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Migration

TZu Besuch im Stader Flüchtlingsheim

Jens Hartlef von der Stadt Stade und Mohamad Issa aus Aleppo, der mit seinem 14-jährigen Bruder im Kreiswehrersatzamt wohnt.

Jens Hartlef von der Stadt Stade und Mohamad Issa aus Aleppo, der mit seinem 14-jährigen Bruder im Kreiswehrersatzamt wohnt. Foto: Richter

2016 wurde das Kreiswehrersatzamt zur Flüchtlingsunterkunft. Seitdem sind 650 Menschen aus vielen Krisenregionen der Welt hier untergebracht worden. Ein Besuch vor Ort.

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Von Anping Richter
Freitag, 14.02.2025, 08:05 Uhr

Stade. Das Gebäude an der Albert-Schweitzer-Straße in Stade atmet noch die Atmosphäre seiner einstigen Nutzung: Früher traten hier junge Männer zur Musterung an. Nach Abschaffung der Wehrpflicht bekam das Kreiswehrersatzamt 2016 einen neuen Zweck als Flüchtlingsunterkunft. Ungefähr 100 Menschen sind hier derzeit untergebracht.

Einer tritt gerade auf den Flur: Mohamad Issa. Der 26-jährige Syrer wohnt hier mit seinem 14-jährigen Bruder und spricht gut Deutsch. Vor einem Jahr seien sie eingezogen. „Mein Bruder spricht noch viel besser als ich“, sagt Issa. Der 14-Jährige besucht die Realschule Camper Höhe.

Wäscheständer und Schuhschränke im Flur des ehemaligen Kreiswehrersatzamts.

Wäscheständer und Schuhschränke im Flur des ehemaligen Kreiswehrersatzamts. Foto: Richter

Die beiden Brüder gehören zu den 12 Millionen Syrern, die geflohen sind. In 13 Jahren Krieg wurde jeder zweite zum Flüchtling. 80 Prozent der Bevölkerung in Syrien lebt in Armut, mit einem Dollar oder weniger am Tag. Sieben Millionen Syrer sind Binnenflüchtlinge, fünf Millionen ins Ausland geflohen. Die meisten leben in Nachbarländern und etwa eine Million in Deutschland.

Chance auf eine Rückkehr nach Syrien?

Mit dem Sturz des Assad-Regimes vor einem Monat hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wegen der unklaren Lage vorerst alle Entscheidungen über Asylanträge von Syrern gestoppt. Hofft Mohamad Issa auf eine baldige Rückkehr? „Wir checken die Lage und warten ab, wie sich alles entwickelt“, sagt er.

Seine Heimatstadt Aleppo, vor dem Krieg eine lebendige Metropole, hat sehr gelitten. Nach Angaben der Vereinten Nationen ist aktuell die Ernährung von 14,5 Millionen Syrern unsicher. Die Kurdenmiliz SDF (Syrisch-Demokratische Kräfte), bislang Partner der USA im Kampf gegen den IS, kontrolliert nahezu ein Drittel des Landes. Mit der neuen Regierung und dem Nachbarland Türkei flammen schon Konflikte auf.

Seit 2015 viel Erfahrung mit Krisenmanagement

Lona Hollander, zuständige Fachgruppenleiterin bei der Stadt Stade, und ihr Kollege Jens Hartlef haben Erfahrung mit Menschen aus Krisengebieten: Im Herbst 2015 mussten sie sehr viele sehr schnell unterbringen. 450 schliefen damals in der Turnhalle der BBS. Als 2022 die Ukrainer kamen, gab es schon viel Routine.

„Wir bekommen hier genau mit, was auf der Welt passiert. Jetzt erwarten wir zwölf neue Bewohner aus dem Südsudan“, berichtet Jens Hartlef. Dort herrscht eine der drängendsten humanitären Krisen weltweit. Im alten Kreiswehrersatzamt wohnen Menschen aus sechs Nationen:

  • Syrien
  • Afghanistan
  • Irak
  • Guinea
  • China
  • Kolumbien

Lona Hollander beobachtet viel Solidarität, Bewohner leihen sich gegenseitig Windeln für die Babys oder auch mal Geld bis zum Monatsende. „Wir haben ein gutes Miteinander“, sagt Jens Hartlef.

Handtuch, Pfanne, Topf und Teller: Neue Bewohner werden erwartet, und die Grundausstattung liegt schon auf den Betten.

Handtuch, Pfanne, Topf und Teller: Neue Bewohner werden erwartet, und die Grundausstattung liegt schon auf den Betten. Foto: Richter

Weniger harmonisch ist der Eindruck der Stader Feuerwehr: In Großunterkünften wird öfter unnötiger Feueralarm ausgelöst. Meist ist es der Klassiker - Essen auf dem Herd. Tagsüber ist Pförtner Alexander Braun im Haus. Er kann entwarnen, wenn kein Einsatz nötig ist. Dass Anwohner das selbst übernehmen, ist aber nicht zulässig. Einmal ausgelöst ist ein Rückruf der Rettungskette kaum möglich.

Wenn die Polizei zur Abschiebung anrückt

Und was passiert, wenn jemand abgeschoben wird? „Die Bewohner kennen das. Recht und Gesetz gilt“, antwortet Lona Hollander. Zurzeit sind 524 Menschen im Kreis Stade ausreisepflichtig. 2024 wurden 7 Personen im Rahmen des Dublin-Abkommens überstellt und 29 abgeschoben - am häufigsten nach Serbien, gefolgt von Kolumbien, Georgien, Pakistan, Senegal, Ghana. Der Landkreis stellt die Bescheide vorab zu. Bevor die Polizei anrückt, wird in der Unterkunft angerufen und gefragt, ob die Betreffenden da sind.

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind die Aussichten auf Asyl beispielsweise bei Kolumbianern schlecht. Deshalb werde daran gearbeitet, über Möglichkeiten der qualifizierten Einwanderung zu informieren. Denn in Kolumbien biete sich „eine exzellente Chance, gerade für Mangelberufe in Deutschland leistungsbereite und qualifizierte neue Arbeitnehmer zu gewinnen“.

Neu in Stade: Flüchtlinge aus der Volksrepublik China

In Stade noch ein recht neues Phänomen sind Geflüchtete aus China. Die drei im ehemaligen Kreiswehrersatzamt, zwei Männer und eine Frau, kommen aus Chongqing. Die Metropole im Südwesten mit 32 Millionen Einwohnern gilt als größte Stadt der Welt.

Stade muss den Chinesen wie ein Dorf vorkommen. „Es gefällt uns hier aber sehr gut“, sagt die Frau. Ihr Begleiter warnt sie, beim Plaudern vorsichtig zu sein. Verständlich angesichts ihres für Überwachung weltbekannten Herkunftslands.

Wenn Bewohner ein Bleiberecht bekommen, suchen sie sich im Idealfall etwas auf dem freien Wohnungsmarkt, sagt Stadtrat Carsten Brokelmann. Doch selbst jemand, der gut Deutsch spricht und täglich zur Schicht bei Unilever fährt, bekommt nur schwer eine Wohnung und bleibt deshalb - bei Zahlung einer Nutzungsgebühr - in der Unterkunft. Die Mitarbeiter helfen bei der Vermittlung und sprechen mit Vermietern, sagt Lona Hollander: „Bisher hat es am Ende immer geklappt.“ Zurzeit bringt Stade dezentral und in Großunterkünften 760 Menschen unter. Bis 800 sei es „noch entspannt“.

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