TKüstenbetrieb warnt: Sperrwerke von Oste bis Lühe müssen neu

Sturmflut: Blick auf das geschlossene Lühe-Sperrwerk in Grünendeich im Dezember 2023. Foto: Vasel
Eine Großprüfung mit Folgen: Sieben Sperrwerke im Kreis Stade werden vom Land betrieben. Jetzt ist klar, wo an den gealterten Bauwerken am dringendsten gehandelt werden muss - und was das über Jahre hinaus bedeutet.
Landkreis. Sieben Sperrwerke schützen die Einwohner im Kreis Stade und in der Region vor den Kräften der Nordsee. „Zuverlässig“, wie der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) betont. Ihre glorreiche Zeit haben die allesamt in den 60er und 70er Jahren errichteten Bauwerke allerdings inzwischen hinter sich.
In Stade stellte der NLWKN jetzt die Ergebnisse nach einer umfassenden Überprüfung der Sperrwerke im Kreis vor - und einen Fahrplan, wie die Massivbauwerke in der Deichlinie für kommende Herausforderungen ertüchtigt werden müssen.
Sperrwerke: Eine gute Botschaft und ein dringender Appell
Die gute Botschaft nahm NLWKN-Projektleiter Andreas Kosch dabei direkt vorweg: „Alle überprüften Bauwerke können den zuletzt 2021 noch einmal deutlich erhöhten Bemessungswasserstand und damit die aktuellen Herausforderungen durch Sturmfluten trotz ihres Alters statisch auch weiterhin sicher bewältigen“, so Kosch. Allerdings: Rechnet man die künftigen Herausforderungen durch den Klimawandel hinzu, die im Küstenschutz in Niedersachsen heute bereits in Form eines Vorsorgemaßes von einem Meter für den prognostizierten Meeresspiegelanstieg in den kommenden 100 Jahren bei Planungen mit berücksichtigt werden, kehrt sich das Bild ins Gegenteil.
„Klar ist - und das zeigen die aktuellen Ergebnisse der Überprüfung der Sperrwerke sehr deutlich: Es sind in den kommenden 35 Jahren massive finanzielle Investitionen von mehreren Hundert Millionen Euro und auch personelle Anstrengungen erforderlich, um die sieben Sperrwerke zwischen Oste und Lühe in einen zukunftsfähigen Zustand zu versetzen. Das hatten wir angesichts des Alters der Anlagen auch so erwartet“, sagte Andreas Kosch.
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„Rekordsumme“: Wie der Küstenschutz finanziert wird
Umweltminister Christian Meyer (Grüne) betonte die Dringlichkeit: „Angesichts der Klimaerhitzung und des Meeresspiegelanstiegs ist es besonders wichtig, den Küstenschutz zu verbessern, um die Menschen hinter dem Deich und ihr Hab und Gut zu schützen. Die Mittel des Bundes für den Küstenschutz müssen daher dauerhaft gesteigert werden.“ Niedersachsen habe seinen Anteil am Küstenschutz ebenfalls erhöht. Zur beschleunigten Umsetzung gehöre laut Meyer auch mehr Personal und Ausstattung beim NLWKN. In diesem Jahr konnten laut Minister beim NLWKN 200 Arbeitsplätze geschaffen werden.
Mit dem Haushaltsplan 2025 und der mittelfristigen Finanzplanung stünden weitere Stellen für den Hochwasser- und Küstenschutz sowie für die notwendige Flächenbeschaffung bereit. Der Minister will, dass der Küstenschutz in Genehmigungsbehörden - ähnlich wie bei den LNG-Terminals - Vorfahrt hat.
Niedersachsens Landesregierung hatte angekündigt, in diesem Jahr zusammen mit dem Bund etwa 80 Millionen Euro in den Küstenschutz an Festland und Inseln investieren zu wollen. Minister Meyer sprach von einer „Rekordsumme“.
Küstenschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Die Investitionskosten verteilen sich zu 70 Prozent auf den Bund und zu 30 Prozent auf das jeweilige Land.
Mängelliste: Welche Sperrwerke im Kreis Stade priorisiert werden
Im Rahmen der Untersuchungen wurde auf Basis eines Kriterienkatalogs auch eine Priorisierung der erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen vorgenommen. Den dringendsten Handlungsbedarf sehen die externen Gutachter und die Küstenschutzexperten des NLWKN vor allem
- beim Siel Wischhafen,
- beim Sperrwerk Ruthenstrom
- und dem Lühesperrwerk.
Beim Siel Wischhafen, dem Bauwerk mit dem höchsten Handlungsdruck, sollen zunächst vorgezogene Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden, die das Bauwerk fit für die nächsten Jahrzehnte machen.
Zudem wurde 2024 bereits mit den Planungen für das Sperrwerk Ruthenstrom (Priorität 1) und das Lühesperrwerk (Priorität 2) begonnen, um das Ziel einer Umsetzung aller Projekte bis 2060 gewährleisten zu können.
Mit Blick auf das Sperrwerk Ruthenstrom und das Sperrwerk Abbenfleth sprechen sich die Gutachter zudem für einen kompletten Neubau aus. Bei den übrigen Bauwerken wird es sich erst im Zuge der weiteren Planung entscheiden, ob ein Neubau oder eine Sanierung die beste Lösung darstellt.

Ob Neubau oder Sanierung eines Sperrwerks muss noch final entschieden werden. (Archivbild) Foto: Vasel
Einen Neubau hatte der NLWKN beispielsweise 2022 in Otterndorf fertiggestellt: die neue Hadelner Kanalschleuse als Multifunktionsbauwerk. Die Ertüchtigung eines bestehenden Sperrwerks setzt der NLWKN derzeit im Winsener Ortsteil Hoopte um: das Ilmenausperrwerk.
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Amt: Sturmfluten wegen Klimawandel regional nicht häufiger
Nach Beobachtung des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) kommt es an der deutschen Küste aufgrund der Klimaerwärmung nicht häufiger zu Sturmfluten. „Bisher ist kein zunehmender Trend erkennbar“, sagte BSH-Präsident Helge Heegewaldt. Für das Auftreten einer Sturmflut seien der Gezeitenzustand, Windstärke und -richtung wichtig. „Langzeitbeobachtungen zeigen bisher keine signifikanten Änderungen.“
Das BSH sitzt in Hamburg und Rostock und ist für Nord- und Ostsee zuständig. An der Nordseeküste gibt es üblicherweise vier bis sechs Sturmfluten im Jahr, wie aus einer Mitteilung hervorgeht. Heegewaldt sagte weiter, Auswertungen der Behörde von Klimamodellen zeigten: Wenn keine Maßnahmen getroffen würden, die den Klimawandel eindämmten, komme es gegen Ende des Jahrhunderts zu mehr Wetterlagen als bislang, in denen Sturmfluten aufträten.
„Sturmfluten können außerdem bedrohlicher werden, denn sie werden durch den Meeresspiegelanstieg auf ein höheres Ausgangsniveau aufsetzen und können dadurch mehr Schäden anrichten.“ Beispiel: In Cuxhaven sei der Meeresspiegel in den vergangenen 100 Jahren um 20 Zentimeter gestiegen. Der Meeresspiegel erhöht sich wegen des menschengemachten Klimawandels.
Ambitionierter Zeitplan: 35 Jahre für sieben Projekte
Angesichts des laut NLWKN „ambitionierten“ Sperrwerk-Fahrplans im Kreis Stade sieht Betriebsstellenleiter Peter Schley erheblichen Mittel- und Personalbedarf: „Das vorhandene Personal etwa im Geschäftsbereich Betrieb und Unterhaltung ist mit dem Betrieb und der Instandhaltung der Anlagen bereits mehr als ausgelastet, zumal aufgrund des Alterungsprozesses der Anlagen der erforderliche Aufwand weiter zunehmen wird. Und auch im Bereich Planung und Bau sind wir heute nicht so breit aufgestellt, dass wir die erforderlichen Großprojekte parallel stemmen können.“
Für diese Aufgabe baut der NLWKN deshalb derzeit am Standort Stade ein zweites Ingenieur-Team auf. Die neuen Küstenschützerinnen und Küstenschützer werden dabei von den Mitarbeitern eingearbeitet, die erfolgreich den Neubau der Hadelner Kanalschleuse realisiert haben.
Bis auf das Ostesperrwerk, das sich im Eigentum des Bundes befindet, werden die betroffenen Sperrwerke allesamt vom NLWKN für das Land Niedersachsen betrieben und unterhalten.
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Küstenschutz betrifft nicht nur die Sperrwerke, sondern natürlich auch den Deichbau. Allein im Kreis Stade müssen die Hauptdeiche an der Elbe auf einer Länge von fast 77 Kilometern um bis zu zwei Meter erhöht werden. Mehr als 575 Millionen Euro werden die Ertüchtigung der Deiche und die Ertüchtigung von sieben Sperrwerken den Steuerzahler voraussichtlich kosten. Doch das ist nur der Stand vom Januar dieses Jahres. (tip/pm/dpa)