TUnsichtbare Gefahr: Altlasten-Standorte im Kreis Stade

Aktuelle Sanierungsarbeiten an Böden wurden zuletzt niedersachsenweit an 338 Standorten durchgeführt. Foto: Sina Schuldt/dpa
Fast 100.000 Verdachtsflächen für Altlast-Standorte gibt es in Niedersachsen, gut 100 sind es im Kreis Stade. Ihre Beseitigung dauert teilweise Jahrzehnte und kommt nur langsam voran. Was dort verborgen liegt.
Landkreis/Hannover. Beim Beseitigen von Altlasten kommt das Land Niedersachsen nur mühsam voran. Die Zahl der sanierten und nicht mehr gefährlichen Standorte stieg zum Stichtag 31. Juli dieses Jahres leicht auf nun 3034, wie aus Daten des Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hervorgeht. 2021 lag die Zahl demnach noch bei 3016, in 2018 bei 2853. Altlasten sind Ablagerungen, von denen eine Gefährdung für die Umwelt, insbesondere für die menschliche Gesundheit ausgehen kann oder zu erwarten ist.
Laut den Daten des LBEG gab es zuletzt niedersachsenweit noch über 100.000 Altlast-Verdachtsflächen. Den Großteil machen sogenannte Altstandorte aus, also beispielsweise stillgelegte Industriebrachen, Rüstungsaltlasten oder ehemalige Fabriken, in denen mit gefährlichen Chemikalien gearbeitet wurde. Solche Gebiete lassen sich dem LBEG zufolge zahlreich auch im Landkreis Stade finden. Gut 100 Standorte werden in einer aktuellen Karte benannt.
Aber: Auch sanierte oder als ungefährlich eingestufte Altlastflächen zählen laut Karte weiter zu den rund 100.000 Verdachtsorten.
Rüstungsaltlasten in Stade – Zwei Standorte verzeichnet
Darüber hinaus gibt es landesweit viele sogenannte Altablagerungen, also ehemalige Müllsammelpunkte wie Deponien. Die meisten dieser Flächen müssen noch überprüft werden. Rund 4000 Standorte sind aktuell als noch nicht sanierte, aber bereits bestätigte Altlasten eingestuft. Im Landkreis Stade gibt es keine noch zu überprüfende Schlammgrube. In unmittelbarer Nachbarschaft lässt sich ein solcher Standort am nächsten zum Stader Nordkreis in Lamstedt im Kreis Cuxhaven finden.
Dafür sind für Stade zwei mögliche Standorte mit Rüstungsaltlasten verzeichnet. Diese sind laut LBEG seit 1997 verzeichnet. Von 1989 bis 1997 wurde eine systematische Gefährdungsabschätzung von Rüstungsaltlasten auf allen bekannten beziehungsweise im Zuge dieser Bearbeitung hinzugekommenen Verdachtsflächen durchgeführt. Die Zuständigkeit liegt bei den Landkreisen als untere Bodenschutzbehörde.
Demnach sind für den Kreis Stade verzeichnet:
- Stade/Flugplatz
Belastung: Rüstungsaltlastspezifische Rückstände
Historische Nutzung: bis 1945 Nutzung zur Ausbildung und als Einsatzflughafen, mehrfache Bombardierungen; nach 1945 Entmilitarisierung; zuletzt 1994/1997 Teilbereiche geräumt
Bearbeitungsstand: weiterer Untersuchungsbedarf
- Stade Grauerort/ehemals Marinemunitionsdepot
Belastung: Bodenkontaminationen mit Sprengstoffen oder Schwermetallen in Teilen des Standortes, Munitionsfunde im Wassergraben
Branche:
Historische Nutzung: 1914 bis 1918 Munitionslage der Marine; bis 1945 Marinesperrzeugamt; 1959 bis 1985 gewerbliche Munitionsdelaborierung, 1984/85 Teilräumung der Munition (am Elbanleger)
Bearbeitungsstand: Untersuchungs- und Sanierungsbedarf
Niedersachsenweit sind 181 Standorte als Rüstungsaltlasten eingestuft. In der Lüneburger Heide sowie in Cuxhaven und Wilhelmshaven gibt es beispielsweise viele Rüstungsaltlasten.
Unsichtbare Gefahr im Alltag: Die Ewigkeitschemikalien PFAS
Oft befinden sich an den altlastverdächtigen Orten auch giftige Stoffe im Boden. Welche Auswirkungen die Altlasten für die Bevölkerung haben, lässt sich allgemein nicht sagen. Sowohl die Gefährdung als auch die Dauer der Sanierungsarbeiten hängen immer vom Einzelfall ab, wie ein LBEG-Sprecher erklärte.
Zu den gefährlichen Stoffen gehören beispielsweise auch die Ewigkeitschemikalien PFAS. Auch im Kreis Stade wurden diese potenziell krebserregenden und gesundheitsgefährdenden Stoffe gefunden, zum Beispiel an der Elbe in Stade, in Hollern-Twielenfleth und an der Lühe-Aue. Das hatte im Frühjahr dieses Jahres jüngst eine Recherche von NDR und WDR offenbart.
Zu der Chemikaliengruppe der PFAS zählen geschätzt über 10.000 einzelne Substanzen, die in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen oder Kosmetik verarbeitet sind. In der Industrie werden sie etwa in Dichtungen, Isolierungen oder Kabeln eingesetzt. Auch Lithium-Ionen-Batterien zum Beispiel für E-Autos sind auf PFAS angewiesen.
Menschen können PFAS vor allem über Nahrung und Trinken aufnehmen, denn die Chemikalien gelangen in Böden, das Grundwasser, Futtermittel oder Verpackungen. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA geht davon aus, dass vor allem tierische Lebensmittel mit PFAS belastet sind.
In der Europäischen Union wird über ein mögliches Verbot von PFAS diskutiert, die wegen ihrer Langlebigkeit auch Ewigkeitschemikalien genannt werden. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) macht sich für eine Beschränkung der Stoffe stark.
Wie aufwendig belastete Böden gereinigt werden
Ein Beispiel aus Wittmund in Ostfriesland zeigt den Aufwand, der für die Beseitigung von Altlasten in Niedersachsen betrieben wird. Am dortigen Nato-Flugplatz ist seit Anfang des Jahres eine sogenannte Bodenwaschanlage in Betrieb. Damit sollen in den kommenden Jahren rund 800.000 Tonnen Boden von PFAS gereinigt werden. Anschließend soll das Material wieder für Umbauarbeiten auf dem Flugplatz genutzt werden. „Mit Hilfe der Bodenwaschanlage werden Entsorgungskosten drastisch reduziert und einbaufähige Böden generiert“, sagte eine Sprecherin des Landesamts für Bau und Liegenschaften.
Die Maschine filtert zunächst den Boden, so dass die Schadstoffe als Schlamm abgetrennt werden. Diesem wird anschließend das Wasser entzogen, das ebenfalls gefiltert und wiederverwendet wird. Zurück bleibe eine gepresste Masse, die zu großen Teilen ebenfalls wiederverwendet werden könne. Laut dem Landesamt für Liegenschaften, können etwa 95 Prozent des Ausgangsmaterials uneingeschränkt genutzt werden.
In ganz Niedersachsen wurde nach Untersuchungen an inzwischen 4430 Standorten eine Gefährdung ausgeräumt - 664 mehr als 2021. Aktuelle Sanierungsarbeiten liefen zum Stichtag Ende Juli an 338 Standorten.
- Der Landkreis Stade führt seit einigen Jahren ein Altlastenkataster. Um zu wissen, ob sich auf einem Grundstück eine Altlastverdachtsfläche oder Altlast befindet, kann eine Auskunft aus dem Altlastenkataster beantragt werden. (dpa/tip)