THäufigste Straftaten: Fünf Erkenntnisse über Verbrechen im Kreis Stade

Streife in der Fußgängerzone: Die Polizei hat jüngst die Präsenz in der Stader Innenstadt erhöht. Foto: Polizei
Angriffe in der Stader City, Diebstähle allerorten, Messergewalt unter Jugendlichen - für viele Bürger im Landkreis „wird es immer schlimmer“. Doch: Stimmt das überhaupt? Das sagt die Polizei.
Landkreis. Das Gefühl der Unsicherheit vieler Menschen im Landkreis Stade passt nicht zur tatsächlichen Entwicklung der Kriminalität. „Wir leben in einer sicheren Region“, sagt Polizeioberrat Martin Kaliebe, Leiter des Zentralen Kriminaldienstes der Polizeiinspektion Stade, im Bericht zur Stader Kriminalitätsstatistik (PKS) für das vergangene Jahr.
Dieser zeigt in der Tat einen Rückgang bei den Fallzahlen: Demnach wurden im Bereich der Polizeiinspektion 2024 insgesamt 10.013 Straftaten statistisch erfasst. Dies bedeutet einen Rückgang von 1247 Taten (minus 11 Prozent) im Vergleich zum Jahr 2023. „Auf Landesebene kann die Polizeiinspektion Stade den dritthöchsten prozentualen Rückgang der Fallzahlen aller Polizeiinspektionen verzeichnen“, heißt es in der am Mittwoch vorgelegten PKS.
Eine geringere Gesamtzahl an Verbrechen habe es in den vergangenen zehn Jahren zuletzt nur im Noch-Corona-Jahr 2021 gegeben.

Der Zehn-Jahres-Verlauf der erfassten Straftaten und der Aufklärungsquote in der Polizeiinspektion Stade. Foto: Polizeiinspektion Stade
Einschränkung: Die Jahresstatistik berichtet zum einen nur über angezeigte Straftaten, zum anderen werden die Delikte nach Abschluss der Ermittlungen erfasst. Die Polizei selbst spricht von einer „Annäherung an die Realität“, wegen möglicher Dunkelziffern nicht von einem getreuen Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit.
Das TAGEBLATT hat die Zahlen durchforstet. Eine Auswahl, was auffällt:
(1) Mord und Totschlag im Landkreis Stade
Bei den „Straftaten gegen das Leben“ verzeichnet die PKS wie im 2023 auch im vergangenen Jahr fünf Fälle, wobei es sich bei zwei Taten um versuchte Tötungen handelte, erklärt Rainer Bohmbach, Sprecher der Polizei Stade.
Zu den Mordfällen zählen dabei noch die tödlichen Schüsse in „Renas Grill“ im September 2022. Die Ermittlungen dazu seien - statistisch gesehen - erst 2024 abgeschlossen worden, so Bohmbach. Ein 23 Jahre alter Imbissmitarbeiter wurde erschossen, der Täter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Ebenfalls bereits mit einem Urteil abgeschlossen ist die Bluttat von Fredenbeck im April 2024. Der Täter, der in Eifersucht einen Familienvater in dessen Haus brutal niedergestochen hatte, ist als schuldunfähig in die Psychiatrie eingewiesen worden.
Bislang nicht bekannt war ein tödlicher Arbeitsunfall in einem Harsefelder Recyclingbetrieb am 28. März vergangenen Jahres. Dort war ein Mann während der Arbeiten an einer Altpapierpresse mit dem Kopf in den Greifer eines Baggers geraten und noch vor Ort an der Schwere seiner Kopfverletzungen verstorben. Die Ermittlungen ergaben schließlich den Tatbestand der fahrlässigen Tötung durch den Arbeitskollegen.
Der auf offener Straße ausgetragende Clan-Streit am Stader Hafen zählt wegen des laufenden Verfahrens noch nicht in die Statistik. Auch am Parkhaus am Stader Bahnhof wurde ein Mann Opfer einer „Blutrache“, das Verfahren gegen sechs Tatverdächtige aus dem Clan-Milieu ist noch nicht abgeschlossen - auch weil sich einer der beiden mutmaßlichen Haupttäter ins Ausland abgesetzt habe, teil die Polizei mit.
(2) Gibt es immer mehr Gewalttaten?
Mit insgesamt 1950 „Rohheitsdelikten“, darunter fallen Raub, Bedrohung, Erpressung und Körperverletzungen, wird ein geringer Anstieg um 2 Prozent benannt (2023: 1909 Taten). Der Blick in die Details verrät jedoch: Die schwerwiegenden Gewaltexzesse nahmen in Summe ab, Verbrechen wie Bedrohungen (418 Taten), Nötigung (100) oder Stalking (32) indes zu. Die PKS verzeichnet dabei eine Körperverletzung mit Todesfolge im Landkreis Stade.
Bei Raubtaten auf der Straße oder öffentlichen Plätzen ergibt sich übergreifend eine Abnahme von 33 Prozent auf 76 Taten. 60 Prozent der Raubfälle konnten aufgeklärt werden. Körperverletzungen stiegen um knapp 2 Prozent auf 1307 an, darunter 310 schwere Taten. Hier lag die Aufklärungsquote bei 92 Prozent.
Messergewalt stieg landkreisweit an. 75 Taten mit Stichwaffe - laut Bohmbach ausnahmslos Messer - sind registriert. Das ist ein Anstieg von 19 Prozent, „insbesondere bei Bedrohungen“, heißt es weiter.
Nach Solingen-Anschlag
T Messerverbot? Flüchtlingsgewalt? Das sagt die Polizeistatistik im Kreis Stade
2024 kam es in der Polizeiinspektion Stade zudem zu insgesamt 680 Fällen der häuslichen Gewalt. Es gab 631 Opfer, davon 159 männlich und 472 weiblich. 121 Opfer waren minderjährig. Insgesamt liegen im Vergleich zum Vorjahr (596 Taten) gestiegene Fall- und Opferzahlen (534 Opfer) vor. Auffällig: Bei minderjährigen Opfern häuslicher Gewalt wird ein Anstieg von 66 Prozent verzeichnet, bei Über-18-Jährigen ist es ein Plus von 11 Prozent.
Detaillierte Gewaltakte gegen Einsatzkräfte sind in der PKS nicht aufgenommen, diese würden laut Bohmbach zu einem späteren Zeitpunkt gesondert ausgewertet. So fehlen beispielsweise Angriffe auf Feuerwehr und Rettungsdienst. Polizeibeamte sind jedoch 62 Mal angegriffen worden, 141 wurden dabei zu Opfern, 16 Polizistinnen und Polizisten wurden leicht verletzt. Schwerverletzte gab es nicht.
(3) Diebe unterwegs: Wo die größten Gefahren lauern
Eine der größten Sorgen der Menschen im Landkreis dürfte die Befürchtung sein, Opfer von dreisten Dieben zu werden. Das TAGEBLATT berichtet schließlich regelmäßig über (nächtliche) Einbrecher, Auto- und Fahrradbanden auf Tour oder Trickdiebe vor Supermärkten. Die Diebstähle insgesamt sind dabei 2024 von 4175 auf 3608 Taten (minus 14 Prozent) gesunken. Allerdings liegt die Aufklärungsquote solcher Taten auch nur bei 38 Prozent.
„Die Fallzahlen liegen somit auf dem Niveau der Jahre 2020 und 2022 und circa 6,6 Prozent unterhalb des langjährigen Mittelwertes von 3861 Diebstählen für die letzten zehn Jahre“, heißt es in der Statistik. Auch hier lohnt der Blick auf die „Einzelposten“:
Ladendiebstähle, 2023 noch ein plötzlich gehäuft auftretendes Massenverbrechen, sind um 20 Prozent von 1067 auf 850 Taten gesunken. Die Gründe bleiben im Unklaren. 2023 ging die Polizei noch von einem Zusammenhang mit gestiegenen Preisen in Supermarkt und Co. aus. Nun könnten verschärfte Überwachungsmaßnahmen zu einer Abschreckung geführt haben. „Jedoch könne auch weiterhin eine hohe Dunkelziffer nicht ausgeschlossen werden“, sagt Polizeisprecher Bohmbach.
Supermärkte & Co.
T Enormer Anstieg im Landkreis: „Epidemie“ des Ladendiebstahls entsetzt Händler
Bei Einbrüchen wurden im Landkreis Stade weniger Privathaushalte als Firmen oder Institutionen heimgesucht. So bedeuten 151 Einbrüche in Häuser und Wohnungen (plus 6 Prozent) den drittniedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Laut PKS machten die Täter eine Beute von in Summe 390.660 Euro.
Auf fremde Unternehmensgelände wagten sich Einbrecher 185 Mal, das entspricht einem Anstieg von 37 Prozent.
Fahrraddiebstähle verzeichneten indes mit 45 Prozent mit den stärksten Rückgang aller Straftaten. Nur noch 453 Drahtesel und lukrativere E-Bikes wurden 2024 gestohlen. 2023 waren es noch 829 Taten. Hier hat es den niedrigsten Anteil der vergangenen zehn Jahre gegeben. Kehrmedaille? Nur 12 Prozent aller Fahrraddiebstähle konnten 2024 aufgeklärt werden.
Bohmbach: „Einerseits dürfte eine gewisse Sättigung des Marktes stattgefunden haben, andererseits werden teure Fahrräder mittlerweile auch deutlich besser gesichert.“ Der finanzielle Schaden an gestohlenen Rädern im Landkreis belief sich auf knapp eine halbe Million Euro (Schnitt: 1160 Euro pro Rad).
Polizeistatistik
T Diebe stehlen teure E-Bikes – Taten im Kreis Stade nehmen zu
Nach der Serie von Autodiebstählen in den Vorjahren hielten sich die Pkw-Aufbrecher im vergangenen Jahr deutlich zurück. Möglicherweise eine Folge des gestiegenen Fahndungsdrucks. 32 Fahrzeuge sind 2024 gestohlen worden (minus 30 Prozent), 2023 waren es noch 46. Den Haltern entstand ein Schaden von 640.000 Euro. Laut Polizei waren im vergangenen Jahr weiterhin SUV-Modelle wie der Hyundai Tucson im Fokus der professionellen Diebesbanden. Außerdem häufiger vertreten: Pkw-Modelle von Mercedes. Die Diebe handeln dabei meist wie „auf Bestellung“.
305 Autos sind zudem aufgebrochen und nach Diebesgut durchsucht worden. Auch in diesem Punkt ist ein Rückgang um 23 Prozent zu verzeichnen.
Gewarnt werden muss dagegen wieder verstärkt vor Taschendieben. 213 Taten bedeuten einen Anstieg von 32 Prozent. Erschreckend: Nur 5 Prozent der Trickdiebe können gefasst werden. In 77 Fällen sind zudem Handtaschen oder Portemonnaies aus Einkaufswagen im Supermarkt gestohlen worden.
(4) Jeden Tag ein Sexualdelikt - Cannabis-Gesetz wirkt sich aus
Die Zahl der Sexualdelikte im Landkreis nahm 2024 um 15 Prozent zu. 363 Straftaten bedeuten im Schnitt knapp täglich eine Tat. Darunter entfielen 214 Taten auf den Bereich Verbreitung pornografischer Inhalte, insbesondere von Kinderpornografie.
Zunahmen gab es auch bei Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und exhibitionistischer Handlungen. Beim Missbrauch von Kindern wurden 33 Taten angezeigt. Auffällig: 45 Prozent der Tatverdächtigen sind unter 21 Jahre alt. Sexuelle Gewalt sowie der Besitz von Pornografie findet demnach auch auf dem Schulhof statt. Bei den Erwachsenen ist ein Haupttäterkreis im Alterssegment von 40 bis 50 Jahren festgestellt worden.
Rauschgiftdelikte im Landkreis sind von 590 auf 317 Taten deutlich gesunken (minus 46 Prozent). Dies liegt zuallererst an der Teil-Legalisierung von Cannabis. Auch die allgemeinen Verstöße mit Kokain (minus 80 Prozent) und der illegale Handel mit Cannabis (minus 50 Prozent) sind rückläufig.
(5) Täter und Opfer: Zweidrittel aller Taten von Deutschen
In der Polizeiinspektion Stade ist die Aufklärungsquote insgesamt mit 63,34 Prozent im Vergleich zu 2023 um knapp einen Prozentpunkt gesunken. Sie liegt damit leicht über dem niedersächsischen Landesschnitt (62,77 Prozent) und unter dem der Polizeidirektion Lüneburg (64,33 Prozent), zu der die PI Stade wie unter anderem die Landkreise Harburg und Rotenburg zählt.
4782 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. „Im Bereich der tatverdächtigen Kinder kommt es dabei erneut zu einem Anstieg. Auch bei den Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren liegt ein leichter Zuwachs vor“, bilanziert die Polizeistatistik zur Jugendkriminalität. Zusammengenommen waren im vergangenen Jahr 778 ermittelte Verdächtige minderjährig. Laut Bohmbach machten Jugendliche unter anderem beim Ladendiebstahl einen erhöhten Anteil aus.
Durchsuchungen
T Brutale Schlägerei in Stade – Gewaltvideos im Internet
Von allen Tatverdächtigen waren 3191 Deutsche und 1591 Ausländer. Das machte 2024 eine Verteilung von 67 zu 33 Prozent. Der Anteil nicht-deutscher Tatverdächtiger ist im Vergleich zu 2023 (32 Prozent) um einen Prozentpunkt gestiegen. Opfer von Straftaten wurden 2722 Menschen im Landkreis.
Im Jahr 2024 kam es zudem zu 173 Straftaten gegen Flüchtlinge, 650 durch
Flüchtlinge und 237 unter Flüchtlingen (alles ohne ausländerrechtliche Verstöße). Die durch Flüchtlinge begangenen Straftaten sind dabei um 2 Prozent gesunken.
Neben den bereits genannten Höhen durch Fahrrad- und Autodiebstähle und Einbrüche ist landkreisweit 2024 eine Schadenssumme von 10,7 Millionen Euro entstanden. Davon entfallen fast 4,8 Millionen auf Diebstähle und 5,9 Millionen Euro auf Betrug und Fälschungsdelikte.
Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass Enkeltricks und Schockanrufe in ihrer Gesamtheit nicht erfasst werden. Dies liegt daran, dass die meisten Tatorte der Telefonbetrüger im Ausland liegen.
Kritik an Populisten: „Die gute Zeit ist die heutige Zeit“
Polizeioberrat Martin Kaliebe zeigte sich zufrieden mit der Entwicklung. „Erstmals seit Jahren haben wir einen deutlichen Rückgang der Fallzahlen im Landkreis Stade zu verzeichnen. Bei der Aufklärungsquote konnten wir einen hohen Wert halten“, sagt der Leiter des Kriminaldienstes.

Polizeioberrat Martin Kaliebe, Leiter des Zentralen Kriminaldienstes, dankte den Kolleginnen und Kollegen für ihre Ermittlungsarbeit. Foto: Polizei
Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens kommentierte jüngst die niedersachsenweiten Zahlen. „Viele Bürgerinnen und Bürger sind der Überzeugung, dass die Kriminalitätsbelastung kontinuierlich steigt und die Lage, einfach gesagt, immer schlimmer wird“, sagte die SPD-Politikerin aus dem Kreis Cuxhaven. „Wahr ist jedoch, in der Langzeitbetrachtung erleben wir seit den 1990er Jahren einen deutlichen Rückgang der Kriminalitätsbelastung in Niedersachsen, und zwar quer durch alle Deliktsfelder.“
Die gute alte Zeit, die sich mancher zurückwünsche, habe es mit Blick auf die Zahlen nicht gegeben. „Die gute Zeit ist die heutige Zeit“, sagte Behrens. Man dürfe Populisten in dieser Hinsicht nicht die Meinungshoheit überlassen. (dpa)