TToter vom Stader Bahnhof: Obduktion zeugt von einem Gewaltexzess

Auf der Suche nach den Tätern vom Stader Bahnhof: In diesem Haus stellten die Polizisten bei einer Razzia im März 2025 unter anderem Waffen im Kinderzimmer sicher. Foto: Vasel
Das Landgericht Stade gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Dort müssen sich derzeit fünf Männer für den Tod von Mehmet S. verantworten. Was spielte sich am Stader Bahnhof ab?
Stade. Der Vorsitzende Richter Marc-Sebastian Hase liebt klare Worte. Zu Beginn der Verhandlungen macht er immer wieder deutlich: Störungen des Prozesses dulde die 3. Große Strafkammer nicht. Es gelten verschärfte Sicherheitsauflagen - offenbar nicht ohne Grund.

Die Polizei sichert den Eingang: Strenge Kontrollen am Landgericht Stade. Rund um das Gebäude steht Bereitschaftspolizei. Foto: Vasel
Rückblick: Auf offener Straße feuern im vergangenen Jahr drei Männer an der türkischen Riviera in Antalya vier Schüsse auf Yunus K. ab, der aktuell vor dem Stader Landgericht angeklagt ist. Die Angreifer treffen damals lediglich sein Auto.
Rache für den Tod von Mehmet S.
Wenig später bauen die drei Männer einen Unfall und landen hinter Gittern. Trotz alledem fürchtet Yunus K. weiter um sein Leben. Offenbar wollte ihm die Familie seines Opfers Mehmet S. das Leben nehmen - aus Rache für den Tod ihres Verwandten nach dem Angriff am Stader Bahnhof vom 21. Januar 2024.
Nach seiner Flucht ins Ausland war der 27-Jährige aus einem EU-Staat in die Türkei abgeschoben worden. Nach dem besagten Angriff in der Türkei habe er sich seinem Verfahren wegen des Toten vom Bahnhof stellen wollen, so seine Verteidigerin Astrid Denecke. Doch das Visum für eine legale Einreise sei ihm verweigert worden. Yunus K. machte sich daher illegal auf den Weg. In Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, sei er schließlich verhaftet und nach Deutschland überführt worden.
Opfer soll Yunus K. verletzt haben
In seiner von seiner Anwältin verlesenen Einlassung ging der Stader auch auf eine andere Vorgeschichte ein. Das spätere Opfer Mehmet S. habe ihn am 23. November 2023 am Bahnhof in Horneburg mit einem Messer „grundlos von hinten“ in die Lunge und ins Bein gestochen. Bis zum heutigen Tage könne Yunus K. deshalb das rechte Bein nicht mehr richtig bewegen. Mehmet S. habe psychische Probleme gehabt, so der Angeklagte. Eine formale Entschuldigung habe er von Mehmet S. weder gefordert noch angeboten bekommen.

Polizeisprecher Rainer Bohmbach blickt auf den Tatort am Parkhaus des Stader Bahnhofs. Foto: Vasel
Im Januar 2024 habe er Mehmet S. in Horneburg in der S-Bahn entdeckt, aber nicht angesprochen. Dafür habe Yunus K. ihn in Stade fragen wollen, „warum er mich so hinterhältig angegriffen hat“. Allerdings schloss der Angeklagte in seiner Einlassung auch nicht aus, dass er Mehmet S. eine „reinhauen“ wollte.
Tritte hageln auf das Opfer ein
Weil Yunus K. aber Angst gehabt habe, habe er sich Unterstützung geholt, so seine Anwältin. Dann sei Mehmet S. vor dem Parkhaus am Stader Bahnhof aufgetaucht. Der ebenfalls Angeklagte Hasan S. habe den Hamburger zu Boden geschlagen.
Yunus K. berichtet, er sei mit der ganzen Situation „überfordert“ gewesen. „Aus Frust und aus Verärgerung“ habe auch er auf den am Boden liegenden Mehmet S. eingetreten. Laut des Mitangeklagten Beret K. sei Yunus K. ein Nervenbündel gewesen. Dieser will nach eigener Aussage sein Opfer allerdings nicht am Kopf, sondern lediglich an der Schulter mit einem Fußtritt getroffen haben.
Der Angriff auf Mehmt S. sei im Rückblick ein „großer Fehler gewesen“, so Yunus K.. Er habe zu keinem Zeitpunkt vermutet, dass die Verletzungen durch die Tritte und Faustschläge tödlich sein könnten. Yunus K., der wegen Fluchtgefahr als einziger der fünf Angeklagten in U-Haft sitzt, ließ seine Anwältin verkünden: „Ich war entsetzt. Ich fürchte jetzt die Rache der Familie.“
Rechtsmedizinerin dokumentiert Folgen des Gewaltexzesses
Wie schwer die Angreifer ihr Opfer verletzt hatten, wurde am dritten Verhandlungstag im Stader Schwurgerichtssaal klar. Die Fachärztin für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Anna Lena Kammal, stellte ihren Obduktionsbericht vor. Die mit einem Beamer an die Leinwand geworfenen Bilder der Rechtsmedizinerin zeugen von einem Gewaltexzess.
Die Todesursache sei ein Schädel-Hirn-Trauma gewesen. Mindestens fünf Mal sei stumpf auf den Kopf eingewirkt worden, das Gehirn und der Schädel wurden durch Einblutungen beziehungsweise unter anderem eine Längsfraktur geschädigt.
Auf Wange, Stirn und Kinn sei mit „stumpfer Gewalt“ eingewirkt worden. Das Ergebnis der Leichenschau und einer Computertomografie-Untersuchung deckt sich mit einem von der Stader Polizei am Tag nach dem Tod sichergestellten Überwachungsvideo, das die Tat in allen Einzelheiten zeigt.
Mehmet S. kippt auf dem Video bereits nach dem ersten Faustschlag um. Hasan S. hatte offenbar sofort zugeschlagen. Kammal geht davon aus, dass der Aufschlag auf Fahrbahn oder Kantstein zur Schädelfraktur führte. Diese Verletzung sei durch mehrere Faustschläge und Tritte auf den Kopf „potenziert“ worden. Einen Tritt gegen die Schulter, von dem Yunus K. sprach, habe sie bei der Obduktion nicht feststellen können.
Juristen loben aufmerksamen Ersthelfer
Die Polizei war den Tätern nicht nur durch Videos auf die Spur gekommen. Bereits im Krankenhaus gab es Hinweise, dass der Messer-Angriff in Horneburg in Zusammenhang mit der Tat stehe, so ein als Zeuge geladener Polizist.

Wohnungsdurchsuchung im März 2024 an der Altländer Straße in Stade. Foto: Vasel
Den Stader Bahnhof bezeichnete der Beamte als „Brennpunkt“. Mehmet S. sei psychisch auffällig und drogenabhängig gewesen, sagte seine Familie den Beamten noch im Elbe Klinikum. Dort war er einen Tag später verstorben.
Zu Wort kam am Mittwoch auch der Mann, der das bewusstlose und blutende Opfer in der Winternacht im Beet fand und den Notruf absetzte. Hase, Staatsanwalt Johannes Oertelt und die Vertreterin der Nebenklage, Dr. Christiane Yüksel, lobten sein Handeln. Yüksel nahm ihm eine Last von der Schulter: „Sein Leben war nicht mehr zu retten.“
Der Prozess wird am 8. September, 9.15 Uhr, fortgesetzt.
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