Zähl Pixel
Pflegeheim

TÜberraschung im Abschiebe-Ärger: Hilfe von höchster Stelle

Die Heimbetreiber Andrea Wohlmacher und Tino Wohlmacher kämpfen gegen die drohende Abschiebung der Beschäftigten ihrer Pflegeeinrichtung Haus Wilstedt.

Die Heimbetreiber Andrea Wohlmacher und Tino Wohlmacher kämpfen gegen die drohende Abschiebung der Beschäftigten ihrer Pflegeeinrichtung Haus Wilstedt. Foto: Sina Schuldt/dpa

Ein Internetpost zieht weite Kreise: Sie wollten den Ministerpräsidenten und bekommen noch prominentere Unterstützung. Karl Lauterbach springt Heimleitung und Pflegekräften in Wilstedt bei.

Von Helen Hoffmann und Ernst Matthiesen Mittwoch, 27.11.2024, 17:05 Uhr

Wilstedt. Im Kampf gegen die drohende Abschiebung von kolumbianischen Pflegekräften bekommt ein Heim im niedersächsischen Wilstedt Unterstützung aus dem Bundesgesundheitsministerium. „Die Bundesregierung ist im Kontakt mit den Landesbehörden, um sich für das Pflegeheim in Wilstedt einzusetzen“, teilte ein Ministeriumssprecher in Berlin auf dpa-Nachfrage mit. Demnach wolle Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Petition gegen die Abschiebung der Mitarbeiter entgegennehmen.

„Der Termin für die Übergabe ist in Klärung“, schrieb der Sprecher. Möglicherweise würden Vertreter des Pflegeheims aus dem Landkreis Rotenburg dafür auch nach Berlin kommen. Am Dienstagabend hatte Lauterbach via X Stellung bezogen. „Ich habe von diesem Fall bisher noch nicht gehört, werde mich aber darum kümmern“, schrieb der Gesundheitsminister.

„Ich finde es großartig, dass Herr Lauterbach sich kümmern will“, sagte Anne Weiss von der Angehörigeninitiative des Heims. „Wir freuen uns sehr, dass er die Petition entgegennehmen wird.“ Die Problematik betreffe viele Geflüchtete und Unternehmen.

Wegen der drohenden Abschiebung von Pflegekräften fürchten die Betreiber eines Pflegeheims in Wilstedt im Landkreis Rotenburg um die Existenz des Hauses. (Archivbild)

Wegen der drohenden Abschiebung von Pflegekräften fürchten die Betreiber eines Pflegeheims in Wilstedt im Landkreis Rotenburg um die Existenz des Hauses. (Archivbild) Foto: Sina Schuldt/dpa

Rund 54.000 Unterschriften gegen Abschiebung

Die Online-Petition mit dem Titel „Stoppt die Abschiebung der Pfleger im Haus Wilstedt! Rettet das Zuhause unserer demenzerkrankten Mütter, Väter & Ehepartner!“ haben inzwischen rund 54.000 Menschen unterschrieben.

Nach Angaben des Heims droht zehn kolumbianischen Beschäftigten, die vor allem im Pflegebereich arbeiten, wegen abgelehnter Asylanträge die Abschiebung. Die Leitung sieht den Betrieb der Einrichtung für demenzkranke Menschen in Gefahr.

Um die drohende Abschiebung zu verhindern, hatten Heimleitung, Belegschaft sowie Angehörige ein Schreiben an verschiedene Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker verschickt. Sie wollten die Petition an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Innenministerin Daniela Behrens und Gesundheitsminister Andreas Philippi (alle SPD) übergeben, doch eine Möglichkeit dafür gab es bislang nicht, wie Weiss sagte. „Das Büro von Ministerpräsident Weil hat telefonisch abgesagt, er habe keine Zeit“, hatte sie zuvor erklärt.

Für Donnerstagnachmittag ist nun jedoch ein Termin im niedersächsischen Innenministerium geplant - ohne die Anwesenheit der Innenministerin oder des Gesundheitsministers. Die Übergabe der Petition sei daher nicht vorgesehen. Das Innenministerium ist nach eigenen Angaben im Kontakt mit der örtlich zuständigen Ausländerbehörde, um die rechtlichen Gegebenheiten in den Einzelfällen und mögliche Handlungsoptionen zu klären.

Härtefallanträge gestellt

Weiss zufolge wurden in zwei Fällen Härtefallanträge gestellt. Eine Entscheidung darüber sei bislang nicht bekannt. Für die acht anderen Betroffenen sollen ebenfalls Härtefallanträge gestellt werden. Alle hätten Einspruch gegen die Abschiebung eingelegt. Die Betroffenen, die überwiegend als Pflegehelferinnen und -helfer in dem Heim arbeiten, sind seit rund zwei Jahren im Haus Wilstedt beschäftigt.

Besuch aus der Landeshaupststadt

Nachdem Marco Mohrmann (CDU) schon einige Tage zuvor das Pflegeheim besuchte und seine Unterstützung versprach, machten sich am Dienstagabend die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Djenabou Diallo-Hartmann, sowie der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Detlev Schulz-Hendel, ein Bild von der Situation vor Ort.

Stolz zeigt Andre Garcias den beiden Politikern aus Hannover Fotos von sich und seiner Familie sowie der Wohnung in Wilstedt.

Stolz zeigt Andre Garcias den beiden Politikern aus Hannover Fotos von sich und seiner Familie sowie der Wohnung in Wilstedt. Foto: Ernst Matthiesen

Auch Andres Garcia, einer der zehn von der Abschiebung betroffenen Kolumbianer, kommt kurz dazu und beantwortet Fragen der beiden Regierungspolitikern. Er betont, dass er kein Geld vom Staat bekommt, sondern im „Haus Wilstedt“ ganz normal arbeitet und genauso Steuern und Sozialabgaben bezahlt wie alle anderen, die hier arbeiten.

Pflegehelfer hat Angst, in Kolumbien getötet zu werden

Dann zückt Andres Garcia sein Handy und zeigt den Politikern stolz seine Familie und die Wohnung in Wilstedt. Nach Kolumbien will er nicht zurück, erklärt er - zu groß sei die Angst, dort getötet zu werden. Doch dann hat er keine Zeit mehr, schließlich ist Abendbrotzeit und die Bewohner warten schon. Später erklärt Tino Wohlmacher zum Erstaunen der beiden Politiker aus Hannover, dass sich die örtliche Politik bisher noch nicht bei ihm gemeldet hat. „Der Samtgemeindebürgermeister hat bisher weder angerufen, noch ist er vorbeigekommen und hat sich informiert, obwohl wir einer der größten Arbeitgeber der Gemeinde sind“, bedauert der Heimleiter.

Für die beiden Grünen-Politiker ist das genauso unverständlich wie das Verhalten der zuständigen Ausländerbehörde, die in diesem Fall nur nach Aktenlage entschieden hat. „Das ist scheinbar Praxis, denn mich erreichen mittlerweile viele Anrufe von anderen Betrieben, bei denen es ähnlich gelaufen ist“, erklärt Tino Wohlmacher den beiden Politikern.

Internationales Fernsehen kündigt sich an

Zum Ende des Besuchs machte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen dem Betreiberpaar zwar keine große Hoffnung auf eine sofortige Lösung - sie versprach aber, sich um die verfahrene Situation zu kümmern und empfahl auf alle Fälle die Härtefallkommission anzurufen. „Dass wir in Deutschland dringend Pflegekräfte brauchen, ist hinlänglich bekannt. Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, diejenigen Arbeitskräfte, die wir bereits haben, abzuschieben“, stimmt Detlev Schulz-Hendel seiner Kollegin zu.

Für Sabine und Tino Wohlmacher steht jedenfalls fest, dass es richtig ist, sich stark zu machen und zu protestieren. „Jetzt will sogar ein internationaler TV-Sender eine Doku über uns drehen“, freuen sich die beiden. Für sie ist klar: „Wir werden erst Ruhe geben, wenn unsere zehn kolumbianischen Arbeitskräfte bei uns bleiben können und das Heim gerettet ist.“ (mit dpa)

Weitere Artikel