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Justiz

TBlutgeld als Ausgleich für den Tod von Mehmet S. am Stader Bahnhof?

Polizisten stürmten im März 2024 das Haus eines der fünf Angeklagten in Stade.

Polizisten stürmten im März 2024 das Haus eines der fünf Angeklagten in Stade. Foto: Vasel

Blutgeld oder Schläge als Ausgleich: Der Fall des Toten vom Stader Bahnhof gibt Einblicke in eine Parallelgesellschaft, die islamisches Recht über den Rechtsstaat stellt.

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Von Björn Vasel
Dienstag, 09.09.2025, 18:25 Uhr

Stade. Fünf Männer müssen sich aktuell vor der 3. Großen Strafkammer am Landgericht Stade für den Tod von Mehmet S. verantworten. Sie hatten den Hamburger am 21. Januar 2024 vor dem Parkhaus am Stader Bahnhof angegriffen - und lebensgefährlich verletzt. Einen Tag später starb der 44-Jährige im Elbe Klinikum.

„Sie sollen die nach der deutschen Rechtsordnung größte Strafe bekommen“, erklärte der Bruder des Opfers im Schwurgerichtssaal. Das sei der Wunsch der „gesamten Familie“. Diese leide bis heute.

Blutgeld als Ausgleich für den Tod eines Menschen

Dass die in der Türkei und in Deutschland lebende Familie des Opfers tatsächlich allein auf den deutschen Rechtsstaat setzt, das nahmen die Verteidiger ihm allerdings nicht ab. Schließlich sollen mehrere Männer nach der Tat in Antalya vier Schüsse auf den in die Türkei geflüchteten Angeklagten Yunus K. aus Stade abgegeben haben.

Bei der Hausdurchsuchung wurden Waffen sichergestellt. Die Familie K. wird von der Polizei der Clan-Kriminalität zugeordnet.

Bei der Hausdurchsuchung wurden Waffen sichergestellt. Die Familie K. wird von der Polizei der Clan-Kriminalität zugeordnet. Foto: Vasel

Außerdem habe die Familie S. von der Familie K. 450.000 Euro „als Schadenersatz für den Tod“ von Mehmet S. gefordert. Die Verteidigerin von Yunus K., Astrid Denecke, bohrte mehrfach nach. Vergeblich. Beim Thema Blutgeld blieb er wortkarg. „Davon habe ich keine Ahnung“, übersetzte der Dolmetscher.

Zeuge bringt Richter zur Weißglut

Denecke und ihr Kollege Dr. Dirk Meinicke ließen nicht locker. „Gab es Pläne, sich an der Familie K. zu rächen?“, fragte Meinicke. Selbst als die Strafverteidigerin ihn damit konfrontierte, dass einer seiner Brüder nach den Schüssen auf Yunus K. in der Türkei im Gefängnis gelandet sei, berief er sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Angehöriger des Beschuldigten. Immer wieder wich der Bruder den Fragen des Vorsitzenden Richters und der Verteidiger aus, verstrickte sich in Widersprüche oder behauptete gebetsmühlenartig, Fragen „nicht verstanden“ zu haben.

Dem Vorsitzenden Richter Marc-Sebastian Hase platzte der Kragen: „Das glaubt Ihnen doch kein Mensch, dass Sie mich nicht verstehen. Sie sind hier Zeuge, Sie müssen die Fragen beantworten oder sich auf Paragraf 55 und 52 berufen.“ Zeugen haben laut der Strafprozessordnung ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht, wenn sie Angehörige oder sich selbst belasten könnten.

Setzten Stader Großfamilien auf strafbare Paralleljustiz?

Doch der Bruder des Toten ging im Gericht auch auf seine Version der Vorgeschichte ein. Mehmet S. hatte Yunus K. im November 2023 in Horneburg mit einem Messer schwer verletzt - aus Notwehr. Denn Yunus K. habe ihn angegriffen und in den Schwitzkasten genommen. Er habe Mehmet S. auf den Kopf und ins Gesicht geschlagen.

Es kam zu Treffen der Ältesten der Familien. Familie S. soll der Familie K. angeboten haben, dass Mehmet S., so sieht es islamisches Recht als Option vor, „als Ausgleich für die Verletzung von Yunus geschlagen werden darf“. Der Vorsitzende Richter konfrontierte den als Zeuge geladenen Nebenkläger mit seiner Aussage vor der Polizei. Doch im Gericht gab er an, sich nicht zu erinnern.

Polizeisprecher Rainer Bohmbach steht im Januar 2024 am Tatort, links ist das Parkhaus am Bahnhof zu sehen.

Polizeisprecher Rainer Bohmbach steht im Januar 2024 am Tatort, links ist das Parkhaus am Bahnhof zu sehen. Foto: Vasel

Konkrete Erinnerungen hatte der Zeuge hingegen bei anderen Fragen. Die Stader Familie K. habe seiner Familie unterschwellig gedroht. Das Familienoberhaupt habe seiner Familie mitgeteilt, dass er „die jungen Menschen nicht unter Kontrolle halten kann“.

Von der Großfamilie K. in der Türkei seien hingegen Signale gekommen, dass sie Mehmet S. nicht schaden wolle. Es habe trotzdem „telefonische Drohungen“ gegeben. „Wir werden Euch alle töten, Ihr seid unter Beobachtung“, habe der Anrufer gesagt. Familie K. habe nach seinem psychisch kranken Bruder Mehmet gesucht.

Brutale Gewalt bis der Schädel bricht

Letztlich hätten die Angeklagten ihr Opfer Mehmet S. am 21. Januar 2024 am Stader Bahnhof gestellt und niedergeschlagen. Dieser zog sich Knochenbrüche im Kopfbereich zu. Das Felsenbein, härtester Knochen des menschlichen Schädels, brach.

Der Rechtsmediziner und Neuropathologe Dr. Jakob Matschke vom Universitätsklinikum Eppendorf kam als Gutachter zum Schluss, dass ein Sauerstoffmangel-Schaden die Haupttodesursache sei. Mehmet S. war nach dem Aufprall auf die Straße sowie Schlägen und Tritten komatös. Blut konnte er nicht mehr aushusten, es verstopfte die Atemwege. Das Gehirn wurde nicht mehr ausreichend versorgt. Medizinische Hilfe war „aussichtslos“.

Zwei der fünf Angeklagten sprachen der Familie S. ihr „tiefes Beileid“ aus, andere grinsten während der Aussage des Zeugen, klagte dieser.

So geht es weiter

Der Prozess wird am Montag, 15. September, 9.15 Uhr, fortgesetzt.

Der Tote vom Stader Bahnhof: Eine Chronik

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