TWenn die Fahrt mit dem „Start“ zum Abenteuer wird

Frida Nitzsche pendelt zwei bis drei Mal pro Woche zwischen Himmelpforten und Hamburg. Foto: Berlin
Nur wegen der Bahnanbindung lebt sie auf dem Land. Aber eine Fahrt mit dem RE5 nach Hamburg wird mitunter zum Abenteuer. Pendlerin Frida Nitzsche über ihre Erlebnisse.
Himmelpforten. Es ist ein kalter Januarmorgen. Minus acht Grad. Frida Nitzsche (33) steht auf dem Bahnhof in Himmelpforten. Sie will nach Hamburg zur Arbeit fahren. Drei Stunden lang steht sie auf dem Bahnsteig. Die automatisierten Ansagen kündigen immer weitere Verspätungen des Regionalexpresses RE5 der Start Unterelbe GmbH aus Cuxhaven an.
Ein Bus-Shuttle ist nicht in Sicht. Irgendwann erwischt Frida Nitzsche einen Schulbus, der sie zum Stader Bahnhof bringt. Dort nimmt sie die S-Bahn nach Hamburg. Ein defektes Stellwerk in Hechthausen hatte das Chaos an diesem Tag im Januar ausgelöst.

Das sieht Frida Nitzsche zum ersten Mal: eine digitale Fahrplananzeige. Foto: Berlin
Seit 2021 lebt Frida Nitzsche mit ihrer Partnerin in Himmelpforten. Sie arbeitet im öffentlichen Dienst in Hamburg. Während der Corona-Pandemie und des Lockdowns, den sie in Hamburg erlebten, entschieden sie sich, aufs Land zu ziehen. „Wir wollten ohne Auto leben“, sagt Frida Nitzsche. Jetzt lachen die beiden Frauen über diesen Vorsatz. Ein gebrauchter Opel Meriva steht draußen vor dem Haus.
Die Bahn-Anbindung wird nach einem Jahr schlechter
Frida Nitzsche hält das Leben in Himmelpforten auf dem Land für ein „Zukunftsmodell in Sachen Freizeit und Natur“. Infrastrukturell sei die Kommune bestens ausgestattet. Frida Nitzsche suchte ein Jahr lang im Umkreis von 70 Kilometern von der Großstadt Hamburg. Richtung Winsen, Richtung Lüneburg, Richtung Stade.
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Von ihrer Dachgeschosswohnung in einem Mehrfamilienhaus in Himmelpforten benötigt Frida Nitzsche für die 1,2 Kilometer zum Bahnhof etwas mehr als 10 Minuten zu Fuß. Gut ein Jahr lang profitierten sie und ihre Partnerin von „der guten Anbindung“. Eine Stunde, sechs Minuten, dann stand sie in Hamburg auf dem Hauptbahnhof. Die Zeiten sind vorbei.
Der RE5 fährt nur noch bis Harburg. Grund dafür sind Arbeiten an den Eisenbahnbrücken über die Elbe. Der Baufahrplan lege fest, welche Reduzierungen für den Personenfernverkehr, den Personennahverkehr und den Güterverkehr nötig seien, schreibt Start Unterelbe auf TAGEBLATT-Anfrage.
„Dabei werden alle Aspekte, wie etwa das Fahrgastaufkommen der betroffenen Linien sowie die größtmögliche Kapazitätsauslastung des Baustellenabschnitts, intensiv abgewogen und gegenübergestellt.“ Der RE5 fällt da offenbar hinten runter.
Neun von zehn Zügen sind angeblich pünktlich
Frida Nitzsche wechselte ihren Arbeitsplatz. Sie arbeitet jetzt in Wilhelmsburg. Wegen der besseren Zugverbindung. Seitdem der RE5 nicht mehr bis Hamburg Hauptbahnhof durchfährt, verpasste sie schon Termine bei der Arbeit, kam zu spät. Sie benötigt jetzt mindestens eineinhalb Stunden für den Weg ins Büro.
Manchmal, wenn der RE5 an jeder Milchkanne halten muss, weil die S-Bahn nicht fährt, dauert es länger. Start Unterelbe verweist auf eine Pünktlichkeitsquote seines RE5 von 89,48 Prozent im Jahr 2024. Demnach fahren neun von zehn Zügen pünktlich, also mit einer Verspätung von maximal fünf Minuten.
Wenn in Hamburg mal wieder ein Lkw gegen eine Brücke fährt, Experten an der Bahnlinie eine Fliegerbombe entschärfen, Bäume im Landkreis Stade auf die Schienen kippen, Stellwerke, Signale oder ganze Züge ausfallen, dauert es noch länger. Manchmal steht Frida Nitzsche auf dem Bahnsteig in Himmelpforten und sagt zu sich selbst: „Das hat heute keinen Zweck.“
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Sie kommt nicht weg, pünktlich schon gar nicht. Sie bleibt zu Hause und wirft im Homeoffice den Rechner an. Zum Glück, sagt sie, habe sie einen Arbeitgeber, der das Arbeiten zu Hause flexibel regelt. Zwei bis drei Mal pro Woche pendelt Frida Nitzsche nach Hamburg und zurück. Auf dem Heimweg bildeten sich auf dem Stader Bahnhof schon Fahrgemeinschaften mit wildfremden Menschen, weil plötzlich Endstation war.
Acht Dieselloks stehen im Start-Fuhrpark
„Zugausfälle und Verspätungen haben auf unserer Linie infrastruktur- und fahrzeugbedingte Ursachen“, sagt Start Unterelbe. Zudem würden sie „vermehrt durch witterungsbedingte und andere externe Einflüsse, wie zum Beispiel betriebsfremde Personen im Gleis, verursacht“. Für die Flotte des Unternehmens fahren 8 Diesellokomotiven und 38 Doppelstockwagen.
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Erst im Winter habe das Unternehmen schwerpunktmäßig die Fahrradwagen umgebaut, damit sie im Sommer, pünktlich zur Fahrradsaison, modernisiert zur Verfügung stehen. Die Zahl des Personals sei ausreichend. Start Unterelbe erklärt, dass es seit 2018 nur sehr wenige personalbedingte Ausfälle gegeben habe. Ob sich die Gesellschaft in zwei Jahren erneut an der Ausschreibung für die Strecke beteiligt, ist heute unklar. „Generell werden Ausschreibungen und Vergabeverfahren geprüft“, schreibt das Unternehmen lediglich auf Nachfrage.
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Ob die Technik auf der Strecke zwischen Cuxhaven und Hamburg veraltet ist und ob es einen Investitionsstau gibt, beantwortet eine Bahnsprecherin nicht explizit. Die Infrastruktur auf dieser Strecke werde regelmäßig geprüft, gewartet und instand gehalten. „Die Strecke ist in einem betriebssicheren Zustand“, schreibt sie.
Züge sollen bald 160 km/h schnell sein
Geplant sei auf der Trasse zwischen Cuxhaven und Stade ein Streckenausbau, so die Deutsche Bahn. Das Projekt befinde sich derzeit noch in der Vorplanung und umfasse auch die Elektrifizierung der Strecke. Es sei vorgesehen, die Höchstgeschwindigkeit von Personenzügen auf der Strecke von 120 auf 160 Stundenkilometer zu steigern. Einen Termin für den Baubeginn kann die Bahn nicht benennen.
Frida Nitzsche erlebte viele Geschichten in den vergangenen Jahren. Einmal, erzählt sie, sei ein Zug auf dem Weg nach Hause schon in Hamburg liegengeblieben. Das Bordpersonal habe detailliert die Gründe erklärt. Ein Mikrochip sei defekt gewesen. „Die Durchsagen waren außergewöhnlich freundlich“, sagt Frida Nitzsche.
Das findet sie gut. Dann reagierten die Leute auch verständnisvoll. Und das, obwohl mit dem Mikrochip auch die Klimaanlage ausfiel und es bei Temperaturen jenseits der 30 Grad unangenehm wurde.
Hat Frida Nitzsche schon mal bereut, aufs Land gezogen zu sein? Sie mag es eigentlich. Grundsätzlich und wegen der bezahlbaren Mieten im Vergleich zu Hamburg. Aber bei minus 8 Grad auf dem Bahnhof kommen Frida Nitzsche manchmal andere Gedanken.