TMehr Angriffe auf Uniformträger: Was müssen Einsatzkräfte ertragen?
Auch im Cuxland gibt es immer mehr Übergriffe auf Polizisten und andere Einsatzkräfte. Foto: picture alliance/dpa
Beleidigungen, Drohungen oder sogar Schläge - all das erleben immer mehr Frauen und Männer in Uniform. Ein Polizist und eine Politesse über ihren immer wieder ruppigen Alltag.
Cuxhaven. Wie oft er schon im Krankenhaus war, weiß Polizeikommissar Jan Abbes aus Cuxhaven gar nicht mehr so genau. „Ich hab‘ da ein Abo drauf“, sagt der 34-jährige Beamte und lächelt leicht gequält. Tätliche Angriffe, Stürze, Rauchgasvergiftungen - all das hat er bereits im Einsatz erlebt.
Angriff auf die Polizei: Wenn die Verkehrskontrolle eskaliert
Vor einiger Zeit eskalierte etwa die Verkehrskontrolle eines E-Scooter-Fahrers in Cuxhaven. Abbes stoppte einen 25-Jährigen, dessen Fahrzeug kein gültiges Kennzeichen hatte. Doch statt seiner Papiere zückte der Mann sein Mobiltelefon, um seine Freunde herbeizurufen.
„Als ich ihn noch einmal nach seinem Ausweis fragte, schlug er plötzlich so fest mit der Faust zu, dass ich hinfiel und mit dem Hinterkopf gegen die Bordsteinkante knallte“, erzählt Abbes.
Daraufhin musste der Polizist den Mann mit Pfefferspray stoppen, bis er ihn auf dem Boden fixieren konnte. „Erst danach habe ich meine eigenen Verletzungen gespürt“, sagt der Polizist.
Später wurde der Angreifer von einem Gericht zu einer Geldstrafe von 1500 Euro verteilt. Auf eine Schadenersatzklage verzichtete der Beamte. Zum Glück hatte er nur leichte Verletzungen erlitten.
Ausstellung zeigt den harten Alltag von Einsatzkräften
Solche Erlebnisse von Einsatzkräften wie Jan Abbes sind es, die in der Wanderausstellung „Der Mensch dahinter“ gezeigt werden, die zuletzt im Cuxhavener Rathaus zu sehen war. Erzählt werden Geschichten von Polizisten, Feuerwehrleuten und sonstigen Einsatzkräften aus ganz Deutschland, die während ihrer Arbeit angefeindet wurden. Ab dem 11. Juni ist die Ausstellung in Bremerhaven zu sehen.
Organisiert wird sie seit fünf Jahren unter anderem von Andrea Wommelsdorf aus Münster. „Auslöser war für mich die Stuttgarter Krawallnacht 2020, bei der unzählige Polizisten und Rettungskräfte verletzt wurden“, erzählt die 60-Jährige, die als Innenausstatterin arbeitet und ursprünglich gar keinen Bezug zu Einsatzkräften hatte.
Am Stuttgarter Schlossgarten war während der Corona-Pandemie ein Polizeieinsatz außer Kontrolle geraten. Bei Ausschreitungen mit mehr als 400 Beteiligten wurden 24 Geschäfte verwüstet und 32 Polizisten verletzt. 41 Streifenwagen und ein Rettungswagen wurden schwer beschädigt.
„Es hat mich fassungslos gemacht, dass Helfer angegriffen werden. Deswegen wollte ich unbedingt etwas tun und den Fokus auf den Menschen hinter der Uniform legen“, erzählt Andrea Wommelsdorf. Ziel sollte es sein, für mehr Respekt und Verständnis für Einsatzkräfte zu werben. Gemeinsam mit einigen Mitstreitern machte sie sich daraufhin an die Arbeit.

Polizeikommissar Jan Abbes, Feuerwehrfrau Lisa Brümmer und Politesse Sevilay Baltepe berichten in der Ausstellung „Der Mensch dahinter“ von ihren Erfahrungen. Foto: Iven
„Wir finden es wichtig, dass eine solche Initiative nicht nur von der Politik oder den Berufsgruppen selbst gestartet wird, sondern aus der Mitte der Gesellschaft“, sagt sie.
Nach und nach wurde das Projekt immer bekannter und es gab Anfragen von Dienststellen. „Mittlerweile haben wir mehr als 150 Einsatzkräfte in 40 Städten aus ganz Deutschland interviewt und ihre Erfahrungen in Ausstellungen vorgestellt“, erzählt Wommelsdorf.
Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, aber nicht nur. Besucher sind etwa Schulklassen, Jugend-Feuerwehren oder ganz normale Einsatzkräfte. Das Begleitbuch zur Ausstellung mit den Geschichten der Einsatzkräfte wird bereits an einigen Schulen im Unterricht verwendet. An den Ausstellungsorten werden jeweils Geschichten von weiteren Einsatzkräften aus der Region ergänzt.
Politesse wird beschimpft - und alle schauen zu
Unter anderem schildert etwa die Mitarbeiterin des Cuxhavener Ordnungsamts, Sevilay Baltepe, einen Übergriff aus ihrem Berufsalltag. „Ich hatte gerade einen Strafzettel für ein falsch parkendes Fahrzeug in Duhnen ausgestellt, als plötzlich der Besitzer angerannt kam und mich heftig beschimpft hat“, erzählt die Cuxhavenerin. Dabei hatte der Mann im absoluten Halteverbot geparkt.
Was sie besonders verstört hat: „Er war ziemlich groß und hat gesagt, dass er sich mein Gesicht merken wird. Da hatte ich als erstes Angst um meine Zwillingsschwester, weil sie ja genauso aussieht wie ich“, sagt Sevilay Baltepe, die kein Problem mit der Berufsbezeichnung „Politesse“ hat.
„Dann ist er wütend weggefahren und hätte mich fast noch überfahren“, erzählt Sevilay Baltepe. Sie habe sich nach den Schimpftiraden zitternd und weinend an einem Tisch festhalten müssen, um nicht umzufallen.
Geärgert hat sie sich auch über die Passanten. „Wenn so ein großer Mann eine kleine Frau wie mich angeht, hätte ich sofort die Polizei gerufen. Aber die Leute haben alle nur zugeschaut und gemütlich ihre Wurst gegessen“, sagt die Politesse, die sich mehr Zivilcourage von den Menschen wünscht.
Immerhin: Der Mann wurde später wegen Beleidigung und Bedrohung von einem Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Dank des Strafzettels konnte er leicht ausfindig gemacht und angezeigt werden.
Immer mehr Übergriffe auf Polizisten im Cuxland
Dass der Ton auf der Straße rauer wird und Einsatzkräfte häufiger als früher angegangen werden, kann Michael Hasselmann, Leiter der Polizeiinspektion Cuxhaven, mit Zahlen belegen. „2024 ist die Zahl der Angriffe auf unsere Beamten im Landkreis von 50 auf 74 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen“, berichtet der oberste Polizist im Cuxland.
Das sind im Schnitt etwa 1,5 Angriffe pro Woche. „Das ist nicht nur ein Angriff auf den einzelnen Polizisten, sondern auf unsere Demokratie und unser Wertesystem. Darüber müssen wir in unserer Gesellschaft dringend reden“, sagt Michael Hasselmann, der sich bei allen Einsatzkräften bedankte, die ihre Geschichten zu der Ausstellung beigesteuert haben.
„Ich stelle aus Prinzip nach jedem Vorfall persönlich Strafanzeige“, so der Leiter der Polizeiinspektion. „Wichtig ist auch, dass wir nach einem Vorfall für die Kollegen da sind und ihnen zuhören.“
Mittlerweile werde auch immer öfter professionelle Hilfe in Anspruch genommen, etwa beim Polizeiseelsorger oder der psychosozialen Notfallversorgung der Polizei. „Die Kollegen können und sollen auf ihre Gesundheit achten“, so Hasselmann. Die Zeiten, in denen man den harten Kerl oder die harte Frau markieren müsse, seien vorbei.
Was machen die Übergriffe mit den Betroffenen?
Polizeikommissar Jan Abbes hat festgestellt, dass er sein Verhalten über die Jahre nach mehreren Übergriffen angepasst hat. „Meine Eigensicherung hat sich geändert“, sagt der Familienvater. „Bei Verkehrskontrollen habe ich die Hand immer an der Hüfte.“ Sprich, an der Nähe seiner Dienstwaffe. „Konsequentes Auftreten ist wichtig.“
„Natürlich wird man als Polizist mit negativen Dingen konfrontiert“, sagt er. Es gab Todesdrohungen, sogar seine Familie wurde im Internet beschimpft. Trotz allem liebt er seinen Beruf. „Es ist ja nicht alles schlecht und man erlebt auch viel Dankbarkeit“, sagt Abbes.
Besonders gern erinnert er sich an einen Fall, bei dem er zu einem leichten Verkehrsunfall gerufen wurde. Eine Familie hatte auf dem Weg zur Eisdiele einen Auffahrunfall und stand mit ihrem Wagen am Straßenrand. Die Kinder konnten das offenbar noch nicht richtig verstehen und haben immer wieder nach ihrem Eis gefragt. „Da bin ich einfach losgefahren und habe ihnen Eis geholt. Da war die Begeisterung groß“, erzählt Abbes.
Und vor ein paar Monaten ist dem Polizisten dann noch etwas Überraschendes passiert. Der junge E-Scooter-Fahrer, der ihn damals zu Boden geschlagen hatte, hat sich bei Jan Abbes entschuldigt.
Die Ausstellung „Der Mensch dahinter“ wird ab dem 11. Juni auch in Bremerhaven gezeigt. Sie wird im Rahmen der Innenministerkonferenz eröffnet, die im Sail City Tagungshotel stattfindet.