TDiese BSV-Legende ist jetzt Quereinsteigerin – aber ohne Handball kann sie nicht

Natasche Kotenko trainiert die weibliche A- und B-Jugend bei der JSG Fredenbeck/Stade. Foto: Jörg Struwe
Die frühere Bundesliga-Handballerin und Jugendtrainerin Natascha Kotenko verabschiedete sich im letzten Jahr vom Buxtehuder SV. Sie wollte nicht mehr jeden Abend und jedes Wochenende in der Sporthalle verbringen. Das ist ihr nur zum Teil gelungen.
Landkreis. Natascha Kotenko will nicht missverstanden werden. „Der BSV war nicht nur mein Job, sondern mein Leben“, sagt die 49-Jährige. Kotenko kam im 2000 zum BSV, warf fast 600 Tore in der Bundesliga und trainierte nach ihrer Karriere den Handball-Nachwuchs des Vereins. Doch im vergangenen Jahr war Schluss. „Nun ist Zeit für etwas Neues“, sagte sie.
Es war ein schmerzhafter Abschied. Auch rund ein Jahr nach der Bekanntgabe der Entscheidung sagt Kotenko, dass sie zum einen den Verein und die Menschen dort vermisse. Zum anderen war da auch der Wunsch, nicht mehr jeden Abend und jedes Wochenende in der Sporthalle zu verbringen. „Ich war mein ganzes Leben im Leistungshandball. Das hat sehr viel Energie gekostet“, sagt Kotenko. Im April wird sie 50 Jahre alt.
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Erstliga-Debüt mit 16
Begonnen hat ihre Karriere in Saporischschja, der „Handball-Hauptstadt“ der Ukraine, wie sie sagt. Mit 16 debütierte Kotenko in der ersten Liga ihres Heimatlandes und gewann drei Meisterschaften. 1996 ging sie mit ihrem heutigen Mann Igor nach Ungarn. Doch weil der sich schwer verletzte und sein Verein Bankrottging, zogen sie weiter nach Deutschland. Zuerst nach Bad Hersfeld, ein Jahr später nach Buxtehude.
Nach ihrer Karriere und 17 Länderspielen für die Ukraine war Kotenko viele Jahre hauptamtliche Jugendtrainerin beim BSV. Im vergangenen Jahr bewarb sie sich schließlich als Sportlehrerin und wurde als Quereinsteigerin an einer Hamburger Stadtteilschule eingestellt. Jetzt unterrichtet sie Sport, ist zweite Lehrkraft im Musikunterricht und betreut die Kinder und Jugendlichen in speziellen Lernzeiten.
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Kotenko will Schüler motivieren
Da in Hamburg ein Lehrermangel herrscht, sind viele Schulen auf Quereinsteigerinnen wie sie angewiesen. In der Ukraine hat Kotenko Vorschulpädagogik und Psychologie studiert. Lange her. Durch Fortbildungen und Hospitationen lernt sie nun viel dazu.
Aber es ist eine Umstellung. Früher trainierte Kotenko in einer der renommiertesten Talentschmieden des deutschen Handballs. Die jungen Sportlerinnen und Sportler investierten viel, um ihren Traum vom Leistungshandball zu verwirklichen. Heute hat sie im Sportunterricht auch mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die außer in der Schule überhaupt keinen Sport treiben, denen sie grundlegende Übungen und Begriffe erklären muss. „Das motiviert mich, sie für den Sport zu begeistern“, sagt Kotenko.
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JSG-Talente geben viel
Doch ganz ohne Handball geht es nicht. Seit dieser Saison trainiert Kotenko nach Feierabend die weibliche A- und B-Jugend der JSG Fredenbeck/Stade. Ein ambitioniertes Projekt. Die Handballsparten vom VfL Fredenbeck und VfL Stade gründeten die JSG, um die Nachwuchsarbeit zu optimieren. Erklärtes Ziel ist die Jugend-Bundesliga.

Natascha Kotenko: „Ich war mein ganzes Leben im Leistungshandball. Das hat sehr viel Energie gekostet.“ Foto: Jörg Struwe
Vergleiche mit ihrem früheren Arbeitgeber mag Kotenko nicht ziehen - und sie sind wohl auch überflüssig. Die Mädchen in Buxtehude hätten bis zu vier Trainingseinheiten mehr in der Woche und verzichteten auf vieles zugunsten des Handballs, sagt Kotenko. Aber auch in der JSG werde strukturiert gearbeitet, sagt sie, und auch dort würden die Mädchen einen großen Aufwand betreiben.
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Kotenkos Zukunft offen
Ihre A-Jugend steht derzeit auf dem vorletzten Platz der Oberliga, die B-Jugend ist Vierter und träumt von der B-Jugend-Bundesliga, die in der kommenden Saison erstmals ausgespielt wird. Wie es für Kotenko nach der Saison weitergeht, steht noch nicht fest. Das hängt auch davon ab, ob sie an der Schule weiterbeschäftigt wird.
Zu Hause versucht Kotenko, vom Handball abzuschalten. „Am Wochenende bin ich oft so müde, dass ich etwas anderes machen möchte“, sagt sie. Ihr Mann Igor, der ebenfalls für die Ukraine spielte, ist inzwischen nicht mehr in der Herrenmannschaft des BSV aktiv. Sohn Arsenij (18), ein 2,06 Meter großes Torwarttalent, spielt bei der SG Hamburg-Nord in der A-Jugend-Bundesliga. Deutschland ist für die Familie Heimat.
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Mutter noch in der Ukraine
Doch Kotenko blickt auch mit Sorge auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. „Das ist ein großer Schmerz, ganz schwierig zu beschreiben“, sagt sie. Sie und ihr Freundeskreis haben schon vielen Geflüchteten geholfen, um sich in Deutschland einzuleben. Aber ihre eigene Mutter wolle wie viele ältere Menschen die Ukraine nicht verlassen. Vor fünf Jahren haben sie sich das letzte Mal getroffen.
Natascha Kotenko hofft, dass die junge Generation lernt, dass Krieg das Schlimmste sei. Mut machen ihr die vielen Kollegen, Kinder und Jugendlichen aus verschiedenen Ländern an der Hamburger Schule. „Das zeigt, dass ein friedliches Miteinander möglich ist.“