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Ärztemangel

TEinzigartig: Kinderarztpraxis auf dem Land zieht sogar Oberarzt aus München an

Eine Kinderarztpraxis wie aus dem Bilderbuch: In Nordholz wandeln kleine Patienten passend zur nahen Nordsee auf dem Meeresgrund.

Eine Kinderarztpraxis wie aus dem Bilderbuch: In Nordholz wandeln kleine Patienten passend zur nahen Nordsee auf dem Meeresgrund. Foto: Leuschner

Kinderärzte sind in der Region rar. Eine Praxis aus dem Stader Nachbarkreis stemmt sich gegen den Trend. Ab August wird Praxisgründer Michael Scheel drei Kollegen beschäftigen – auch einen Kinderkardiologen aus München. Das ist sein Geheimnis.

Von Heike Leuschner Montag, 11.03.2024, 08:50 Uhr

Nordholz. Michael Scheel öffnet die Tür zu seiner Praxis. Schildkröten, Delfine, Rochen und ein Wal schweben unter der Decke. LED-Leuchten simulieren mit ihren Farben Wasserbewegungen, im großen Wartezimmer tummeln sich hinter einem 2,50 Meter breiten Aquarium rund 100 echte Meeresbewohner. Bis in die neun Behandlungszimmer hinein ist fast alles maßangefertigt. Gemeinsam mit seinem Bruder, einem Industriedesigner, hat Scheel eine Umgebung geschaffen, die Patienten und Praxisteam begeistern und neue Mitarbeiter anziehen soll.

Michael Scheel ist stolz auf die Entwicklung seiner Praxis „Kinderarzt Cuxland“: „Ende März endet der Aufnahmestopp, dann werden wir die Zahl unserer Patienten weiter aufstocken.“

Michael Scheel ist stolz auf die Entwicklung seiner Praxis „Kinderarzt Cuxland“: „Ende März endet der Aufnahmestopp, dann werden wir die Zahl unserer Patienten weiter aufstocken.“ Foto: Leuschner

Vor einem halben Jahr ist der 44-Jährige von seiner 120-Quadratmeter-Praxis in Wremen nach Nordholz umgezogen. Hinter denkmalgeschützten Mauern betreibt er seine fantasievolle 600-Quadratmeter-Kinderarzt-Praxis „Kinderarzt Cuxland“. Einige Eltern kommen mit ihren Kindern sogar aus Nordrhein-Westfalen und aus dem Landkreis Stade zu ihm. „Nicht in akuten Fällen, aber zu Vorsorgeuntersuchungen“, erklärt Scheel.

Mit rund 600 Quadratmetern Fläche in diesem denkmalgeschützten Gebäude ist die Praxis „Kinderarzt Cuxland“ die größte Kinderarztpraxis im Kreis Cuxhaven.

Mit rund 600 Quadratmetern Fläche in diesem denkmalgeschützten Gebäude ist die Praxis „Kinderarzt Cuxland“ die größte Kinderarztpraxis im Kreis Cuxhaven. Foto: Heike Leuschner

Andrang in der neuen Praxis für einen Arzt zu groß

Von Anfang an war die Praxis für mehrere Kinderärzte konzipiert. Für die Anfangszeit hoffte Scheel, den Andrang allein bewältigen zu können. Ein Trugschluss. „Es gibt kaum noch Alternativen“, erklärt er mit Blick auf die ausgedünnte Kinderärzte-Landschaft im Landkreis Cuxhaven und in Bremerhaven.

Nach Auskunft der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) gibt es aktuell neun Kinder- und Jugendärzte im Landkreis Cuxhaven. Vier Stellen sind derzeit unbesetzt.

„Der Versorgungsgrad liegt bei 79,1 Prozent“, sagt KVN-Sprecher Detlef Haffke. „Damit ist der Landkreis Cuxhaven der Landkreis in Niedersachsen mit dem höchsten Bedarf und hat Cloppenburg an der Spitze abgelöst.“ Der Vorstand der KVN werde in naher Zukunft darüber entscheiden, ob die Niederlassung eines Kinder- und Jugendarztes im Landkreis Cuxhaven finanziell gefördert wird.

Scheel musste bereits im November die Notbremse ziehen und mit einem Aufnahmestopp für neue Patienten reagieren. Mit rund 1800 Patienten und etwa dreimal so vielen Patientenbesuchen im Quartal habe er über seine Grenzen hinaus gearbeitet. „Ich dachte, wir bekommen alles hin“, sagt er. „Aber ich kann nur eine begrenzte Anzahl an Patienten am Tag angucken.“

Scheel: Manchmal 40 Kinder ohne Termin an einem Tag weggeschickt

Manchmal habe er 40 Kinder ohne Termin an einem Tag wegschicken müssen. Trotzdem habe sein Praxistag oft 14 Stunden umfasst. „Die Terminplanung sieht so aus: wenn wir online keinen Termin mehr haben, ist mein Tag voll geplant, aber noch kein Patient eingebaut, der ohne Termin kommt und dringend angeschaut werden muss.“

Statt bis 18 Uhr habe er bis 19.30 Uhr weitergearbeitet, weil zwölf Kinder so eingeschätzt wurden, dass sie akut behandelt werden müssen. „Trotzdem haben wir Kinder weggeschickt, bei denen ich als Arzt innerlich sage, eigentlich müssten sie bleiben.“

„Kinderarzt Cuxland“ besteht seit Februar aus zwei Ärzten

Seit Anfang Februar beschäftigt Scheel mit Thomas Lunden einen weiteren Kinderarzt. Nach der Einarbeitungszeit – Ende März – möchte er den Aufnahmestopp aufheben. Scheel strahlt: „Es wird besser – ab August sind wir zu viert.“ Drei Kinderärzte und eine Assistenzärztin für Kinder- und Jugendmedizin in Teilzeit, die er selbst weiter ausbilden wird.

Vier Kinderarztsitze inklusive des eigenen zu besetzen, entspricht Scheels Plan. Dass er diesem Ziel innerhalb von elf Monaten so nahe kommen würde, war angesichts der allgemeinen kinderärztlichen Entwicklung in Deutschland nicht unbedingt zu erwarten. Doch der Kinderarzt glaubt an seine Vision.

Scheel: Ab August Kinderkardiologe aus München an Bord

Scheel betont, dass er auch deshalb rund 1,2 Millionen Euro in den Ausbau seiner Praxis investiert habe, „um den latent unzufriedenen Oberarzt aus Süddeutschland nach Nordholz zu holen“. Dass ihm genau dieser Coup offenbar gelungen ist, bestätigt ihn in seiner Marketingstrategie. Gerade sucht er für einen Kinderherzspezialisten aus München und dessen Familie ein Haus. Außerdem möchte er für den neuen Kollegen in seiner Nordholzer Praxis einen Kompetenzbereich Kinderkardiologie aufbauen.

Praxismanagerin Marie Ahrens unterstützt Michael Scheel in seiner Praxis. Ab August werden hier voraussichtlich vier Mediziner arbeiten.

Praxismanagerin Marie Ahrens unterstützt Michael Scheel in seiner Praxis. Ab August werden hier voraussichtlich vier Mediziner arbeiten. Foto: Heike Leuschner

Scheel sieht sich indessen nicht mehr nur als Mediziner, sondern auch als Unternehmer. Er plant, künftig mehr im Hintergrund zu arbeiten, um Unternehmensabläufe für seine Beschäftigten noch besser zu strukturieren. So will er eine Lernakademie für seine – bislang 9 – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufbauen. Vom Impfen über die Bedienung medizinischer Geräte bis zu allgemeinen Abläufen will er (Lehr-)Videos produzieren. „So lassen sich alle Standards auf hohem Niveau festsetzen. Das hebt die Qualität und macht Einarbeitung effizient.“

Parallel ist er weiterhin auf der Suche nach Medizinischen Fachangestellten. Auch über die Bewerbung von Medizinern würde er sich nach wie vor freuen.

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