüge der Allstars sind keine Zufallsprodukte, die Routinen untereinander verlerne man nie, sagt Inacio: „Bei den Abläufen im Training, beim Speedplay haben wir schnell gemerkt: Wir kennen unsere Spielzüge.” Einziger Unterschied: „Wir sind nur nicht mehr so schnell auf den Beinen. Aber das Spielverständnis ist noch voll da.”

Der langjährige BSV-Betreuer Michael Jungblut saß auf der Bank der Vereinslegenden. Foto: Jan Iso Jürgens
Und der Ehrgeiz sei im Training auch zu spüren gewesen. Doch am Samstag überwiegt der Spaß. Den gönnt sich Inacio in Minute 40: Sie legt sich auf den Hallenboden, damit sich auch der auf die Platte eilende Physio Jörn Schimkat den Szenenapplaus verdient.
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T Au Backe! Die Halle Nord aus ungewohnter Perspektive
Die Abschiedsfeier solle noch mindestens bis Mitternacht dauern - und eine „mit jeder Menge Kaltgetränke” sein, wünscht sich Inacio. „Richtig Spaß” hat es ihr gemacht, das BSV-Trikot nochmal zu tragen. Das hatte sie zwischen 2009 und 2020 an, darin zwei Vizemeisterschaften und drei Titel geholt: 2015 und 2017 den DHB-Pokal und 2010 den EHF-Challenge-Cup - Letzteren in der Halle Nord. Triumphe wie dieser bleiben für die Ewigkeit.
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