TAue leidet unter Verstopfung: Warum 6500 Kubikmeter Sand rausmüssen
Gemeinsam für Hochwasser- und Naturschutz: Hans-Jürgen Bremer, Wilhelm Meyer, Rolf Scheibel, Michael Stöber, Gabriele Stiller und Helmut Meyer halten symbolisch ein Rohr für die Sandentnahme an der Aue in Horneburg in Händen (von links). Foto: Vasel
Der Amphibienbagger ist bereit, Druckrohrleitungen und Spülfeld zur Sandentnahme sind vorbereitet. Natur- und Hochwasser-Experten nennen die Gründe, weshalb die Aue ausgebaggert werden muss.
Horneburg. Das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet „Auetal und Nebentäler“ ist ein bedeutendes Naturschutzgebiet im Landkreis Stade. Das FFH-Gebiet ist ein wertvoller Lebensraum - unter anderem für Fischotter, Wanderfische und kieferlose Rundmäuler.
Letztere haben die Naturschützer vor allem im Blick. Schließlich kommt der Aue als Wanderkorridor und Habitat für einige besonders geschützte Arten der Neunaugen eine besondere Rolle zu. Denn Fluss- und Meerneunauge sind in Niedersachsen als anadrome, das heißt zum Laichen vom Salz- ins Süßwasser wandernde Arten auf naturnahe Flüsse und Bäche - mit Verbindung über die Elbe zur Nordsee - angewiesen.
Doch auch das mit Flussneunauge eng verwandte Bachneunauge - eine „stationäre Art“ - lebt hier. Kurzum: Von den Fließgewässern und vielfältigen Feuchtbiotopen des 752 Hektar großen Naturschutzgebiets profitieren viele seltene Tier- und Pflanzenarten - vom Moorfrosch über den Aal bis zur Meerforelle.
Verstopfung der Aue bedroht Natur und Hochwasserschutz
Doch es gibt ein Problem. Die Aue leidet unter Verstopfung. Der Fluss ist in einigen Abschnitten versandet. Seit Jahren setzen sich der Flecken Horneburg und die Angler für eine Verbesserung der aquatischen Durchlässigkeit ein.
Doch die Horneburger haben nicht nur Flora und Fauna im Blick. Es geht ihnen auch um den Hochwasserschutz. „Der Deich wächst schließlich nicht mit, wenn sich immer mehr Sand in der Aue und Lühe ablagert“, sagt der stellvertretende Oberdeichrichter Hans-Jürgen Bremer. Deshalb begrüßten auch die beiden Deichverbände und der Hochwasserschutzverband Aue/Lühe die Ausbaggerung der Aue in Horneburg.

In der Aue hat sich viel Sand abgelagert - auch auf Höhe der Brücke am Mühlenkamp im Flecken Horneburg neben den Fischteichen von Wilke. Foto: Vasel
Doch der Abschnitt liegt im FFH-Gebiet, im fernen Brüssel wacht die Europäische Union über den Schutz. Kurzum: Der Unterhaltungsverband Aue kann in diesem Bereich seines 14.534 Hektar großen Verbandsgebietes zwischen Ahrensmoor und der ehemaligen Mühle in Horneburg nicht einfach losbaggern. Die Untere Naturschutzbehörde beim Landkreis Stade musste ins Boot geholt werden.
Biodiversität
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Unterstützt vom Flecken erstellte die Biologin Gabriele Stiller aus Hamburg für den Verband ein Gutachten. Im Amtsdeutsch: FFH-Vorprüfung. Den Auftrag bekam sie im Oktober 2024.
Das Ergebnis: Durch die Sandentnahme droht „keine erhebliche Beeinträchtigung“ der Vorgaben des FFH-Gebiets, die Schutzziele sind nicht in Gefahr. Der Bereich bis zum Auedamm liegt im Fauna-Flora-Habitat-Gebiet. „Etwa 1000 Meter“, sagt die Biologin.

Strukturreicher Abschnitt an der Aue: Der Schilfgürtel verengt den Flusslauf und erhöht die Fließgeschwindigkeit. Foto: Stiller
Warum sind die starken Sandauflandungen überhaupt ein Problem? Der Wasserabfluss wird behindert. Steigende Wasserstände gefährden letztlich die Deichstabilität, so Deichverbandsingenieur Rolf Scheibel. Doch die Sandfracht beeinträchtige auch den ökologischen Zustand und die Gewässerstruktur, so die Biologin Stiller.
Der Lebensraum für aquatische Lebewesen werde „erheblich eingeschränkt“, Flora und Fauna beeinträchtigt. Ein Beispiel: Geschützte Großmuscheln sind außerordentlich selten geworden. Das habe sie bei der Kartierung in Wathose mit Harke, Kescher und Sichtkasten festgestellt.

Elektrobefischung im Vorfeld der Sandentnahme. Foto: Stiller
Damit nicht genug. Bei der Elektrobefischung an fünf Stationen nahm sie auch den Bestand von Fischen und Neunaugen unter die Lupe. Im reinen Sand kamen wenige der augenlosen, wurmartigen Larven der Neunaugen vor, so Stiller.

Flussneunauge aus der Aue. Foto: Stiller
Die Querder „leben überwiegend in ufernahen, bewachsenen Sedimentbereichen“. Der Bagger gefährde die bedrohten Rundmäuler nicht.

In der Aue leben bedrohte Arten, hier sind Neunaugen-Querder zu sehen. Foto: Stiller
Kurzum: Wasserwirtschaftlich sei die Sandentnahme auf einer Länge von insgesamt 1,9 Kilometern durch den Unterhaltungsverband Aue (UHV) notwendig - von den Fischteichen auf Höhe des Forellenhofs Wilke bis zur Marschdamm-Brücke.
Lediglich in Bereichen, in denen Schilf-Röhricht den Fluss einenge, fließe das Wasser noch schnell, in den anderen Abschnitten bleibe durch die reduzierte Fließgeschwindigkeit der Sand immer liegen. Die Sandfracht in der Aue/Lühe habe unter anderem durch die wachsende Wohnbebauung - unter anderem im Raum Harsefeld - stark zugenommen, erklärt der Geschäftsführer des UHV Aue, Wilhelm Meyer.
Sand in der Aue ist laut Labor unbelastet
Im Zuge der FFH-Vorprüfung hat die Wissenschaftlerin auch Sandproben entnommen und im Labor für Bioanalytik in Pinneberg analysieren lassen.
Das Ergebnis: Das Material ist „unbelastet“ und könne aufgrund der amtlichen Einstufung „BM-0“ bedenkenlos an Land eingebaut werden, so das Fachbüro für Biologische Kartierungen und Gutachten aus Hamburg.
Unterhaltungsverband Aue setzt auf Spezialverfahren
Doch der Deich und die Feucht- und Nassbiotope erschweren die Räumung. Deshalb hat sich der UHV Aue für ein Spezialfahrzeug und das Saugspülverfahren entschieden. Der Fluss wird mit einem amphibischen Fahrzeug (Truxor) geräumt.
Der Truxor T50 schwimmt, kann aber auch auf Ketten fahren. Das schont den Untergrund. Der T50 ist mit einer hydraulisch betriebenen Baggerpumpe mit Schneckenzuführung ausgestattet. Im Grunde handelt es sich um einen Unterwasserstaubsauger.

Bei der Ausbaggerung kommt ein Truxor zum Einsatz. Foto: Stiller
Im Bereich des Stromstrichs, so heißt unter Wasserbauern die Linie mit der maximalen Fließgeschwindigkeit an der Gewässeroberfläche, wird auf einem Drittel der Flussbreite die Aue bis zu 50 Zentimeter tief ausgebaggert - unter den Augen der Biologin.
Der Ansatz: In der künstlich angelegten schmalen Stromrinne soll die Aue wieder schneller fließen und „sich möglichst selbst freihalten“. Der Fluss ist bis zu 15 Meter breit.

Sandentnahme-Abschnitt I - zwischen Fisch Wilke und Auedamm. Foto: Stiller

Sandentnahme-Abschnitt II - zwischen Auedamm und Marschdamm. Foto: Stiller
„Das kostet uns knapp 250.000 Euro“, rechnet Verbandsvorsteher Helmut Meyer vor. Die Rücklagen sind damit aufgezehrt, ergänzt der UHV-Geschäftsführer. Der Sand wird mit einer Druckrohrleitung, sie verläuft entlang des Deichs, vom Truxor bis zum Spülfeld am Poggenpohl in Horneburg gepumpt. Der Probebetrieb soll am Donnerstag starten. Zwei Abschnitte gibt es: Mühlenkamp bis Auedamm und Auedamm bis Marschdamm. Dabei muss die Tide beachtet werden, die Aue ist hier noch tidebeeinflusst - bis zu 1,1 Meter.

Blick auf das Spülfeld für den Aue-Sand: 6500 Kubikmeter passen in das Becken westlich der K36 in Horneburg. Foto: Vasel
6500 Kubikmeter Sand werden auf dem Spülfeld eingebaut. Die Fläche liegt im Gewerbegebiet westlich der K36.
Eine Baufirma wird sich nach TAGEBLATT-Informationen mit ihrem Lagerplatz ansiedeln. Größere Hallenbauten wären in dem Bereich aufgrund einer Torfschicht von 23 Metern nur unter hohen Kosten möglich.
Lachsbesatz und Sandfänge als nächste Schritte
Seit knapp 30 Jahren hat der Unterhaltungsverband den Auelauf in dem Bereich aus Naturschutzgründen nicht mehr geräumt. Meyer und Stiller loben die enge Zusammenarbeit zwischen Natur- und Hochwasserschutz. „Das ist vorbildlich“, so der Geschäftsführer des UHV Aue, Wilhelm Meyer.
Der Landkreis Stade, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), die Ökologische Station Stade, der Angelverein sowie die Samtgemeinde und der Flecken zogen an einem Strang. Der Flecken Horneburg beteiligte sich finanziell am Gutachten.

Geschützte Teichmuschel. Foto: Stiller
Angler und Flecken-Bürgermeister Jörk Philippsen hofft jetzt, dass Maßnahmen zum Lachsbesatz folgen - unterstützt vom Landkreis Stade. Unterhalb von Ohrensen seien bereits Kiesbetten als Laich- und Aufwuchshabitate angelegt worden, weitere sollen folgen.
Des Weiteren mahnt der UHV Aue das Anlegen von Sandfängen an, um das Sediment leichter mit Baggern entnehmen zu können. Ende November 2025 soll die Sandentnahme an der Aue enden, im Dezember wird die Baustelle zurückgebaut.
Im Unterlauf wird das Ausbaggern der verschlickten und versandeten Lühe gefordert - zum Hochwasserschutz. Guderhandviertels Bürgermeister Marco Hartlef (CDU) hat den Maritimen Koordinator des Bundes, Christoph Johannes Ploß, eingeschaltet. Ab Horneburg ist die Aue/Lühe eine Bundeswasserstraße.
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