TErzieher verdienen schlecht? Sechs Mythen der Kita-Krise im Faktencheck

Kita-Personal ist Mangelware. Auch ein großes, buntes Plakat hilft da oft nicht. Foto: Arne Dedert/dpa
Seit Jahren gelingt es nicht, ausreichend Kita-Personal auszubilden. Warum? Mythen, überraschende Fakten und die Lage im Landkreis Stade.
Buxtehude. Seit 1996 haben Kinder ab drei Jahren einen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz, seit 2013 gilt dies auch für Kinder ab einem Jahr.
Trotz intensiver Bemühungen der Kommunen und Planer, die Kitas auszubauen und den Bedarf zu decken, herrscht nahezu überall ein Mangel an Erzieherinnen und Erziehern sowie an Sozialpädagogischen Assistentinnen und Assistenten. Über die Gründe dafür gibt es viele Annahmen. Doch stimmen sie überhaupt?
Mythos Nr. 1: Junge Menschen haben kein großes Interesse mehr, in der Kita zu arbeiten
Im Gegenteil: Die Zahl der Kita-Mitarbeiter in Niedersachsen hat sogar stark zugenommen. Heute sind es 63.990 - rund 77 Prozent mehr als 2011. Doch der Bedarf an Betreuungsplätzen und -zeiten hat ebenfalls stark zugenommen. So stark, dass er nicht gedeckt werden kann.
2009 besuchten nur 12 Prozent der Kinder unter drei Jahren eine Kita oder Tagespflege, 2022 waren es schon rund 34 Prozent. Einen Schub bekam die Nachfrage auch durch die Einführung der Beitragsfreiheit ab dem Elementarbereich in Niedersachsen 2018.Mythos Nr. 2: Aus demografischen Gründen wird die Personal-Nachfrage bald sinken
Wie berichtet, erwartet der Planer des Landkreises in den kommenden Jahren, dass der Bedarf in einigen Orten tatsächlich nachlässt, weil weniger Kinder geboren werden. Gleichzeitig gehen jedoch viele pädagogische Fachkräfte aus der Babyboomer-Generation in Rente.
Zudem besteht noch Spielraum, den Personalschlüssel zu erhöhen, um die Qualität der frühkindlichen Bildung zu sichern oder zu verbessern.Mythos Nr. 3: In der Kita verdient man schlecht
Falsch. Tariflich bezahlte Erzieher im öffentlichen Dienst verdienen ein Einstiegsgehalt von rund 3300 Euro brutto, das mit langjähriger Berufszugehörigkeit auf bis zu 4400 Euro steigen kann. Sozialpädagogische Assistenten verdienen beim Berufseinstieg 2924 Euro brutto, nach langjähriger Berufszugehörigkeit bis zu 3634 Euro.Mythos Nr. 4: Es geht nur eins zur Zeit - Ausbildung oder Abitur
Stimmt nicht. Wer will, kann in Niedersachsen jetzt gleichzeitig sein Abitur und einen Berufsabschluss als Sozialpädagogischer Assistent (SPA) machen. In der BBS II in Stade (Jobelmannschule) startet im Sommer der erste Jahrgang: der doppelt qualifizierende Bildungsgang im Beruflichen Gymnasium Gesundheit und Soziales, Schwerpunkt Sozialpädagogik.
Personalmangel
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Während der drei Jahre ab Klasse 11 müssen auch 300 Praxisstunden geleistet werden. Dafür ermöglicht der Doppel-Abschluss neben dem Zugang zu jeder Hochschule einen direkten Einstieg in den Erzieher-Beruf sowie Verkürzungsmöglichkeiten in der Weiterbildung.Mythos Nr. 5: Die Ausbildung wird nicht bezahlt
Das stimmt nur teilweise. Eine reguläre Ausbildungsvergütung gibt es zwar nicht, weil die Ausbildung nicht betrieblich ist, sondern schulisch mit Praxis-Teilen in Einrichtungen - doch es gibt finanzielle Förderungen.
Bisher gab es in den Kommunen im Kreis Stade unterschiedliche Modelle, jetzt wurde eine einheitliche Förderung vereinbart: Ab Sommer 2024 können angehende SPA ab dem zweiten Jahr mit einem Stipendium über 520 Euro pro Monat gefördert werden.
„Die Hürde eines ersten Jahrs ohne Vergütung ist hoch“, sagt die Buxtehuder Jugendamtsleiterin Andrea Lange-Reichardt. Deshalb bietet Buxtehude die Stipendien schon ab dem ersten SPA-Ausbildungsjahr an.
Absolventen bekommen eine Vergütung von 1250 Euro pro Monat, wenn sie direkt im Anschluss an die Ausbildung die Erzieher-Fachschule besuchen. Sind sie bereits berufstätig, erhalten sie 1650 Euro pro Monat. Dieter Janzen, Leiter der Jobelmannschule, weist außerdem darauf hin, dass es auch möglich ist, Meister-Bafög zu beantragen.Mythos Nr. 6: Eine Teilzeit-Ausbildung ist nicht möglich
Doch, ist sie - nur nicht im Landkreis Stade. An den Berufsbildenden Schulen in Cuxhaven und Buchholz können SPA- und Erzieher-Ausbildung berufsbegleitend in Teilzeit absolviert werden.
Die Auszubildenden arbeiten während der Ausbildung in einer Kita. Die zweijährige Ausbildung wird auf drei Jahre gestreckt, dafür aber vergütet. Der Träger der Kita kann dafür bis zu 20.000 Euro im Jahr Zuschüsse bekommen.

Landtagsabgeordnete Corinna Lange (SPD). Foto: Strüning
Die SPD-Landtagsabgeordnete Corinna Lange hat diese Ausbildung selbst als junge Alleinerziehende in Cuxhaven absolviert. Sie kämpft dafür, diese Möglichkeit bekannter zu machen, um sie auch im Kreis Stade anzubieten.
Wo es bei der Ausbildung trotzdem noch hakt
„Es gibt für die Teilzeitausbildung zu wenige Bewerberinnen und Bewerber“, sagt Dieter Janzen. Die BBS hatten alle Träger und Kitas per Post über die Teilzeitausbildung informiert und zwei Info-Veranstaltungen für Interessenten auf die Beine gestellt. Am Ende habe es aber nur drei bis fünf Bewerbungen gegeben.
Janzen denkt, dass das demografische Gründe hat. Den Mangel an Fachkräfte-Nachwuchs gebe es ja in allen Sparten. „Wir arbeiten erst ab 22 Schülern pro Klasse budgetdeckend“, erklärt Janzen.

Carsten Schröder, Leiter der BBS Buxtehude. Foto: Wisser
Sein Kollege Carsten Schröder von der BBS Buxtehude würde in Buxtehude gerne SPA ausbilden, ob in Teilzeit oder Vollzeit. Aus der Buxtehuder Politik gab es dazu schon zwei Mal Anträge im Kreistag. Doch der Landkreis sieht das Risiko, dass die Klassen an beiden Standorten dann nicht voll werden.
Könnte Buxtehude den Klebe-Effekt nutzen?
Corinna Lange sieht die Sache anders. Sie hat mitbekommen, dass viele Buxtehuder zur Ausbildung an eine der Hamburger Fachschulen gehen und dort bleiben. Das wird häufig Klebe-Effekt genannt: Azubis bleiben nicht selten an dem Ort, wo sie ihre Ausbildung absolviert haben.
Lange würde diesen Effekt lieber für den Kreis Stade nutzen. Bei einer Ausbildung in Buxtehude mit Praxis-Teil in örtlichen Kitas würden sicherlich einige Kräfte bleiben, ist Lange überzeugt.
Berufsschulleiter Schröder denkt, dass es schwierig wird, für den Start 22 Schüler zu finden, um budgetneutral arbeiten zu können. Aus seiner Sicht wäre Hannover gefragt, einen finanziellen Anschub zu geben, um den Start auch mit weniger Schülern zu ermöglichen. Mit Blick auf eine SPA-Klasse in Buxtehude sagt er: „Ich bin der Meinung, wir sollten es einfach mal wagen.“