Zähl Pixel
24-Stunden-Reportage

TWarum dieser Busfahrer Schüler belohnte - und was er am Steuer noch erlebt

22 Uhr: Die vorletzte Runde mit der Linie 2105 für heute hat Dennis Borchers jetzt hinter sich.

22 Uhr: Die vorletzte Runde mit der Linie 2105 für heute hat Dennis Borchers jetzt hinter sich. Foto: Anping Richter

Dennis Borchers biegt rechts ab. Die Straße ist nicht breit, doch er dreht das Lenkrad entspannt mit links und lässt es dann locker durch die Hände gleiten. Im Bus ist der KVG-Fahrer in seinem Element. Dafür gibt es gute Gründe.

author
Von Anping Richter
Mittwoch, 17.07.2024, 19:30 Uhr

Buxtehude. Die Farben der Sitzbezüge leuchten, der Lack glänzt: Der Bus, ein Iveco, wurde 2024 in den Dienst gestellt. 230.000 bis 250.000 Euro kostet so ein neuer Bus heutzutage je nach Ausstattung.

Er hat erst 24.000 Kilometer auf dem Tacho. Dabei ist allein Dennis Borchers im Juni 4.387 Kilometer gefahren, fast alles beruflich. Über eine App kann er das ganz genau nachvollziehen.

„Ich bin ein Zahlentyp“, sagt Borchers mit dem breiten Lächeln, das er öfter zeigt. Sich Namen zu merken, falle ihm nicht leicht. Kopfrechnen schon. Ein Vorteil an der Kasse, denn die KVG nimmt noch Bargeld.

Oft wird er die Kasse heute trotzdem nicht brauchen: Es regnet. Als er die Ringfahrt der Linie 2105 auf Knopfdruck am Buxtehuder ZOB um 21.09 Uhr gestartet hat, ist nur ein einziger Gast eingestiegen.

Mohammed Al Jawal kommt gerade von der Uni in Hamburg, steigt auf Anraten von Dennis Borchers aber wieder aus: Zu Fuß geht's schneller. Seine Station ist erst am Ende der Runde dran.

Mohammed Al Jawal kommt gerade von der Uni in Hamburg, steigt auf Anraten von Dennis Borchers aber wieder aus: Zu Fuß geht's schneller. Seine Station ist erst am Ende der Runde dran. Foto: Anping Richter

Deutschlandticket holt die Öffis aus dem Tal der Tränen

Mohammed Al Jawal braucht kein Kleingeld. Der 21-jährige Student hat ein Deutschlandticket. Letzteres hat den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) - im Volksmund: die Öffis - übrigens aus einem Tal der Tränen geholt: Durch die Corona-Pandemie brachen die Fahrgastzahlen stark ein.

Laut Statistischem Bundesamt sind sie nach Einführung des Deutschlandtickets 2023 um sieben Prozent gestiegen. Sie liegen zwar noch immer acht Prozent unter dem Wert des Vor-Corona-Jahres 2019, aber es geht aufwärts.

Darum schickte Borchers Studenten zu Fuß weiter

Al Jawal studiert an der Hafen-City-Universität Bauingenieurwesen und ist nach der Uni noch in der Buxtehuder Innenstadt gewesen. Jetzt will er nach Hause.

Als Borchers hört, wo er hin muss, rät er ihm, zu Fuß zu gehen: „Da komme ich erst am Ende meiner Runde hin, zu Fuß sind Sie schneller.“ Sein einziger Fahrgast bleibt trotzdem. Schließlich regnet es draußen.

Mehr 24-Stunden-Reportagen

Am Bahnhof Nord sitzen zwei Leute an der Haltestelle. Borchers wird kaum langsamer: „Die kenne ich schon, die wollen nach Fredenbeck.“ Über die sogenannte Spange, den Ellerbruchtunnel unter der Bahnlinie, geht es flott weiter zum Bahnhof Süd.

Der Regen hat sich gelegt, der Student beschließt, doch zu Fuß nach Hause zu gehen. Vier neue Fahrgäste steigen ein, einer will die große Runde mitfahren, bis er wieder im Buxtehuder Norden ist, weil er sonst seinen Koffer quer durch die Stadt schleppen müsste.

KVG sucht Busfahrer - und findet sie in Vietnam

Denkmal, Hittenkoferweg, Eichenweg, Schlangenweg: Auf der Infotafel werden die nächsten Stationen angezeigt. Zwischendurch ist immer wieder KVG-Eigenwerbung zu sehen: Busfahrer sind dringend gesucht. Bei Leerfahrten ist das sogar auf der Leuchtanzeige draußen zu lesen.

Die Not ist so groß, dass die KVG nicht nur EU-weit, sondern auch außerhalb der EU Leute anwirbt. Drei junge Vietnamesen beispielsweise, die schon in ihrer Heimat Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben haben und demnächst ihre Ausbildung in Stade beginnen.

Die KVG sucht dringend Busfahrer - und wirbt auf der Anzeigetafel mit drei Gründen, diesen Job zu ergreifen: Krisensicher, tariflich bezahlt und für Quereinstieger geeignet.

Die KVG sucht dringend Busfahrer - und wirbt auf der Anzeigetafel mit drei Gründen, diesen Job zu ergreifen: Krisensicher, tariflich bezahlt und für Quereinstieger geeignet. Foto: Anping Richter

Dafür gibt es an den Betriebsstätten Integrationsbeauftragte, die bei der Orientierung im Alltag, bei Behördengängen und auch bei der Wohnungssuche helfen. In Stade steht für die drei Neuen eine Dienstwohnung zur Verfügung.

Warum ist es so schwierig, Menschen für den Beruf des Busfahrers oder der Busfahrerin zu begeistern? „Ich arbeite gerne viel und lang“, sagt Dennis Borchers. Das sei nicht bei jedem so.

Papa, ich mach den Busschein.

Dennis Borchers

Pünktlich trotz Pausen

Seine Schicht hat um 15 Uhr begonnen und geht bis 0 Uhr. Natürlich mit vorgeschriebenen Pausen, die auf der digitalen Dienstkarte auf dem Handy angezeigt werden. Die Busfahrer dürfen wählen, wie sie die Pausen stückeln: Sechs mal 10 Minuten oder in größeren Blöcken.

Pünktlich sind die Busse trotzdem: „Wir haben das im Blick, aber wenn es wegen Verkehr oder Baustellen mal nicht mit der Pause hinhaut, sagen wir Bescheid. Dann wird ein Ersatzbus geschickt.“

Mehr 24-Stunden-Reportagen

Und die Bezahlung? Der 44-jährige Dennis Borchers hat Zimmermann gelernt und viele Jahre als Geselle in diesem Bereich gearbeitet. Draußen, bei jedem Wetter. Bis er genug hatte und zu seinem Vater, der auch schon Busfahrer bei der KVG war, sagte: „Papa, ich mach den Busschein.“

Als Busfahrer verdiene er nicht weniger, sagt Borchers: „Aber ich habe es warm und trocken und muss nicht mehr schwer heben.“ Die Chance auf diese Arbeit musste er allerdings teuer bezahlen.

Der Busfahrer-Führerschein kostet 15.000 Euro

15.000 Euro hat ihn der Busschein gekostet, alles aus eigener Tasche, weshalb er einen Kredit aufnahm. Die Arbeitsagentur übernahm die Kosten nicht, und Arbeitslosengeld bekam er auch nicht, weil es genug offene Stellen für Zimmerleute gab.

Heute ist es laut KVG einfacher, für die Ausbildung einen Gutschein der Arbeitsagentur zu bekommen - und falls nicht, übernehme die KVG die Ausbildungskosten. Nach einigen Tarifrunden liegt der Stundenverdienst für Fahrpersonal aktuell bei 17,47 bis 18,06 Euro.

In der Einstiegsstufe ergibt das ein Bruttogehalt von 2.924 Euro, zuzüglich Zuschlägen, zum Beispiel für Wochenendarbeit.

Der Iveco-Bus ist nagelneu - ein Modell von 2024.

Der Iveco-Bus ist nagelneu - ein Modell von 2024. Foto: Anping Richter

Führerschein in Rekordzeit

Sechs Wochen brauchte Borchers bei der KVG-Partner-Fahrschule Quell in Stade für den Führerschein. Rekordgeschwindigkeit, denn normalerweise dauert das drei bis sechs Monate. Danach bekam er bei der KVG sofort eine Stelle.

Das war vor acht Jahren. Das Fahren genieße er jeden Tag - ob auf dem neuen Iveco oder im Mercedes, wo der Fahrersitz weiter außen liegt: „Ich kenne alle Busse und Abmessungen und fahre ganz entspannt.“

Mehr 24-Stunden-Reportagen

Heute fährt Borchers jeden Tag verschiedene Linien, mal Buxtehude, mal Neu Wulmstorf, mal Neugraben. Über die Dörfer fährt Borchers, der selbst in Klein-Reith aufgewachsen ist, sehr gerne: „Hier sagen dir die Leute noch guten Tag, in Hamburg sehen sie dich meistens gar nicht.“

Auf der Linie 257 (Cranz, Jork, Neugraben) hatte er schon einige Polizeieinsätze: „Die Leute sind seit Corona so aggressiv geworden. Da wurden wir sogar schon mit heißem Kaffee beworfen.“

Die neuesten Maschen der Ticket-Betrüger

Das Deutschlandticket habe mehr Fahrgäste gebracht, aber auch neue Betrugsmaschen. „Grauenhaft“, sagt Borchers. Er hake nun öfter mal nach, zum Beispiel, wenn der QR-Code nur abfotografiert ist oder die Frau dem Ticket nach zwanzig ist, aber wie 30 aussieht.

Busfahrer aus Rache angezeigt?

Zwei junge Männer, die er bei einem Betrugsversuch erwischte und aus dem Bus warf, hätten ihn aus Rache sogar angezeigt und behauptet, er habe einen Radfahrer angefahren und sei geflüchtet.

„Dabei war nichts passiert“, sagt Borchers. Das Verfahren wegen Körperverletzung und Fahrerflucht wurde eingestellt. Ärgerlich war es trotzdem.

Mehr 24-Stunden-Reportagen

Belohnung für gut erzogene Kinder

Wenn jemand im Bus laut oder tätlich wird, weiß Borchers für Ordnung zu sorgen. Auch bei Kindern klappt das gut, wie er während seiner Zeit als Schulbusfahrer feststellte: „Bei mir im Bus ist Ruhe.“

Eine pädagogische Ader hat er offenbar auch: Weil ihm auffiel, dass das freundliche Grüßen morgens im Bus nicht bei allen klappte, verteilte er eines Morgens an die Kinder, die grüßten, vorbereitete Zettel.

Wer einen hatte, durfte beim Aussteigen in seine Naschi-Box greifen, und zwar an jedem Tag der Restwoche. „Danach haben alle gegrüßt“, berichtet er und grinst. So mache ihm die Arbeit Spaß.

Am ZOB in Buxtehude beginnt um 22 Uhr die letzte Runde für Busfahrer Dennis Borchers.

Am ZOB in Buxtehude beginnt um 22 Uhr die letzte Runde für Busfahrer Dennis Borchers. Foto: Anping Richter

Die KVG

Die KVG Stade GmbH & Co. KG wurde 1928 von den Brüdern Peill als „Stadt-Omnibus Heinrich Peill“ gegründet. Heute ist sie ein Mobilitätsdienstleistungskonzern mit etwa 1000 Mitarbeitern und Niedersachsens größter Anbieter von Omnibusverkehrsleistungen. Sie betreibt Stadtlinienverkehre in Buxtehude, Cuxhaven, Lüneburg, Stade und Winsen sowie Überlandlinien-, Schul- und Berufsverkehre in den Kreisen Cuxhaven, Harburg, Lüneburg, Rotenburg und Stade.

Weitere Artikel