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Gesundheit

TÄrztemangel: Bittere Wahrheiten beim Mediziner-Gipfel in Stade

Das hochkarätig besetzte Forum (von links): Ärztesprecher Dr. Stephan Brune, Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) und KVN-Chef Mark Barjenbruch.

Das hochkarätig besetzte Forum (von links): Ärztesprecher Dr. Stephan Brune, Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) und KVN-Chef Mark Barjenbruch. Foto: Wisser

Es gibt zu wenige Ärzte, das ist Fakt. Aber warum? Und was kann dagegen getan werden? Diese Fragen diskutierten Experten in Stade. Ein Problem ist Google.

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Von Karsten Wisser
Donnerstag, 16.01.2025, 19:45 Uhr

Buxtehude. Der Neujahrsempfang der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) der Bezirksstelle Stade ist das wichtigste Treffen von Menschen, die für die medizinische Versorgung in der Region verantwortlich sind. Neben dem Hauptgast, Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD), konnte Dr. Stephan Brune weitere hochkarätige Gäste für die Podiumsdiskussion gewinnen.

Chef der größten Krankenkasse dabei

Als Gesprächspartner hatte der niedergelassene Stader Kardiologe und Sportmediziner, zugleich Bezirksausschuss-Vorsitzender der KVN-Bezirksstelle, den KVN-Vorstandsvorsitzenden Mark Barjenbruch und Dr. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen, gewinnen können. Sie ist mit rund drei Millionen Versicherten die größte Krankenkasse Niedersachsens.

Der niedergelassene Kardiologe und Sportmediziner Dr. Stephan Brune ist Bezirksausschuss-Vorsitzender der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN).

Der niedergelassene Kardiologe und Sportmediziner Dr. Stephan Brune ist Bezirksausschuss-Vorsitzender der Bezirksstelle Stade der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Foto: Wisser

„Der Ärztemangel führt zu einer zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung“, sagte Brune. Das Praxissterben im ländlichen Raum stand im Mittelpunkt der Veranstaltung. „Wir haben eine alternde Gesellschaft, steigenden Kostendruck und einen deutlichen Fachkräftemangel“, beschrieb Minister Philippi die Probleme. Obwohl es in Deutschland im internationalen Vergleich viele Ärzte und medizinische Fachkräfte gebe, sei in vielen Regionen ein Gefühl des Mangels feststellbar.

Ruhestand: Praxen schließen und Wissen geht verloren

Das Land schafft 80 zusätzliche Studienplätze für Mediziner. Aber: Allein in Niedersachsen fehlen derzeit 549 Hausärzte. Das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte liegt bei 54,6 Jahren, viele gehen in den kommenden zehn Jahren in den Ruhestand.

Professor Holger Schmidt, Chefarzt der Neurologie am Elbe Klinikum in Stade, äußerte sich als Gast aus dem Publikum.

Professor Holger Schmidt, Chefarzt der Neurologie am Elbe Klinikum in Stade, äußerte sich als Gast aus dem Publikum. Foto: Hutcheson

Die Ruhestandswelle löst Ängste aus - nicht nur weil die Praxen oft geschlossen werden. „Wir haben eine Know-how- und eine Alterskrise“, sagte Professor Holger Schmidt, Chefarzt der Neurologie am Elbe Klinikum in Stade.

„Ich mache mir Sorgen, dass Fachkräfte, die es können, ihr Wissen nicht weitergeben können“, sagte Philippi. Die Gefahr des Wissensverlusts bestehe auch, weil das ambulante Operieren nicht richtig vermittelt werde, so der Minister.

Es gibt Unwuchten im System: Der Staat zahlt für die medizinische Versorgung von Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern Geld in die gesetzliche Krankenversicherung ein. Der Betrag ist aber zu gering, um die Ausgaben für diese Gruppe zu decken.

„Wir bekommen 106 Euro für jedes Mitglied mit Bürgergeld. Sie kosten uns aber rund 300 Euro pro Monat“, sagte Jürgen Peter. Der AOK-Chef kritisierte, dass die Krankenkassen und damit die Beitragszahler das Bürgergeld indirekt mitfinanzieren müssten.

Gesundheitsminister Andreas Philippi (Mitte, SPD) im Gespräch mit Dr. Stephan Brune (links) und Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN.

Gesundheitsminister Andreas Philippi (Mitte, SPD) im Gespräch mit Dr. Stephan Brune (links) und Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN. Foto: Wisser

Größte Kostentreiber und damit verantwortlich für den massiven Anstieg der Krankenkassen-Beiträge sind die Krankenhäuser und die Medikamentenversorgung. „Die Betten in den Krankenhäusern sind zu 66 bis 70 Prozent ausgelastet“, sagte Minister Philippi. Der Rest werde subventioniert. Der Minister ist selbst Arzt und Chirurg. Er kennt die Praxis, über die er redet, und entscheidet aus eigenem beruflichen Handeln.

Diese brisanten Vorschläge wurden diskutiert

„Ist es dann nicht sinnvoller, Krankenhausbetten zu reduzieren und die ambulante Versorgung auszubauen und zu stärken?“, fragte Brune den Minister auch angesichts der Tatsache, dass Wartezeiten bei vielen Ärzten immer länger werden. Brunes Frage zielte darauf ab, ob es sinnvoll sein könnte, auch Krankenhäuser zu schließen, um den ambulanten Bereich zu stärken.

Dr. Jürgen Peter ist Vorstandsvorsitzender der größten Krankenkasse in Niedersachsen, der AOK.

Dr. Jürgen Peter ist Vorstandsvorsitzender der größten Krankenkasse in Niedersachsen, der AOK. Foto: Wisser

„Wir haben viele Ressourcen im System. Wir haben aber in bestimmten Bereichen eine Überversorgung, in anderen Bereichen eine Fehlversorgung und in wieder anderen Bereichen eine Unterversorgung“, reagierte Krankenkassen-Chef Jürgen Peter auf die Frage von Brune. Deshalb sei es auch richtig, dass das umstrittene Krankenhaus-Gesetz gestartet ist.

Zehn Prozent der Notfälle brauchen sofort Hilfe

„Es braucht auch eine bessere Steuerung der Patienten“, sagte Jürgen Peter. Einig waren sich alle, dass der Hausarzt in der Regel der erste Ansprechpartner für den kranken Menschen sein sollte. „Bei zehn Prozent der Notfalleinsätze brauchen wir die Kavallerie, der Rest hat Zeit“, sagte Philippi.

Aus Sicht der KVN müssen aber auch die Patienten dazulernen. „Wir haben das Phänomen Google. Viele fänden dort schwerste Diagnosen und rennen sofort zum Arzt, statt mit etwas Fieber einfach zu Hause zu bleiben und Fiebersaft zu trinken, so KVN-Chef Mark Barjenbruch.

Eine schlechte Nachricht für die Notfallversorgung

In diesem Zusammenhang gab es aber eine schlechte Nachricht für die Region. KVN Stade und Landkreis Stade bieten sich seit langem für ein Pilotprojekt an. Sie wollen die Notfallnummer 112 und die Telefonnummer des medizinischen Bereitschaftsdienstes 116 117 in der Rettungsleitstelle in Wiepenkathen zusammenführen. Dort sollte dann geschultes und mit regionaler Kenntnis ausgestattetes Personal entscheiden, ob der Anrufer sofort einen Rettungswagen braucht. „Wir mussten diese Leistung gerade europaweit ausschreiben“, sagte KVN-Vorstand Mark Barjenbruch. In naher Zukunft werde es keinen Pilotversuch geben.

Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN.

Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN. Foto: Wisser

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