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80.000 Teilnehmer

Hamburger Demo gegen Rechts abgebrochen – Riesiger Ansturm

Zehntausende Demo-Teilnehmer tummeln sich am Jungfernstieg in Hamburg.

Zehntausende Demo-Teilnehmer tummeln sich am Jungfernstieg in Hamburg. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Die Polizei hatte Sorge um die Sicherheit. Menschen könnten in die Binnenalster stürzen, Einsatzwagen nicht mehr durchkommen. Erwartet waren 10.000, es sollen zwischenzeitlich 80.000 Teilnehmer gewesen sein.

Von Redaktion Freitag, 19.01.2024, 18:05 Uhr

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Hamburg. Zehntausende Menschen sind am Freitag zur Demonstration gegen rechts und die AfD in Hamburg gekommen - so viele, dass diese aus Sicherheitsgründen abgebrochen werden musste. „Wir müssen die Kundgebung vorzeitig beenden“, sagte Kazim Abaci vom Verein Unternehmer ohne Grenzen, der die Demonstration unter dem Motto „Hamburg steht auf - Gemeinsam gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke“ mitorganisiert hatte. Er machte am Freitag Sicherheitsbedenken geltend. Es seien bereits Menschen in der Menge kollabiert, die Feuerwehr komme nicht mehr durch.

Nachdem Abaci zunächst von 130.000 Teilnehmern am Jungfernstieg gesprochen hatte, korrigierten die Veranstalter die Zahl später auf 80.000. Die Polizei nannte 50.000 Demonstranten. Zähle man die vielen Menschen hinzu, die noch in den umliegenden Straßen festgesteckt und versucht hätten, den Kundgebungsort zu erreichen, läge die Zahl weit höher, sagte Abaci der Deutschen Presse-Agentur.

Polizisten sperren mit einer Kette den Zugang vom Rathausmarkt auf den Jungfernstieg.

Polizisten sperren mit einer Kette den Zugang vom Rathausmarkt auf den Jungfernstieg. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Gigantischer Zulauf bei Demo gegen Rechts in Hamburg

Die Demonstranten standen dicht gedrängt auch in den Straßen um den Kundgebungsort am Jungfernstieg. Mehrere Tausend drangen auch bis zum Rathaus vor, um das eigentlich ein Bannkreis von 350 Meter galt. Die Menge skandierte Parolen wie „Ganz Hamburg hasst die AfD“. Ursprünglich sollte die Kundgebung auf dem Rathausmarkt stattfinden. Die AfD hatte dies mit der kurzfristigen Anmeldung einer Fraktionssitzung unmöglich gemacht. Dadurch galt ein Bannkreis von 350 Metern rund um das Rathaus.

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) attackierte die AfD auf der Kundgebung scharf. „Die Botschaft an die AfD und ihre rechten Netzwerke ist: Wir sind die Mehrheit und wir sind stark, weil wir geschlossen sind und weil wir entschlossen sind, unser Land und unsere Demokratie nach 1945 nicht ein zweites Mal zerstören zu lassen.“

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) spricht auf der Bühne.

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) spricht auf der Bühne. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Durch Bekanntwerden des Potsdamer Treffens habe man erfahren, „dass Rechtsradikale in Deutschland einen Umsturz und eine systematische sogenannte Remigration von Millionen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes planen“, sagte er. Das zeige, wie schnell Populismus in verfassungsfeindliche, demokratie- und menschenverachtende Aktivitäten umschlagen könne. Schon das Wort „Remigration“ sei eine empörende Verharmlosung. „Sie wollen eine Deportation. Sie wollen die Zeit zurückdrehen, zurück in eine Zeit von Hass und Gewalt“, sagte Tschentscher.

Auch das Argument der AfD, dass es sich beim dem Treffen in Potsdam um eine „private“ Veranstaltung gehandelt habe, ließ der Bürgermeister nicht gelten. Dies sei ihm auch völlig egal: „Wer die Deportation von Menschen plant, ist ein rechtsradikaler Verfassungsfeind - und nichts anderes!“

„Nein zu jeder Form von Rassismus und Antisemitismus“

Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sagte: „Als Kirchen werden und dürfen wir nicht schweigen - heute nicht und morgen auch nicht, denn christlicher Glaube und völkisches Denken passen nicht zusammen - genauso wenig wie Kreuz und Hakenkreuz.“ Wenn Vertreibungsfantasien die Runde machten, dann breite sich im Land ein kriechender nasser Frost aus. „Wir wollen nicht, dass das gesellschaftliche Klima kälter wird - auch das ein Klimawandel, den wir aufhalten müssen - jetzt.“ Es könne nur eine Antwort geben: „Nein zu jeder Form von Rassismus und Antisemitismus.“

Mit der Demonstration wollen die Teilnehmenden ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen.

Mit der Demonstration wollen die Teilnehmenden ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands UVNord, Michael Thomas Fröhlich, sagte, die Arbeitgeber dieser Stadt gingen nicht regelmäßig auf die Straße, um ihre Argumente kundzutun. „Aber wir als Arbeitgeber dieser Stadt wissen, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, dass wir nicht mehr schweigen, dass wir uns nicht mehr zurückhalten.“ Er spreche für mehr als 50 000 Betriebe, von denen viele ihren Beschäftigten für diese Demonstration freigegeben hätten. Jetzt beginne ein harter Kampf um Argumente. „Wir haben hier ein übergeordnetes Thema, mit dem das Wohl und Wehe dieses Landes steht und fällt. (...) Wir stehen hier fest zusammen.“ Hamburgs DGB-Vorsitzende, Tanja Chawla, betonte: „Hamburg steht auf gegen rechtsextremistische Hetze und gegen rechtsextremistische Netzwerke.“

Auf der Demonstration fanden auch Menschen zusammen, die sonst in sportlicher Hinsicht in inniger Gegnerschaft leben. So wehten Fahnen des HSV-Supporters-Clubs direkt neben jenen von St. Pauli gegen rechts. Der Commissioner der European League of Football und Sportbotschafter der Stadt, Patrick Esume, sagte, wenn er in den sozialen Netzwerken lese, dass sich der Sport aus der Politik raushalten solle, „dann muss ich denen sagen, die es nicht verstanden haben, Rassismus und Demokratie sind nicht politisch, sondern in erster Linie gesellschaftliche Themen und gehen uns verdammt nochmal alle etwas an.“

Fridays for Future ruft zu weiterer Demonstration gegen die AfD auf

Klimaaktivisten von Fridays for Future und weitere Organisationen haben für Sonntag in einer Woche zu einer weiteren Demonstration gegen die AfD und Rechtsextremismus in Hamburg aufgerufen. Sie steht unter dem Motto „Für Vielfalt und unsere Demokratie - Hamburg steht zusammen gegen die AfD“, wie Fridays for Future am Freitag mitteilte. Erst sei um 14.00 Uhr eine Versammlung auf dem Jungfernstieg geplant, anschließend soll es einen Demozug durch die Innenstadt entlang der Binnenalster geben.

Bereits am Freitag wurden bei einer anderen Demonstration gegen rechts auf dem Jungfernstieg rund 10 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Zu den Protesten unter dem Motto „Hamburg steht auf - Gemeinsam gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke“ aufgerufen hat ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen Kulturschaffenden, Wirtschaftsverbänden, Parteien und Vereinen. Als Redner erwartet werden unter anderem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Bischöfin Kirsten Fehrs.

Bei der von einem Bündnis unter anderem von der Umweltorganisation BUND, dem Hamburger Bündnis gegen Rechts, dem Flüchtlingsrat und der Lehrergewerkschaft GEW organisierten Demonstration am Sonntag in einer Woche werde ebenfalls eine hohe Teilnehmerzahl erwartet, erklärten die Veranstalter. Vorgesehen seien auch eine Rede der Klimaaktivistin Luisa Neubauer sowie ein Auftritt der Sängerin Alli Neumann. (dpa)

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