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Bundestagswahl

T„Abgeschoben und weggeschlossen“: Max Prigge blickt sorgenvoll in die Zukunft

Max Prigge lebt mit Osteogenesis imperfecta, der sogenannten Glasknochenkrankheit.

Max Prigge lebt mit Osteogenesis imperfecta, der sogenannten Glasknochenkrankheit. Foto: Berlin

Max Prigge macht sich Sorgen. Stellvertretend für viele behinderte oder pflegebedürftige Menschen. Kann er nach einem Politikwechsel und Rechtsruck noch selbstbestimmt leben?

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Von Daniel Berlin
Mittwoch, 19.02.2025, 19:20 Uhr

Landkreis. Max Prigge (31) aus Schwinge beantragte seine Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben ein Jahr im Voraus. Er wollte ins Hamburger Volksparkstadion zum HSV, vielleicht zum Handball nach Fredenbeck, in den Tierpark oder als ehemaliger Schützenkönig zum Schützenball in Hagen.

Max Prigge wurde 2022 Schützenkönig in Hagen.

Max Prigge wurde 2022 Schützenkönig in Hagen. Foto: Berlin (Archiv)

Prigge überschlug, wie viele Stunden im Jahr er am normalen Leben teilnehmen wollte. Denn er benötigt für fast alles, was er tut, Hilfe, die in der Regel bezahlt werden muss. Dann ging ein Schreiben an die zuständigen Behörden raus. „Für ein selbstbestimmtes Leben ist das irre viel Papierkram“, sagt Prigge. Das gesellschaftliche Leben des 31-Jährigen wird budgetiert.

Seit der Geburt auf Hilfe angewiesen

Prigge hat Osteogenesis imperfecta, die sogenannte Glasknochenkrankheit. Er sitzt im Rollstuhl. Seit seiner Geburt ist Prigge auf Hilfe angewiesen. „Ich habe noch Glück, weil meine Eltern viel für mich machen“, sagt er.

Früher halfen ihm Zivildienstleistende im Alltag. Heute übernehmen dies persönliche Assistenten, wenn es seine Eltern nicht können. Aktuell unterstützen Prigge grundsätzlich seine Eltern. Leistungen zur Teilhabe am öffentlichen Leben nimmt er derzeit auch aufgrund der hohen Bürokratie nicht in Anspruch. Dies sei jedoch ein Zustand, der auf lange Sicht nicht andauern werde, so Prigge.

Prigge macht sich um die Zukunft Sorgen, wenn aus seiner Sicht die „falschen Parteien“ mit Regierungsverantwortung oder starker Opposition im Bundestag sitzen. „Ich befürchte, dass ich auf vieles, was bislang normal war, den Anspruch verliere, dass mir weniger bewilligt und finanziert wird“, sagt er.

Der 31-Jährige liest viele Wahlprogramme so kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar. Im Programm der AfD hat er zum Thema Inklusion nicht viel gefunden. Deshalb könne er es nur deuten. Die AfD fordert „Inklusion mit Augenmaß“ und setzt sich beispielsweise für den Erhalt von Förderschulen ein. „Abgeschoben und weggeschlossen“, sind zwei Worte, die Prigge dazu einfallen. Er lehnt auch Behindertenwerkstätten ab. „Das sind Sonderwelten, in denen ein selbstbestimmtes Leben immer schwieriger wird“, sagt Prigge.

Betroffene kritisieren hohe bürokratische Hürden

Seit Jahren versucht sich Prigge auf dem ersten Arbeitsmarkt zu etablieren. Am Elbe Klinikum in Stade ließ er sich zum Kaufmann im Gesundheitswesen ausbilden. Aber das geht nur mit einer Assistenz an seiner Seite. Arbeitsamt, Integrationsamt, Landkreis, Pflegekasse - Prigge steht aufgrund der bürokratischen Hürden stets mit einer Handvoll Institutionen in Kontakt. Deutschlandweit nehmen Insider die bürokratischen Spitzfindigkeiten fast schon mit Galgenhumor, wenn ein Armamputierter in regelmäßigen Abständen nachweisen muss, dass sein Arm immer noch ab ist.

Heute arbeitet Prigge als Projektassistent bei der Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben e.V. (ISL). Juliane Harms vom ISL-Vorstand hat längst einen ideologischen Trend ausgemacht. „Erster Arbeitsmarkt? Du bist behindert. Du gehst in die Werkstatt. Du bist keine Fachkraft“, bringt Harms Denkweisen auf den Punkt, die ihr gegen den Strich gehen.

Inklusion an Schulen: Gut gedacht, schlecht gemacht?

Der Inklusion an Schulen stellt sie ein schlechtes Zeugnis aus. „Die Lehrer sind überfordert, weil zu viel gespart und nicht individuell gedacht wird“, sagt Harms. Die ISL wolle „echte Inklusion, in der alle miteinander lernen“. Sie befürchtet allerdings „Streichungen von Geld im sozialen Bereich und den sukzessiven Rückbau von Errungenschaften“. Das befürchtet Harms nicht nur mit einer starken AfD, sondern auch mit einer CDU in Regierungsverantwortung.

Vor allem aber der Umgang der AfD mit behinderten Menschen und der Inklusion hatte in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder zu Entsetzen bei Sozialverbänden und Institutionen wie der Caritas, dem Sozialverband VdK, der Lebenshilfe oder Aktion Mensch geführt.

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