TFünf Unfall-Urteile, die jeder kennen sollte

Grün heißt Fahren, aber vorsichtig: Auf Fußgänger und Radfahrer müssen Autofahrer beim Abbiegen besondere Rücksicht nehmen - sonst droht ein Fahrverbot. Foto: Bodo Marks/dpa-tmn/dpa
Motor abgewürgt und es kracht, beim Überholen zu nah dran - Unfall: Es sind Szenen, die im Straßenverkehr jeden treffen können. Was dann gilt.
Ein Biker fährt viel zu schnell und stirbt nach einem Unfall, bei dem ihm ein Autofahrer beim Linksabbiegen die Vorfahrt genommen hat. Ist die Schuldfrage dadurch klar? Keineswegs! Und noch eine Frage: Was passiert, wenn man beim Abbiegen zwar den Verkehr im Blick hat, aber dann den Motor abwürgt, sodass es zu einem Unfall kommt?
Anworten darauf liefern Gerichtsentscheide - mit Folgen für ähnliche Vorfälle. Hier kommt eine Auswahl:
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(1) Gerast, übersehen, tot - wer trägt Schuld?
Wer links abbiegen will, muss den Gegenverkehr mit größter Aufmerksamkeit beobachten. Ansonsten kann bei einem Unfall eine hälftige Haftung drohen, selbst wenn der Entgegenkommende viel zu schnell gefahren ist.
Das lässt sich aus einer Entscheidung ableiten, die das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) getroffen hat. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) informiert über den Fall (Az.: 7 U 91/23).
Es ging um einen tödlichen Unfall: Ein Motorradfahrer hatte in einem Baustellenbereich einen Rettungswagen überholen wollen und gab kräftig Gas. Ein Gutachten ergab später, dass er mit 109 bis 124 km/h unterwegs gewesen sein musste. Erlaubt waren lediglich 50 km/h.
Ein Autofahrer auf der Gegenspur wollte links abbiegen und schätzte das Tempo des Motorrads falsch ein. Laut Gericht wusste der Mann von der Tempobegrenzung und dachte deshalb, noch gefahrlos abbiegen zu können. Doch er täuschte sich - mit fatalen Folgen. Der Biker musste abrupt bremsen, verlor die Kontrolle und stieß mit dem Fahrzeug zusammen. Er verstarb noch an der Unglücksstelle.
Warum das Gericht die Haftung bei 50:50 anlegt
Im Nachgang forderten die Hinterbliebenen des Motorradfahrers Schadenersatz vom Autofahrer. Sie verlangten den Angaben zufolge eine umfassende Haftung für die immateriellen und materiellen Schäden. Die Sache ging vor Gericht.
Das Gericht gab den Angehörigen teilweise recht. Es sah zwar in der starken Tempoüberschreitung des Bikers einen wesentlichen Faktor für den Unfall. Aber es wertete gleichzeitig das Abbiegemanöver des Autofahrers als Beitrag zum Geschehen: Er hätte durch aufmerksames Fahren die Geschwindigkeit des Motorrads besser einschätzen und den folgenreichen Zusammenstoß verhindern können.
So entschied das Gericht am Ende in Abwägung des jeweiligen Verhaltens der Beteiligten auf eine hälftige Haftungsteilung.
Das Urteil stammt vom 16. April 2024.Verkehrssicherheit
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(2) Unfall wegen abgewürgtem Motor: Wer haftet?
Würgt man den Motor ab, begeht man per se keinen groben Verkehrsverstoß. Passiert das aber während eines Abbiegemanövers und kommt es dadurch zu einem Unfall, kann man allein für die Folgen haften müssen. Das zeigt eine Entscheidung des Landgerichts Braunschweig, auf die der ADAC hinweist (Az.: 5 O 16/24).
In dem Fall fuhr ein Mann mit einem elektrischen Kabinenroller auf einer Vorfahrtsstraße. Bauartbedingt konnte das Leichtkraftfahrzeug maximal 45 km/h schnell werden. Auf diese Straße wollte ein Feuerwehrauto links einbiegen.
Von der Kupplung gerutscht und abgewürgt
Beim Abbiegen rutschte der Fahrer des Feuerwehrfahrzeugs von der Kupplung und würgte den Motor ab – das Fahrzeug blieb stehen. Zwar versuchte der Mann noch, den Wagen wieder zu starten, dennoch kam es zu einem Unfall mit dem Kabinenroller. Dieses Fahrzeug hatte dabei einen Totalschaden.
Die Versicherung des Feuerwehrautos übernahm im Nachgang aber nur die Hälfte des Schadens. Ihre Begründung: Der Fahrer des Kabinenrollers hätte das Hindernis erkennen und ausweichen oder bremsen können. Dessen Fahrer forderte vollen Schadenersatz. Er hätte sich auf der Vorfahrtsstraße befunden, allein der Fahrfehler des anderen wäre ursächlich für den Unfall. Die Sache ging vor Gericht.
Versicherung muss voll zahlen
Das Gericht urteilte im Sinne des Kabinenroller-Fahrers. Die Versicherung des Feuerwehrautos musste voll bezahlen. Zwar hätte der eigentlich wartepflichtige Feuerwehrwagen wegen der Entfernung des aus etwa 100 Meter Entfernung herannahenden Kabinenroller-Fahrers davon ausgehen können, den Einbiegevorgang auch abzuschließen. Dennoch treffe ihn die Alleinschuld, so die Kammer.
Zwar sei das Abwürgen des Motors an sich kein grober Verkehrsverstoß. Aber solange nicht festgestellt werden könne, dass der Kabinenrollerfahrer hätte anders reagieren können, treffe den Fahrer des Feuerwehrautos die Alleinschuld.
Das Urteil stammt vom 25. Juni 2024.Blaulicht
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(3) Radfahrer muss Jogger Schmerzensgeld bezahlen
Wer als Radfahrer einen Fußgänger auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg überholen will, sollte sehr umsichtig sein. Denn wer zu nah und schnell vorbeifährt, kann damit rechnen, nach einem Unfall Schmerzensgeld zahlen zu müssen. Das zeigt eine Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden (Az.: 9 S 3/24).
Der Fall: Ein Mann joggte auf einem asphaltieren Geh- und Radweg. Von hinten näherte sich ein Rennradfahrer und wollte den Jogger überholen. Dabei berührten sich beide, stürzten und verletzten sich. Der Jogger erlitt unter anderem eine Gehirnerschütterung, kam ins Krankenhaus und musste dort über Nacht zur Beobachtung bleiben. Weil es um die Schuldfrage Streit gab, ging die Sache vor Gericht.

Damit Fußgänger und Radler gesund und sicher unterwegs sind, erfordert es umsichtiges Verhalten von allen Seiten. Foto: Christoph Soeder/dpa/dpa-tmn
Zu schnell und zu dicht vorbeigefahren
Das Urteil: Das Landgericht entschied, dass der Radfahrer die Alleinschuld am Unfall trägt. Denn er hatte nach Ansicht des Gerichts den Jogger nicht ausreichend beachtet und war viel zu schnell und zu dicht vorbeigefahren. Beim Jogger sah das Gericht kein verkehrswidriges Verhalten. Er sei nicht verpflichtet gewesen, auf den sich von hinten nähernden Radler zu reagieren. Der Radler musste dem Jogger ein Schmerzensgeld von 500 Euro zahlen.
Das Urteil stammt vom 2. Juli 2024.
(4) Überhol-Unfall: Kommt die Versicherung um Zahlung herum?
Wer andere mit dem Auto überholt, muss auch ausreichend Seitenabstand lassen. Das gilt speziell beim Überholen für einspurige Gefährte wie Fahrräder. Dafür nennt die Straßenverkehrsordnung (StVO) genaue Meterangaben: innerorts mindestens 1,5 Meter, außerorts Minimum 2 Meter.
Doch auch Motorräder überholt man besser vorsichtig und mit ausreichend Abstand, obwohl dazu in der StVO (Paragraf 5, Absatz 4) keine genauen Meterangaben stehen. Dort ist wie bei allen Kfz die Rede von „ausreichender Seitenabstand“.
Ansonsten haftet man nach einem Unfall voll. Das zeigt eine Entscheidung (Az.: 14 O 65/21) des Landgerichts Köln, über welche der DAV informiert.

Auch Motorräder überholt man besser vorsichtig und mit ausreichend Abstand. Foto: Judith Michaelis/dpa-tmn
Unfall zwischen Motorradfahrer und Auto
Im konkreten Fall war ein Motorradfahrer mit seiner Maschine unterwegs. Beim Verlassen eines Kreisverkehrs kam es zu einer Kollision mit einem ebenfalls ausfahrenden Fahrzeug. Der Biker fiel hin. Dabei erlitt er Verletzungen, und sein Motorrad wurde beschädigt. Seiner Aussage nach habe der Autofahrer ihn mit zu geringem Abstand überholt und abgedrängt.
Im Nachgang verlangte er von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Autofahrers eine Regulierung. Das blieb ohne Erfolg – trotz mehrfacher Aufforderung. Denn der Autofahrer hatte seine Ansicht der Geschehnisse vorgetragen und sah die Schuld beim Biker. Der hätte den Unfall durch ein verkehrswidriges Manöver verursacht. So ging die Sache vor Gericht.
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Gutachten und Zeugenaussagen sprechen gegen Autofahrer
Mit Erfolg für den Motorradfahrer. Denn das Gericht sah die Schuld für den Zusammenstoß beim Autofahrer, der demnach verkehrswidrig überholte – mit zu geringem Seitenabstand. Dieser sogenannte Anscheinsbeweis konnte durch den Autofahrer auch nicht widerlegt werden. Im Gegenteil: Das Gutachten eines Sachverständigen und die Aussagen von Zeugen stützten die Version des Klägers. Die Autoversicherung musste voll haften.
Da wie eingangs erwähnt die StVO da anders als bei Fahrrädern etwa (1,5 Meter innerorts / 2 Meter außerorts) keine exakten Meterangaben nennt, sollte man laut Christian Janeczek von der AG VerkR mindestens 1 Meter Abstand halten, das folge der aktuellen Rechtsprechung.
Das Urteil stammt vom 19. April 2024.
(5) Gefährdung von Fußgängern reicht für Fahrverbot
Wer abbiegt, ohne dabei auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen, muss danach womöglich selbst für eine Weile zu Fuß gehen. Denn ein Fahrverbot kann bereits bei einer Gefährdung verhängt werden - zu einem Unfall mit Verletzung muss es dafür erst gar nicht kommen. Das zeigt ein Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG), über den der ADAC berichtet (Az.: ObOWi 1169/23).
Der Fall: Ein Autofahrer wollte an einer Ampelkreuzung rechts abbiegen. Auch die Fußgängerampel war grün. Der Mann übersah er eine Fußgängerin, die über die Straße ging. Es kam zum Unfall, die Frau erlitt Prellungen und Schürfwunden.
Es folgten ein Bußgeld und ein Fahrverbot von einem Monat. Dagegen legte der Mann Widerspruch ein. Seiner Ansicht nach war er nur kurz unaufmerksam gewesen und die Frau hätte nur leichte Verletzungen zu beklagen. Ein Fahrverbot wäre in seinen Augen nur bei leichtfertigem rücksichtslosem Verhalten angebracht gewesen.
Verweis auf geringe Verletzungen zählt nicht
Das sah das Gericht ganz anders. Zum einen werde bei einer wie hier vorliegenden Verletzung der Sorgfaltspflicht beim Abbiegen mit Unfallfolgen immer ein Regelfahrverbot verhängt. Doch nicht nur das: Bereits eine Gefährdung der Person reicht demnach dafür aus. Daher sei der Verweis auf die geringen Verletzungen nicht stichhaltig. Auch das Argument einer nur kurzen Unaufmerksamkeit hatte keinen Erfolg. Denn das sei laut Gericht in fast allen Fällen dieser Art so. Das Fahrverbot blieb bestehen.
Die Entscheidung stammt vom 13. November 2023. (dpa/tmn/tip)