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Interview

T„Wenn Emily Vogel von Budapest spricht, wackeln Peter Prior die Ohren“

Stukenbrock: „Wenn Emily Vogel von den Verhältnissen in Budapest spricht, würden BSV-Manager Peter Prior die Ohren wackeln.“

Stukenbrock: „Wenn Emily Vogel von den Verhältnissen in Budapest spricht, würden BSV-Manager Peter Prior die Ohren wackeln.“ Foto: Marco Wolf/dpa

Frauenhandball kämpft um Anerkennung, Geld und gleiche Chancen – doch eine Heim-WM könnte alles verändern. Das erklärt Experte Christoph Stukenbrock im TAGEBLATT-Gespräch.

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Von Tim Scholz
Samstag, 22.11.2025, 15:50 Uhr

Landkreis. Es gibt Bücher über Fußballstars, Boxlegenden und Basketballikonen, doch über den Frauenhandball? Fast gar nichts. „Höchste Zeit, dass sich das ändert“, schreiben Christoph Stukenbrock und sein Kollege Moritz Löhr in ihrem Buch „Sheroes - Faszination Frauenhandball“, das pünktlich vor der Weltmeisterschaft in Deutschland und den Niederlanden erschienen ist.

Auf mehr als 300 Seiten widmen sich die beiden Journalisten einem Sport, der oft im Schatten steht.

TAGEBLATT: Herr Stukenbrock, der Titel Ihres Buchs klingt kraftvoll und kämpferisch. Wollen Sie Mädchen ermutigen, selbst zur Heldin zu werden?

Stukenbrock: Genau. Ich finde, das ist der perfekte Titel, nicht nur für junge Handballerinnen, sondern generell für Sportlerinnen, die oft im Schatten der Heroes, der männlichen Sportler, stehen.

Sie haben viele Gespräche mit Handballerinnen geführt. Was hat Sie am meisten überrascht?

Sie waren total nahbar. Wir konnten sie fast jederzeit erreichen. Das ist im Profifußball ganz anders, da gibt es kaum einen Zugang für uns Journalisten. Auch im Männerhandball muss man einen Antrag stellen, um ein Interview zu bekommen.

„Grundsätzlich fehlt es an Kohle“

Viele Spielerinnen haben eine Doppelbelastung aus Sport und Beruf. Warum nehmen die das in Kauf?

Weil sie richtig Bock haben, Handball zu spielen. Sie fangen an, um vielleicht groß herauszukommen, aber das Geld spielt da noch eine untergeordnete Rolle. In der Bundesliga gibt es nur einen kleinen Prozentsatz, der vom Handball leben kann. Ansonsten sind es pure Energie und Leidenschaft. Das kann man in Buxtehude wunderbar beobachten.

Die Buxtehuderin Emily Vogel gibt im Buch nicht nur Schminktipps, sondern schildert auch, wie professionell die Bedingungen bei ihrem Club in Budapest sind. Warum ist der deutsche Frauenhandball davon so weit entfernt?

Grundsätzlich fehlt es an Kohle. Wenn Emily Vogel von den Verhältnissen in Budapest spricht, würden BSV-Manager Peter Prior die Ohren wackeln. Das ist eine ganz andere Welt. Das funktioniert nur mit großen Sponsoren, die im deutschen Frauenhandball bislang fehlen.

Die frühere BSV-Kapitänin Isabell Klein mit Trainer Dirk Leun.

Die frühere BSV-Kapitänin Isabell Klein mit Trainer Dirk Leun. Foto: Jan Iso Jürgens

Im Buch fordert die frühere BSV-Kapitänin Isabell Klein gleiche Voraussetzungen für Männer und Frauen.

Ja, man muss einen Turnaround hinkriegen. Dafür braucht man starke Partner und Förderer. Mit Erfolgen bei der WM könnte die deutsche Mannschaft einen Nährboden dafür schaffen. Ganz ähnlich haben es die Fußballerinnen geschafft, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Da ist es inzwischen so, dass kaum ein Männerbundesligist nicht auch eine Frauenmannschaft Huckepack nimmt und für eine Anschubfinanzierung sorgt. Aber davon ist der Frauenhandball weit entfernt.

Ludwigsburgs Rückzug ist ein „harter Schlag“

Frauen-Bundestrainer Markus Gaugisch sagt, die Bundesliga könne sich an der zweiten Männerliga orientieren, die mittlerweile eine „Bundesliga light“ geworden ist. Ist es überhaupt zielführend, Männer- und Frauenhandball miteinander zu vergleichen?

Ich glaube, es ist nicht zielführend. Man muss sich eine eigene Identität schaffen. Auf der einen Seite sollte der Frauenhandball seine Nahbarkeit bewahren und auf der anderen Seite Wege finden, große Sponsoren für den Handball zu begeistern.

Christoph Stukenbrock interviewt Bundestrainer Markus Gaugisch.

Christoph Stukenbrock interviewt Bundestrainer Markus Gaugisch. Foto: Christian Hess (nomo)

Die Insolvenz von Serienmeister Ludwigsburg hat es aus zeitlichen Gründen nicht mehr ins Buch geschafft. Was bedeutet das Aus für die Bundesliga?

Ludwigsburg war die einzige deutsche Mannschaft, die in den letzten Jahren international richtig für Furore gesorgt hat und nun weggefallen ist. Das ist ein harter Schlag. Jetzt gilt es, dass eine Mannschaft gefunden wird, die in diese Lücke springt. Aber dass Deutschland wieder in die europäische Spitze kommt, hat sich erst mal erledigt.

Ein ganzes Kapitel haben Sie auch dem Buxtehuder SV gewidmet. Was macht diesen Verein so besonders?

Das Buxtehuder Modell ist immer gewesen, junge Spielerinnen zu entwickeln, und das funktioniert auch wunderbar. Zahlreiche Nationalspielerinnen sind bereits durch die Hände von Dirk Leun (Bundesliga-Trainer des BSV; d. Red.) gegangen. In Buxtehude kann man den nächsten Karriereschritt machen. Das ist nicht hoch genug einzuschätzen, ist aber auch Fluch und Segen zugleich.

Hallen-Streit wirft kein gutes Licht auf Buxtehude

Inwiefern?

Die besten Spielerinnen werden ausgebildet und entwickeln sich zu sehr guten Bundesligaspielerinnen. Wollen sie den nächsten Schritt in die Weltklasse machen, müssen sie den Verein verlassen, da es dort für die höchsten Ansprüche am Ende nicht reicht. Dafür fehlen wiederum die finanziellen Voraussetzungen.

Der Autor Christoph Stukenbrock.

Der Autor Christoph Stukenbrock. Foto: privat (nomo)

Der BSV hat vor Kurzem nicht nur lokal, sondern bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Es gab einen Streit mit der Stadt um die Nutzung der neuen Halle Nord. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Wir haben das Thema beim Sport-Informations-Dienst aufgegriffen. Von außen betrachtet wirft das überhaupt kein gutes Licht auf den Standort. Kein Vorwurf an den BSV, am Ende muss sich der Standort Buxtehude die Frage stellen: Wollen wir Bundesligahandball oder nicht? Und das erfordert auch einige Zugeständnisse. Die naheliegendste Variante ist, dass man den Bundesligisten so unterstützt, dass man ihm zumindest keine Steine in den Weg legt.

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft bei der WM zu?

Das Viertelfinale kann die Mannschaft nicht verfehlen - dazu ist sie zu stark, und dafür meint es auch die Auslosung zu gut. Das Viertelfinale wird über relativ viel entscheiden, ab da werden die Öffentlich-Rechtlichen die deutschen Spiele zeigen. Es gibt also die maximale Aufmerksamkeit, die sich der Frauenhandball seit Ewigkeiten wünscht.

„Die Heim-WM kann für einen Knall sorgen“

Seit 2007 gab es keine Medaille mehr bei großen Turnieren. Der DHB fordert Jahr für Jahr eine Medaille. Ist es sinnvoll, so offensiv heranzugehen?

Ich bin ein absoluter Fan von der offensiven Herangehensweise. Wir befinden uns im Leistungssport. Wenn man vor dem Turnier sagt: Schneidet bitte möglichst gut ab und wir gucken von Spiel zu Spiel, dann gebe ich ja die Ausrede gleich mit. Es braucht eine klare Zielsetzung und die kann nur lauten: Halbfinale. Dann kann die WM für einen Knall sorgen.

Jolina Huhnstock ist die einzige BSV-Handballerin im WM-Kader.

Jolina Huhnstock ist die einzige BSV-Handballerin im WM-Kader. Foto: Jan Iso Jürgens

Sie klingen zuversichtlich.

Ja. Wenn die Frauen so performen, wie sie das für das Buch getan haben, mache ich mir keine Sorgen. Dann spielen sie am 14. Dezember im Finale.

Der Autor und das Buch

Christoph Stukenbrock (42) stammt aus Buxtehude. Nach seiner Zeit beim TAGEBLATT wurde er Büroleiter beim Sport-Informations-Dienst (SID) in Hamburg, wo er seit 2012 das Handballressort leitet. Als Reporter begleitete er nahezu alle großen Turniere, erlebte die Höhen und Tiefen der DHB-Teams hautnah. Er ist Autor der Autobiografie von Bob Hanning („Hanning. Macht. Handball.“).

Das Buch "Sheroes" ist pünktlich vor der WM erschienen.

Das Buch "Sheroes" ist pünktlich vor der WM erschienen. Foto: Valuemedia (nomo)

Das Buch „Sheroes - Faszination Frauenhandball“ von Christoph Stukenbrock und Moritz Löhr ist im Verlag Valuemedia erschienen. 316 Seiten, 24,95 Euro, ISBN: 978-3-9825935-4-8.

Die Frauen-WM

Die deutschen Handballerinnen tragen ihre Vorrundenspiele in Stuttgart aus und treffen dort auf Island (26. November), Uruguay (28. November) und Serbien (30. November). Bei einem Weiterkommen spielt das Team Hauptrunde und Viertelfinale in Dortmund. Halbfinale und Finale finden in Rotterdam (Niederlande) statt. Vom BSV steht einzig Jolina Huhnstock im deutschen Kader.

Katharina Filter hat sich in Buxtehude zur Nationaltorhüterin entwickelt.

Katharina Filter hat sich in Buxtehude zur Nationaltorhüterin entwickelt. Foto: Marco Wolf/dpa

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