TToter vom Stader Bahnhof: Streit um Sprengstoff-Einsatz in Altländer Straße

Im März 2024 sprengte die Polizei eine Tür in der Altländer Straße in Stade. Foto: Vasel
Die Strafverteidiger haben im Prozess um den Toten vom Stader Bahnhof die Polizei ins Visier genommen. Der Sprengstoff-Einsatz in der Nacht sei unverhältnismäßig gewesen.
Stade. Um 4.30 Uhr stürmten die Kräfte des Spezialeinsatzkommandos Niedersachsen (SEK) und die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit plus (BFE+) der Bundespolizei am 5. März 2024 zeitgleich sieben Objekte in Stade und in Mölln. Das SEK sprengte die Tür eines Hauses in der Altländer Straße in Stade. Das Ziel: Die Männer festzunehmen, die im Januar 2024 den Hamburger Mehmet S. (44) am Stader Bahnhof durch Faustschläge und Fußtritte so schwer verletzt haben sollen, dass dieser im Krankenhaus starb.

Auch das Obergeschoss des Wohnhauses in der Altländer Straße wurde im März 2024 durchsucht. Foto: Vasel
Die Detonation war stadtweit zu hören. Überreste der zerfetzten Tür flogen meterweit durch den Hinterhof. Der Komplex aus Wohn- und Gewerbegebäuden östlich des Rewe-Marktes war nicht das erste Mal das Ziel einer groß angelegten Polizeiaktion. Weil in der Immobilie bereits Schusswaffen sichergestellt worden waren, galt die höchste Sicherheitsstufe.
Sprengstoffeinsatz laut Verteidiger unverhältnismäßig
Für den Strafverteidiger Dr. Dirk Meinicke war das Aufsprengen der Eingangstür vor dem Morgengrauen zur Durchsuchung der Wohnung seines Mandanten „unverhältnismäßig“. Die Mordkommission bei der Polizeiinspektion Stade habe „durch den Sprengstoffeinsatz mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Die Bereitschaftspolizei hat sich wieder einmal ausgetobt“, sagt Meinicke im Prozess um den Toten vom Stader Bahnhof vor der 3. Großen Strafkammer am Landgericht Stade.
Der Verteidiger berichtete, dass die Ehefrau seines Mandanten ihr ungeborenes Kind durch den Schock im Morgengrauen verloren habe. Serhat S. (36) und seine Frau litten unter dem Verlust, er mahnte mit Blick auf die Kammer um den Vorsitzenden Richter Marc-Sebastian Hase eine Strafminderung an.
Die Gesuchten schliefen noch
Die Strafprozessordnung (StPO) setzt Durchsuchungen von Räumen zur Nachtzeit (21 bis 6 Uhr) enge Grenzen. Die Wohnung ist laut Grundgesetz (Artikel 13) unverletzlich, nur in Ausnahmefällen ist eine Durchsuchung rechtmäßig. In Stade haben Richter diese wiederholt zu ähnlichen Uhrzeiten genehmigt - zur Ergreifung von mutmaßlichen Tätern und zur Sicherung von Beweismitteln, insbesondere von Handys. Auch in diesem Fall sollte - durch den frühen Zeitpunkt - das Zugreifen auf elektronische Speichermedien verhindert werden. Die Gesuchten schliefen noch. Das alles wäre allerdings durch Paragraf 104 der StPO gedeckt gewesen.
Auf den Mobiltelefonen fanden sich laut der als Zeugen geladenen Polizisten unter anderem Hinweise zur Tat. Und: Alle fünf Angeklagten waren mit ihren Mobiltelefonen zum Zeitpunkt des Gewaltexzesses im nächsten Funkturm am Tatort eingeloggt.
Die Verteidigerin des Bruders von Serhat S., Dinah Busse, schloss sich ihrem Kollegen Dr. Dirk Meinicke an. Sie sprach im Namen ihres Mandanten Hasan S. (25) von einem „willkürlichen Handeln“ der Polizei. Dadurch dürften die ab 4.30 Uhr erlangten Beweismittel nicht mehr verwendet werden.
Laut Polizei war die Razzia im Morgengrauen gerechtfertigt
Staatsanwalt Oertelt wies diese Argumentation zurück. Polizeisprecher Rainer Bohmbach hatte 2024 auch auf die Vorgeschichte der Clan-Immobilie verwiesen - und die Sprengung der Tür auch mit dieser begründet. Denn bereits im Mai 2023 hatte die Polizei den Komplex wieder einmal gestürmt. Vorwurf: Drogenhandel, Geldwäsche, Schwarzarbeit und illegales Glücksspiel. Zwei Einfamilienhäuser und eine Gewerbeimmobilie in der Altländer Straße wurden seinerzeit beschlagnahmt. Bargeld, Luxusuhren, Gold sowie Drogen, Glücksspielautomaten und Gebäude im Wert von 900.000 Euro wurden beschlagnahmt. Schusswaffen wurden sichergestellt.
Der stadtbekannte Stader Clan schreckte sogar nicht davor zurück, eine Richterin einzuschüchtern. Die 2. Große Strafkammer am Landgericht Stade verurteilte schließlich einen 34 Jahre alten Mann wegen gewerbsmäßigen illegalen Glücksspiels in 203 Fällen, vorsätzlicher Geldwäsche und unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Seine Partnerin muss wegen Beihilfe 360 Euro Strafe zahlen. Die Immobilien waren nicht eingezogen worden.
Der Prozess um den Toten vom Stader Bahnhof wird am Donnerstag, 25. September, 9.15 Uhr, fortgesetzt.
Der Tote vom Stader Bahnhof: Eine Chronik
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- 1. Prozesstag: Toter vom Stader Bahnhof: Obduktion zeugt von einem Gewaltexzess
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- 3. Prozesstag: Streit um Sprengstoff-Einsatz in Stade: Verteidiger fordern Strafminderung
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