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Orientzikade

TNeuer Schädling: „Tickende Zeitbombe“ für Obstbau im Alten Land

Neuer Schädling an der Niederelbe: Eine adulte Orientzikade (Orientus ishidae) krabbelt über ein Blatt.

Neuer Schädling an der Niederelbe: Eine adulte Orientzikade (Orientus ishidae) krabbelt über ein Blatt. Foto: Trautmann/Esteburg

Still und heimlich ist mit der Orientzikade ein neuer Schädling ins Alte Land eingewandert. In ihrem Speichel lauert eine Gefahr für den Obstbau. Experten schlagen Alarm.

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Von Björn Vasel
Dienstag, 10.09.2024, 15:50 Uhr

Jork. „Dieser Neobiont hat nicht viel mit Sexorgien und Zerstörungswut zu tun“, sagt Professor Dr. Roland Weber vom Obstbauzentrum Esteburg in Moorende mit Verweis auf die sexsüchtige asiatische Kirschessigfliege. Gebietsfremde biologische Arten, die durch den Einfluss des Menschen heimisch werden, bezeichnet die Wissenschaft als Neobionten.

Wissenschaftler warnt vor tickender Zeitbombe

Die asiatische Kirschessigfliege ist seit dem Herbst 2012 an der Niederelbe nachgewiesen. Ohne den Einsatz von Insektiziden, strikte Hygienemaßnahmen wie das Abpflücken aller Früchte und Einnetzung der Dachkirschenplantagen hätten die Altländer längst den Dachkirschenanbau einstellen müssen. Weibliche Kirschessigfliegen legen ihre Eier in die Kirsche. Die Larven fressen sich später im Inneren satt. Die beschädigte Früchte sind unverkäuflich. Ohne Gegenmaßnahmen drohen Schäden in Millionenhöhe.

Die Orientzikade (Orientus ishidae) ist im Gegensatz zur Kirschessigfliege (Drosophila Suzukii) eine tickende Zeitbombe. „Niemand weiß, wann die Bombe hochgeht“, sagt Weber. Begünstigt durch Klimawandel und Globalisierung machen sich immer mehr gebietsfremde Insekten an der Niederelbe breit - zum Teil (noch) unbemerkt.

Invasive Art ist auf dem Vormarsch in Richtung Norden

Die aus Fernost, vermutlich aus Japan, stammende Orientzikade ist im August 2024 erstmals im Alten Land nachgewiesen worden. Die Orientzikade verbreitet sich per Schiff und Lkw sowie Baumschulmaterial. In den USA ist diese Zikade bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg gesichtet worden. In Norditalien ist sie 1998 an Land gegangen.

Bekannt ist: Die Zikade kann im Ei-Stadium den Winter in der Baumrinde überleben. Sie besiedelt Laubbäume, aber auch Ziersträucher wie Buxus, Haselsträucher sowie krautige Pflanzen wie Brennessel und Brombeeren.

Seit 2002 ist die Orientzikade in Deutschland auf dem Vormarsch

Um 2002 muss sie die deutsche Grenze überschritten haben. Seitdem wandert die Orientzikade mit dem steigenden Thermometer immer weiter in Richtung Norden. Vor 15 Jahren endete ihr Verbreitungsgebiet noch auf Höhe des Ruhrgebiets. „Es ist für mich absolut verstörend, dass sich meine schlimmsten Befürchtungen bezüglich der Geschwindigkeit des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf den Obstbau bestätigen“, sagt Weber.

Er hat sich mit seinem Kollegen Martin Trautmann vom Obstbauversuchsring des Alten Landes an die Fersen der Zikade geheftet. Orientzikade greifen vorrangig Blätter an. Sie zerstören das Gewebe durch Einstiche oder toxischen Speichel. Ob die Orientzikade lieber saugt als sticht, ist noch eine offene Frage für die Wissenschaft. Bekannter sind die Folgen.

Die Gefahr schlummert im Speichel der Zikaden

Der Einstichbereich färbt sich gelb-braun. „In stark befallenen Anlagen können bis zu 20 Prozent der Blätter auf diese Weise geschädigt werden“, sagt Trautmann. Das allerdings schädige die Photosyntheseleistung der Bäume nicht so stark, als dass die Vitalität leide. Im Speichel der Zikade schlummere die eigentliche Gefahr.

Adulte Orientzikade in der Nahaufnahme.

Adulte Orientzikade in der Nahaufnahme. Foto: Trautmann/Esteburg

Denn die saugenden und Speichel injizierenden Insekten sind potenzielle Überträger von Viren und Bakterien. Dazu zählen Krankheiten wie Birnenverfall und Apfeltriebsucht. Früchte bleiben klein, färben nicht gut aus und bleiben geschmacklos. Dadurch könne im schlimmsten Fall die gesamte Ernte eines Apfelbaumes ausfallen. Kurzum: Große wirtschaftliche Schäden drohen durch die Infektionskrankheit.

Eine Heilung gibt es nicht. Betroffenen Bäume müssten gerodet werden. Quarantänemaßnahmen sind gesetzlich vorgeschrieben.

Ohne Insektizide droht der Kahlschlag

Die Forschung steht am Anfang. Im Speichel der Orientzikade ist der Erreger der Apfeltriebsucht nachgewiesen worden. „Es ist allerdings noch nicht bewiesen, ob die Triebsucht durch die Zikade übertragen wird“, sagt Weber. Die Molekularbiologie soll helfen.

Im Alten Land hat sich die Invasorin bereits vor allem im Hamburger Teil breitgemacht, insbesondere auf Streuobstwiesen und in Öko-Anlagen. Im Sommer sind die bis zu 6,6 Millimeter großen adulten Tiere von Juli bis Oktober mit ihrer mosaikartigen Zeichnung mit perlmuttartig schimmernden Segmenten und dem dreieckigen Rückenschild mit dem bloßen Auge zu erkennen.

Adulte Zikade mit Schadbild an der Niederelbe.

Adulte Zikade mit Schadbild an der Niederelbe. Foto: Weber/Esteburg

Dass integriert produzierende Obstbauern abhängig vom Befall in ihren Apfelplantagen kurz nach der Blüte - zum Zeitpunkt des Larvenschlupfes bei den Zikaden - das Mittel Movento gegen Blutlaus oder Blattsauger einsetzen, könnte ein Grund sein. Es haut auch die Orientzikade um.

Doch das Mittel ist nur noch bis 2025 zugelassen. Adäquater Ersatz ist nicht in Sicht. Im Weinbau läuft wegen der Zikade nichts mehr ohne Chemie und Säge. Dort werden bereits Randstrukturen wie Haselsträucher abgeholzt, um die Population einzudämmen. Soweit dürfe es im Obstbau zum Schutz der Artenvielfalt und der Landschaftsstruktur nicht kommen. Weber sieht die Politik gefordert, damit die Bombe nicht hochgeht: „Ohne den Einsatz wirksamer Insektizide ist kein wirtschaftlicher Obstbau möglich.“

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