TOrtsdurchfahrten: Müssen Radfahrer im Kreis Stade die Straße benutzen?

Begegnungsverkehr an der L140 in Jork: Radfahrer fahren hier in beide Richtungen auf dem kombinierten Geh- und Radweg. Foto: Battmer
Fahrräder auf der Straße oder nicht? Im Zuge der Debatte um die L140-Sanierung in Steinkirchen kündigte Straßenverkehrsamtsleiter Arne Kramer an, alle Ortsdurchfahrten im Kreis unter die Lupe zu nehmen. Die Datenlage spricht eine deutliche Sprache.
Landkreis. Arne Kramer ist wie viele Experten überzeugt: Radfahrer gehören auf die Straße. Schließlich heißt es schon in der Straßenverkehrsordnung (StVO): Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen. „Damit ist eigentlich alles geklärt“, sagt der Leiter des Straßenverkehrsamtes des Landkreises.
Wer wann wo fahren muss, ist klar geregelt. Überall, wo das blaue Schild mit weißem Fahrrad einen Radweg ausweist, gilt die Radwegebenutzungspflicht. Das passt nicht jedem.
Die einen sind Verfechter davon, dass Radfahrer auf die Straße gehören. Andere fordern, dass Radler als schwächere Verkehrsteilnehmer auf dem Gehweg fahren sollten. Und so sorgt die Verkehrsführung des Radverkehrs immer wieder für Aufregung. So etwa in Steinkirchen.
„Für die Verkehrssicherheit eine Vollkatastrophe“
Schon ein paar Jahre vor den aktuellen Sanierungsplänen der L140 gab es Diskussionen um den Radverkehr. Wegen einer drohenden Klage hob der Landkreis den Zusatz „Radfahrer frei“ an Fußwegen entlang der Ortsdurchfahrt auf. Radfahrer müssen seitdem auf der Landesstraße fahren - sehr zum Unmut einiger Radler.
Arne Kramer hingegen bezeichnet den Hinweis „Radfahrer frei“ als eine Krücke. Fußgänger haben Vorrang, es gilt Schrittgeschwindigkeit. „Radfahrer verhalten sich nicht so“, sagt Kramer.

Dieses Schild zeigt an: Hier ist ein kombinierter Geh- und Radweg. In Zukunft müssen wohl vielerorts Fahrräder auf der Straße fahren. Foto: Battmer
Angesichts der benötigten Fläche für einen gesonderten Radweg und mit Blick auf die Verkehrsmengen werden Radfahrer in Steinkirchen auch nach der Sanierung auf der Straße fahren müssen - das betonte Kramer in einer Bauausschusssitzung Ende Februar.
Immer wieder hatten Bürger dabei Parallelen zu Jork beklagt. Hier wurde erst vor einigen Jahren die Straße zwischen der Ortsmitte und dem Ortsteil Königreich saniert - mit einem einseitigen Geh- und Radweg, der in beide Richtungen führt. Für Kramer aus heutiger Sicht ein No-Go: „Für die Verkehrssicherheit eine Vollkatastrophe.“
Landkreis will bei Planungen proaktiv mitreden
Obwohl der Landkreis als Straßenverkehrsbehörde letztlich über die Verkehrsführung entscheidet, sei die Behörde bei Vorhaben nicht immer ausreichend mitgenommen oder aber vor vollendete Tatsachen gestellt worden, so Kramer. Allerdings räumt der Amtsleiter auch ein, dass man in der Vergangenheit auch einfach hinterhergelaufen sei. „So wie in Jork“, sagt er mit Blick auf die Planung, „aber da gab es beim Landkreis früher eine andere Auffassung“.
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Jetzt versuche der Kreis proaktiv bei Bauvorhaben mitzusprechen. Steinkirchen habe daher gewissermaßen Pech, dass sie sich ausgerechnet jetzt in der Neubauphase befinden, formuliert Kramer etwas salopp.
Allerdings will der Landkreis ohnehin alle Ortsdurchfahrten genauer unter die Lupe nehmen, wie Arne Kramer dem TAGEBLATT ankündigte. Die Gemeindestraßen seien bereits geprüft worden, nun will sich der Kreis den übergeordneten Straßen widmen.
A26 wird den Verkehr im Alten Land verändern
Im Kern will die Straßenverkehrsbehörde prüfen, an welchen Stellen die Radwegebenutzungspflicht noch angebracht ist - und wo möglicherweise nicht (mehr). Beispiel Jork: Aufgrund der baulichen Gegebenheiten an der L140 sei die Regelung angesichts der Verkehrsmenge durchaus angebracht.
Mit dem Anschluss der Autobahn A26 an Hamburg wird sich die Fahrzeugdichte vermutlich verringern. „Und dann haben wir eine ganz andere Situation“, so Kramer. „Ich kann versprechen, dass sich die Verkehrsführung in Jork dann verändern wird.“

Erst vor wenigen Jahren wurde der Radweg an der L140 in Jork Richtung Hamburg saniert - mit einem einseitigen Radweg in beide Richtungen. Das würde der Landkreis heute so nicht mehr mittragen, sagt Verkehrsamtsleiter Arne Kramer. Foto: Battmer
Betroffen wäre dann allerdings nicht nur Jork: Auch auf der B73 werden nach Anschluss der A26 erwartungsgemäß weniger Fahrzeuge fahren - fraglich, ob die Radwegebenutzungspflicht noch zu halten wäre.
Was bei verschiedenen Verkehrsmengen und Geschwindigkeiten gelten sollte, steht in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (ERA), ein in Deutschland gültiges technisches Regelwerk für Planung, Entwurf und Betrieb von Radverkehrsanlagen.
14.000 Fahrzeuge pro Tag auf der B73 in Himmelpforten
Demnach können bei 600 Fahrzeugen in der Stunde auf einer Strecke mit einer Höchstgeschwindigkeit zwischen 30 und 40 km/h Radfahrer problemlos im Mischverkehr auf der Straße fahren. Erst ab Dimensionen von 10.000 Fahrzeugen pro Tag bei mehr als 50 Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit sollten Radfahrer in der Regel vom Straßenverkehr getrennt werden.
Auf den meisten Gemeindestraßen seien fast nie mehr als 400 Fahrzeuge pro Stunde unterwegs. Darum sei auch überall, wo es möglich war, die Radwegbenutzungspflicht aufgehoben worden. Um Fahrräder aus dem fließenden Verkehr zu nehmen, bedarf es guter Argumente - und einer Gefahrenlage. So etwa in Himmelpforten, wo auf der B73 14.000 Fahrzeuge am Tag unterwegs sind. „Hier sind Schutzstreifen absolut richtig“, so Kramer.
In Zukunft wird sich der Radverkehr im Kreis also verändern. Dabei will die Straßenverkehrsbehörde eng mit den Kommunen zusammenarbeiten. Die Kreisverwaltung wolle die Gemeinden nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Kramer: „Wir setzen auf ein gutes Miteinander.“